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Veröffentlicht am 01­.02.2017

1.2.2017 - HerderKorrespondez 2/2017

Religionsunterricht: Die Diskussion geht weiter

Ende vergangenen Jahres ist ein neues Papier der deutschen Bischöfe über den Religionsunterricht erschienen. Zwischenzeitlich haben sich auch die Religionspädagogen an unterschiedlichen Stellen zu Wort gemeldet. Ein ökumenisch verantwortetes Positionspapier zur Zukunft des Fachs wurde von 163 Hochschullehrern und anderweitig Verantwortlichen unterzeichnet.

Von Stefan Orth

Die Diskussion über den konfessionellen Religionsunterricht in Deutschland geht weiter. Kurz vor Weihnachten hatten die katholischen Bischöfe ein neues Papier zur Zukunft des in mancherlei Hinsicht angefochtenen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen vorgelegt (vgl. HK, Januar, 11–12). Nach mehr als zehn Jahren äußerte sich die Bischofskonferenz darin zur Kooperation der Kirchen beim Religionsunterricht, nachdem es in einigen Bundesländern bereits länger schon Vereinbarungen über eine intensivere katholisch-evangelische Zusammenarbeit beim konfessionellen Religionsunterricht gab. Jetzt werden mehr solcher Absprachen angeregt und dafür auch Mindeststandards benannt.

Mehr oder weniger zeitgleich haben sich auch die Fachvertreter zu Wort gemeldet. So ist einerseits kurz vor Weihnachten das Ergebnis eines Diskussionsprozesses innerhalb der Zunft der Religionspädagogen bekannt geworden. Das Papier mit dem Titel „Konfessionell, kooperativ, kontextuell. Weichenstellungen für einen zukunftsfähigen Religionsunterricht", von dem es bereits eine italienische Übersetzung gibt, wird ökumenisch getragen. Zu den Initiatoren gehören neben den Religionspädagoginnen und Religionspädagogen Konstantin Lindner, Mirjam Schambeck, Hans Schmid (alle katholisch) und Elisabeth Naurath, Henrik Simojoki sowie der Direktor des einschlägig engagierten Comenius-Instituts in Münster, Peter Schreiner (jeweils evangelisch), und der Leiter der Abteilung Schulen und Hochschulen im Generalvikariat in Osnabrück, Winfried Verburg, der auch im Vorstand der bundesweiten Konferenz der katholischen Schulabteilungsleiter ist. Das Papier wurde von 163 Hochschullehrern und anderweitig für den Religionsunterricht Verantwortlichen unterzeichnet, weitere kamen zwischenzeitlich hinzu

Für Vielfalt und Kontextualität

Der Text ist in weiten Teilen eine Unterstützung für die Position der Bischöfe, setzt dann aber auch eigene Akzente. Gerade weil Kinder und Jugendliche mit Blick auf das Religiöse sich oft genug durch eine „pragmatische Haltung" auszeichneten, sei religiöse Bildung für das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen, religiösen und weltanschaulichen Hintergründen unabdingbar. Der Religionsunterricht trage durch seine vernunftbasierte Auseinandersetzung mit Religion dazu bei, Schülerinnen und Schülern zu einem reflektierten Verhalten mit Religion zu befähigen und fundamentalistischen Tendenzen entgegenzuwirken. Das sei gesellschaftlich hochbedeutsam. Nicht zuletzt angesichts dieses Ziels sei es notwendig, den Religionsunterricht „sowohl in konzeptioneller als auch in organisatorischer Hinsicht weiterzuentwickeln".

Dabei heben die Autoren ebenfalls hervor, dass Religionsunterricht wesentlich konfessionell ist. Darüber hinaus fordern sie wie die katholischen Bischöfe, eine stärkere Kooperation zwischen den Kirchen. „Im bekenntnisbezogenen Religionsunterricht spiegelt sich wider, dass das Christentum in Konfessionen ausgeprägt ist und selbst individuelle Bezüge auf das Christentum – bewusst oder unbewusst – konfessionelle Akzentsetzungen aufgreifen." Dabei gelte es, die Vielfalt des Christlichen als Reichtum wachzuhalten und nicht in traditionelle Muster der Konfessionalisierung zu verfallen. Die bereits an vielen Schulen „mit Gewinn praktizierte konfessionelle Zusammenarbeit" sei auszubauen, zu fördern und institutionell zu stützen. Stärker hervorgehoben wird dabei die auch im Bischofspapier nicht bestrittene Notwendigkeit, angesichts der demografischen Entwicklungen auch mit den Vertretern anderer Religionen und vor allem auch mit den Konfessionslosen intensiver zusammenzuarbeiten.

Vor allem aber heben sie hervor, dass der Religionsunterricht immer auch „kontextuell" sein müsse. Die kirchenpolitisch entscheidende Konsequenz an diesem Punkt besteht darin, dass nicht der Zwang, eine bestimmte Gruppengröße für den Religionsunterricht erreichen zu müssen (beziehungsweise die Tatsache, dies nicht mehr zu können)für die Organisation des Fachs entscheidend sein dürfe. Ausdrücklich heißt es: „Ein Konzept, das Religionsunterricht primär in Abhängigkeit vom Zustandekommen genügend großer Konfessionsgruppen denkt, erweist sich aus Bildungsperspektive und aufgrund der skizzierten ökumenischen Erfahrung als nicht ausreichend." In unterschiedlichen Regionen gebe es bereits aus guten pädagogischen Gründen etablierte Modelle. Diese Vielfalt müsse auch weiterhin respektiert werden.

Bereits jüngst hatte der katholische Religionspädagoge der Universität Siegen, Ulrich Riegel, über die Vorschläge für eine intensivere konfessionelle Kooperation hinaus für einen „multikonfessionellen" Religionsunterricht plädiert (Nach der Glaubensspaltung. Zur Zukunft des Christentums, Herder Korrespondenz Spezial, Nr. 2/2016, 57-60). Es sei absehbar, dass sich mittelfristig die Frage stelle, wie auch nicht-christliche Schülerinnen und Schüler an religiöser Bildung an öffentlichen Schulen teilhaben können, ohne einen eigenen konfessionellen Unterricht für sie einrichten zu müssen. In dieser Situation biete das multi-konfessionelle Modell in Anlehnung an den reformierten „Religionsunterricht für alle" im Stadtstaat Hamburg eine denkbare Lösung. Da sich in diesem Modell alle teilnehmenden Religionsgemeinschaften auf eine verbindliche inhaltliche Grundlage für den Unterricht einigten, so ist Riegel zuversichtlich, könne dieses den Anforderungen des Grundgesetzes entsprechen.

Noch weiter geht der emeritierte Heidelberger Religionspädagoge Norbert Scholl, der jetzt eine von der Kirchenvolksbewegung „Wir-sind-Kirche" vertriebene Broschüre vorgelegt hat (vgl. auch seinen Beitrag „Schafft diesen Religionsunterricht ab!", in: Publik-Forum, 7. Oktober 2016, 26–29, und die Erwiderung von Albert Biesinger dort: „Gott ist mehr als ein Weltethos", 18. November 2016, 30‒31). Scholl fordert einen religionskundlich unterfütterten Werteunterricht für alle im Klassenverband. In der 45 Seiten starken Broschüre mit dem Titel „,Lebensgestaltung – Ethik – Religion‘ als verpflichtendes Unterrichtsfach für alle an allen Schulen" fasst Scholl die Entwicklung der Zeit seit den weiterhin grundlegenden Konkordatsbeschlüssen aus dem Jahr 1933 umfassend zusammen. Der Kern des Anliegens ist dabei, „von Privilegien wie dem konfessionellen Religionsunterricht rechtzeitig freiwillig Abschied zu nehmen", sich um die Vermittlung von Werten und Tugenden für ein gedeihliches Zusammenleben unterschiedlicher Ethnien, Konfessionen und Weltanschauungen zu bemühen und Verständnis, Respekt und Toleranz zu fördern. Angesichts der weitgehend übereinstimmenden Grundsätze und Zielsetzungen von Staat und Religionsgemeinschaften mit Blick auf den Religionsunterricht solle man sich hier zusammentun.

„Wir sind Kirche" begrüßte in einer eigenen Stellungnahme die in der Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz angestrebte stärkere Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirche als einen längst überfälligen ersten Schritt in die richtige Richtung. Angesichts der Debatten über den Islam und das Zusammenleben in der multikulturellen Gesellschaft stelle sich jedoch mit großer Dringlichkeit die Frage, ob es in der derzeitigen Situation nicht sinnvoller und zukunftsorientiert wäre, ein gemeinsames werteorientiertes Unterrichtsfach für alle an allen Schulen einzuführen.

Das von Scholl angeregte Fach könne „die Grundlagen für ein friedliches Zusammenleben, für die Anerkennung der unantastbaren Würde jedes Einzelnen im Sinne des Grundgesetzes und für eine alle verbindende Wertegemeinschaft legen, einüben und festigen. Gleichzeitig könnte es die Gottesfrage in der säkularen Gesellschaft wachhalten oder wieder neu wecken".


Mehr Forschung gefordert

Demgegenüber heben die Bischöfe so wie das Positionspapier der Religionspädagogen hervor, dass die konfessionelle Prägung des Religionsunterrichts der Tatsache geschuldet ist, dass es faktisch – bei aller positiven ökumenischen Entwicklung – keine christliche „Superkirche" gibt. Genauso wie der Staat derzeit weiterhin seine Not damit hat, für den derzeit aus guten Gründen ausgebauten islamischen Religionsunterricht, hinreichend legitimierte Ansprechpartner zu finden, wäre dies auch bei einem in erster Linie interreligiösen oder auch nur christentumskundlichen Unterricht der Fall. Dass der Staat aus guten Gründen hier auf überzogene Ansprüche verzichten wollte, als er den Religionsunterricht als einziges Schulfach im Grundgesetz ausdrücklich schützt, kann man auch bei Scholl nachlesen. Unmittelbar im Zusammenhang mit dem berühmten Axiom, dass der Staat von Voraussetzungen lebe, die er selbst nicht garantieren könne, heißt es bei Ernst-Wolfgang Böckenförde: Der Staat kann „diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwangs und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurzückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat".

Die Religionspädagogen kündigen in ihrem Papier im Übrigen an, der Weiterentwicklung der Konzepte für den Religionsunterricht einschließlich der empirischen Vergewisserung in Zukunft bei der eigenen Forschungstätigkeit mehr Gewicht verleihen zu wollen. Dazu gehöre auch die stärkere Kooperation mit den Fachvertreterinnen und ‐vertretern der jeweils anderen Konfessionen und Religionsgemeinschaften sowie der Alternativfächer (Ethik/Philosophie und andere) an den Hochschulen, an denen die Religionslehrer ausgebildet werden.

https://www.herder-korrespondenz.de/heftarchiv/71-jahrgang-2017/heft-2-2017/religionsunterricht-die-diskussion-geht-weiter?

Zuletzt geändert am 05­.02.2017