11.2.2017 - Neue Westfälische
Pro und Contra Reliquienkult in der Kirche
Birger Berbüsse
Paderborn. Blut und Knochen, Stoffstücke und Haare, Holzsplitter und Asche: verehrt wird in der katholischen Kirche alles, was die Heiligen (angeblich) auf dieser Erde zurückgelassen haben. Dabei ist die Verehrung von Reliquien fast so alt wie die Kirche selbst. Unumstritten war der "Knochenkult" jedoch nie.
Anlässlich der Papst-Reliquie, die demnächst im Dom zu sehen sein wird, diskutieren der Liturgiewissenschaftler Stefan Kopp und Martin von Erdmann von "Wir sind Kirche" über den Sinn und Unsinn von Reliquien.
Pro: Legitime Glaubensfacette
Setzt Grenzen: Prof. Dr. Stefan Kopp ist Lehrstuhlinhaber für Liturgiewissenschaft an der Theologischen Fakultät Paderborn.
Weil die Heiligen Vorbilder und Fürsprecher sind, genießt ihre Verehrung und die Verehrung ihrer Reliquien und Bilder in der Kirche hohes Ansehen. Die Heiligen sind für die Kirche überzeitliche „Bindeglieder" der Gemeinschaft der Gläubigen mit Gott in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Indem sich der Blick auf ihr (historisches) Lebenszeugnis richtet, kann der Horizont der Gläubigen schon im Jetzt auf das zukünftige Ziel ihres Lebens hin geweitet werden.
Im Bewusstsein dieser überzeitlichen Verbindung der Gläubigen trafen sich schon die frühen römischen Christen in Katakomben und auf Friedhöfen, um dort ihrer Verstorbenen zu gedenken, die Märtyrer zu verehren und als lebendige Gemeinschaft Gottesdienst zu feiern. Daraus entstand der Brauch, auch in den späteren Kirchen diesen Gedanken wach zu halten, Reliquien – vor allem unter den Altären – beizusetzen und die Kirchen bestimmten Heiligen zu weihen. Wer unter den Heiligen besondere Verehrung genoss, war häufig eine „demokratische" Entscheidung und zeigte sich durch die rege Teilnahme der Gläubigen an den Festfeiern. Dabei kam es sicher auch zu problematischen Tendenzen. Aberglaube, Übertreibungen oder auch der Handel mit Reliquien wurden in manchen Phasen der Kirchengeschichte zum Ärgernis oder nahmen unwürdige Züge. Bis heute kann der Umgang einzelner Menschen oder kirchlicher Gruppen mit Heiligen und deren Reliquien zu Verzerrungen des Glaubens an den dreifaltigen Gott führen oder vom Glauben abschrecken. Solchen Tendenzen sind von der kirchlichen Autorität Grenzen zu setzen.
Bis heute ist die Verehrung von Heiligen und ihren Reliquien aber auch eine legitime Facette des Glaubens der Kirche. Gerade in ihrer Unterschiedlichkeit können sie vielen Christen eine Hilfe auf dem Weg der Nachfolge Christi sein. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit sind die Heiligsprechungen von Papst Johannes Paul II. oder Mutter Teresa. Der Ruf „Santo subito" vieler Gläubiger würdigten sie – auf ganz unterschiedliche Weise – als Vorbilder des Lebens und des Glaubens.
Contra: Volksfromme Esoterik
Kritisch: Martin von Erdmann von „Wir sind Kirche" ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in Bethel. Reliquienkult im christlichen Sinne meint die Verehrung von Körperteilen, wie Knochenstücke und Haare oder auch Gegenstände wie Kleidungsstücke von besonderen Menschen – in der Regel von Heiligen. Auch Gegenstände, die ein solcher Heiliger angefasst hat, können bereits als Reliquien gelten. In heutiger Zeit wird sogar Blut solcher Personen konserviert und als Reliquie verehrt z.B. des verstorbenen Papstes Johannes Paul II. Im Vordergrund steht die Verehrung oder sogar die Anbetung – Reliquien als Erinnerung und Symbol der Erlösung durch Gottes Handeln. Durch die Fürbitte des entsprechenden Heiligen vor Gott sollen etwa Heilungen, eine reiche Ernte oder persönliche Vorteile erreicht oder zumindest die Chancen dafür verbessert werden. In der Praxis wird die Reliquie angefasst oder zur Schau gestellt. In Aachen wird eine Windel Jesu verehrt. Wallfahrten und Pilgerreisen zu Reliquien haben manchen Städten – z.B. Köln mit den Gebeinen der Heiligen Drei Könige – viel Geld eingebracht.
Reliquien-Verehrung – war das nicht etwas für das Mittelalter? Aber heute in postmodernen und postfaktischen Zeiten? Spätestens seit der Aufklärung und den aktuellen Erkenntnissen über die Entwicklung des Reliquienkults muss bei allem Respekt für die Tradition des Kultes dieser im Bereich der Volksfrömmigkeit, vielleicht sogar der Esoterik eingeordnet werden. Für viele Menschen hierzulande dürfte der Reliquienkult befremdlich wirken. Im katholischen Katechismus findet sich das Wort nicht. Keine Frage: den Märtyrern und Heiligen der Vergangenheit und Gegenwart gehört viel Anerkennung und hoher Respekt gezollt für die geleisteten Verdienste. Aber die Hoffnung, dass sich Dinge bei der Verehrung und Anbetung eines Bluttropfens oder anderer Reliquien auf magische Weise ändern, erscheint mehr als unglaubwürdig.
Die Reliquien-Verehrung entspricht sicherlich nicht dem Wirken und der Nachfolge Jesu, der beispielhaft ein Leben vorgelebt hat, in dem Gott als vertrauensvolles und den Mensch bedingunglos liebendes Gegenüber existiert.
http://www.nw.de/lokal/kreis_paderborn/paderborn/paderborn/21684679_Glaube-oder-Knochenkult.html
Zuletzt geändert am 25.02.2017