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Veröffentlicht am 07­.07.2017

7.7.2017 - Publik-Forum

Christian Weisner: Was mir die Reformation bedeutet

Die ersten großen Feierlichkeiten des Reformationssommers sind vorbei. Die Debatten um das Erbe Martin Luthers und die politische Wirkungsgeschichte der Reformatoren, an denen sich auch Publik-Forum mit mehreren Beiträgen beteiligt hat, bestimmen nicht mehr das Feuilleton oder die Kultursendungen im Fernsehen. Aber wir halten die Frage wach. In unserer neuen Reihe: »Was mir die Reformation bedeutet« antworten Menschen persönlich auf die Frage, wann und wo sie einen Zugang zum Weltereignis Reformation gefunden haben. Bin ich in meinem Denken, Handeln oder Fühlen, in meiner Arbeit oder in meinem Glaubensleben einmal auf die Anliegen der Reformatoren gestoßen – und was hat sich dadurch verändert? Wir haben bewusst keine Bischöfe, Professoren oder kirchliche Funktionäre angefragt, sondern uns auf Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben und weniger bekannte Mitbürger konzentriert. Konfession oder Kirchenzugehörigkeit spielte keine Rolle. Den Auftakt macht Christian Weisner von der katholischen Reformbewegung Wir sind Kirche.
Unser Freundschaftsweg

Aufgewachsen bin ich als Katholik in dem überwiegend evangelischen Schleswig-Holstein, in der »Diaspora «. So hieß das in den 1950er-Jahren, und so lebten wir auch: als kleine Minderheit, der das Trennende zwischen den Konfessionen wichtiger war als das Gemeinsame. Der Religionsunterricht war apologetisch ausgerichtet. Ökumene noch ein Fremdwort. Es war schon etwas Besonderes, dass wir während der Renovierung der katholischen Stadtkirche in Kiel unsere Gottesdienste im evangelischen Gemeindehaus feiern konnten. Dass meine Freundin in der Studienzeit evangelisch und sogar Pastorentochter war, galt noch als Skandal.

Welch einen Epochenwechsel bedeutete da das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965), das Papst Johannes XXIII. einberufen hatte. Ursprünglich war es sogar als Ökumenisches Konzil gedacht. Aber auch so hat es eine große Öffnung gegenüber den Anliegen der Reformation gebracht. Für mich, Jahrgang 1951, fiel die kirchliche Aufbruchsstimmung mit meiner jugendlichen Aufbruchszeit zusammen und prägt mich bis heute. Dieses Konzil hat den Absolutheitsanspruch der römischen Kirche aufgehoben, die Ökumene zu den Kirchen der Reformation und zur Orthodoxie eröffnet, die Probleme der ganzen Welt in den Blick genommen, die Feier des Gottesdienstes in der Muttersprache ermöglicht.

Schon beim Ökumenischen Pfingsttreffen 1971 in Augsburg wurden konkrete Schritte für das Zusammenwachsen der Kirchen gefordert. An der Basis entwickelte sich eine ökumenische Praxis. Doch mehr als dreißig Jahre mussten vergehen, ehe im Jahr 2003 der erste Ökumenische Kirchentag in Berlin stattfinden konnte – aber immer noch ohne erlaubte Mahl-Gottesdienste. Ja, Rom verbot dies sogar noch mal ausdrücklich. Eine wechselseitige Gastfreundschaft bei Eucharistie und Abendmahl, an der Basis vielerorts schon praktiziert, gab es auf dem Kirchentag nur bei den von den Reformgruppen Wir sind Kirche und Initiative Kirche von unten mitgestalteten Gottesdiensten in der Gethsemanekirche. Für viele war dies ein unvergessliches ökumenisches und zukunftsweisendes Ereignis – auch wenn die harten Strafen vor allem gegen den katholischen Geistlichen Gotthold Hasenhüttl noch immer nicht aufgehoben sind.

Der KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche wird vorgeworfen, dass sie die katholische Kirche evangelisch machen wolle. Ja, evangeliumsgemäßer auf jeden Fall. Jesus hat weder zölibatäre Priester noch die Ausgrenzung der Frauen gewollt. Dass die Reformation auch die römische Kirche positiv beeinflusst hat, wird mehr und mehr anerkannt. Ich bin sehr dankbar für die weltzugewandte Theologie eines Dietrich Bonhoeffer und einer Dorothee Sölle sowie für viele ganz konkrete Impulse aus der Reformation, die die Verantwortung des und der Einzelnen im Glauben betont.

500 Jahre nach der Reformation sehe ich die große Verantwortung der Kirchen in unserem Land, gemeinsam die Chance für weitere konkrete Schritte zu nutzen, die uns auch Papst Franziskus ermöglicht. Die Glaubwürdigkeit christlichen Handelns wird auch an der Versöhnungsbereitschaft der Kirchen untereinander gemessen. Dies gilt vor allem für die Frage der Abendmahlsgemeinschaft.

Als Papst Franziskus im November 2015 die lutherische Christuskirche in Rom besuchte, überreichte er der Gemeinde als Gastgeschenk einen Kelch für die Abendmahlsfeier – was für ein starkes Symbol! Und einer evangelischen Frau, die mit einem Katholiken verheiratet ist, antwortete er auf ihre Frage nach der Abendmahlgemeinschaft: »Sprecht mit dem Herrn und geht weiter.«


Christian Weisner, Mitinitiator des »KirchenVolks- Begehrens« 1995 in Deutschland, seitdem in der KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche und international engagiert, Jahrgang 1951, lebt mit Familie in Dachau. E-Mail: weisner@wir-sind-kirche.de


Zuletzt geändert am 07­.07.2017