Christian Weisner: Es brennt an vielen Stellen: Finanzskandale, sexueller Missbrauch durch Kleriker, Vertrauensverlust. Aber vor allem muss die Kirche aufpassen, dass sie den Kontakt zu den Menschen nicht verliert. Die Seelsorgeeinheiten werden immer größer. Aber, nur ein Vergleich, wenn man den Busfahrplan ausdünnt, fahren noch weniger Leute mit dem Bus. Deshalb müssen neue Wege gesucht arbeitet werden, um eine ortsnahe Seelsorge zu gewährleisten. Und wir müssen uns fragen, woher die Sorgen und Ängste vieler Menschen kommen, die sich in der Kirche nicht mehr beheimatet fühlen.

Wie könnte man dieser Entwicklung begegnen?

Weisner: Die Strukturreformen werden immer mit dem Priestermangel begründet. Es gibt etwa 2000 verheiratete Priester in Deutschland, von denen viele bereit wären, kirchliche Aufgaben zu übernehmen. Die Kirche sollte verheiratete Priester reaktivieren, statt sich aus der Fläche zurückzuziehen.

"Wir sind Kirche" fordert auch, kirchliche Ämter für Frauen zu öffnen.

Weisner: Ja, aber nicht wegen des Priestermangels. Die Frauen, die jetzt schon einen Großteil des Gemeindelebens gestalten, sollen jetzt nicht auch hier noch als Lückenbüßerinnen dienen. Das wäre eine falsche Argumentation. Vielmehr befinden wir uns im Umbruch, in einer Erneuerungsphase. Das ist, wenn Sie so wollen, die "Me-too-Debatte" auf katholisch. Wir müssen wegkommen von der Zwei-Stände-Kirche mit dem Hirten auf der einen und der Herde auf der anderen Seite. Sicherlich braucht es Leitungsämter, aber Papst Franziskus selbst kreidet die Vormachtstellung der Männer an. Auch die Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils sehen die Kirche zuerst als Gemeinschaft vor. Momentan konzentriert sich alles noch viel zu sehr auf den Bischof und die Priester. Die Kirche ist zwar keine Demokratie, aber auch keine Monarchie.

Sie sprechen von einem Dialog zwischen Kirchengemeinde und Bischof auf Augenhöhe. Mit welchem Instrumentarium könnte das gelingen?

Weisner: Auch in der katholischen Kirche müssen wir noch sehr viel mehr Synodalität praktizieren. Die Synode ist eine kirchliche Form des Beratens, des Zusammenkommens und des Zusammenfindens. Das ist manchmal mühsam, aber wir müssen alle Menschen beteiligen und dürfen niemanden ausgrenzen. Jesus hat mit dem Zöllner, den Aussätzigen und mit Prostituierten gesprochen.

Was Sie für die katholische Kirche fordern - verheiratete Pfarrer, Pfarrerinnen, sogar Bischöfinnen, und eine starke Stellung der Gemeinde - gibt es alles in der evangelischen Kirche. Dennoch verliert die evangelische Kirche noch mehr Gläubige als die katholische.

Weisner: Die evangelische Kirche hat die Frauen als Pfarrerinnen auch erst sehr spät entdeckt. Dort ist die Beteiligung formal gegeben. Der evangelische Glauben hat wohl eine direktere Beziehung zu Gott, was zu einem vereinzelnden Glauben führen kann. Bei den Katholiken gibt es wohl noch eine tiefere Kirchenbindung. Aber beide Kirchen müssen sich fragen lassen, was Kirche und was Glaube heute ausmacht.

Inwiefern?

Weisner: In den 1960er- und 70er-Jahren ist Religion zur Privatsache erklärt worden. Nun, mit den Flüchtlingen, kommen auch sehr gläubige Menschen zu uns. Das konfrontiert uns mit der Frage, was wir an Glauben und Hoffnung anzubieten haben und was Religionen gemeinsam erreichen können. Religionen können Hass schüren, sie können Menschen aber auch zusammenführen. Das muss jetzt die gemeinsame Aufgabe sein. Hier ist Papst Franziskus ein großer Hoffnungsträger, der die Autorität des Amtes mit persönlicher Authentizität verbindet. Das Zeitfenster, das wir mit Franziskus haben, sollten wir nützen.

Wie, denken Sie, ist die Stimmung an der Basis, also beim Kirchenvolk?

Weisner: Die Erwartung, dass der Bischof schon einen guten Priester schicken wird, haben viele Menschen schon verloren. Die Gemeinden machen sich selbst auf den Weg, einen sicherlich schmerzhaften, schwierigen Weg, der auch Rückschläge bringen kann. Aber die Not ist groß und wir brauchen neue Wege, damit die Kirche lebendig bleibt. Die Bischöfe müssen noch viel mehr als bisher auf die Menschen zugehen. ‹ŒDK

Das Interview führte Josef Bartenschlager.

 

Kirchenvolksbewegung

Die Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“ ist aus dem Kirchenvolksbegehren hervorgegangen, das 1995 allein in Deutschland von 1,8 Millionen Menschen unterschrieben wurde. Die fünf Forderungen zielen auf mehr Mitbestimmung in der Kirche, die Gleichberechtigung der Frau, die Freistellung des Zölibates, eine positive Bewertung der Sexualität und die Verkündigung als Frohbotschaft und nicht als Drohbotschaft. Die katholische, aber ökumenisch orientierte Reformbewegung „Wir sind Kirche“ ist weltweit vernetzt. baj

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