| |
Veröffentlicht am 04­.04.2007

4.4.2007 - Kölner Stadt-Anzeiger / dpa

Die Deutschen und „ihr” Papst

VON MATTHIAS HOENIG

Hamburg - Die Faszination der Bilder ist unvergessen: Papst Benedikt, der Menschenfischer, fährt mit einem Rheinschiff nach Köln, die Massen beim Weltjugendtag jubeln. 700 000 Menschen feiern an einem Samstagabend mit dem Pontifex eine Vigil, eine Andachtsform, deren Namen selbst viele Katholiken kaum noch kennen. Und dann der größte Gottesdienst auf deutschem Boden: Eine Million Menschen strömen zum Pontifex, zu Joseph Ratzinger, aufs Marienfeld bei Köln. Das war im August 2005, vier Monate nach dem Konklave, als eine Boulevard- Zeitung titelte: Wir sind Papst!

Sind wir noch Papst? Zwei Jahre nach der Wahl am 19. April 2005 stellt sich die Frage, ob und wie Benedikt XVI., der erste Deutsche seit 500 Jahren auf dem Stuhle Petri, Deutschland verändert hat. Zugegeben: Im September 2006, beim Heimatbesuch in Bayern, wieder Massen, aber maximal "nur" um die 250 000 Menschen bei den Papstmessen. Es ist ein Besuch, der vor allem zu Herzen geht, es menschelt. Bilder mit Bruder Georg am Grab der Eltern, Stippvisite im Geburtsort Marktl.

Und dann die Rückkehr zu "seiner" Universität nach Regensburg, das Wiedersehen des Professors Ratzingers mit altvertrauten Schülern und Gelehrten. Doch hängen bleibt vor allem die verhängnisvolle Vorlesung: Der kluge Vortrag, dass Glaube und Vernunft untrennbar sind - eine Spitze gegen die moderne Aufklärung ebenso wie religiösen Fundamentalismus - wird kaum wahrgenommen. Auch die Mahnung, dass Religion und Gewalt nicht zusammen passen, verhallt fast ungehört. Nur das Zitat eines mittelalterlichen Kaisers, dass der Prophet Mohammed fast nur Schlechtes gebracht habe, nämlich die Verbreitung des Glaubens mit dem Schwert, rast um die Welt und löst in der islamischen Welt Gewalttaten gegen Christen aus.

Auschwitz, das deutsche Vernichtungslager im besetzten Polen, wird ebenfalls zum diplomatischen Minenfeld. Ergreifende Worte findet der Papst im Mai 2006 über den Holocaust, aber die Schuld des deutschen Volkes nennt er nicht beim Namen, es ist ein verführtes Volk, wie Ratzinger sagt. International löst das Stirnrunzeln aus. Doch der während der Rede in Auschwitz aufbrechende Regenbogen am Himmel wird zum stärksten Zeichen, ein Bild, das manchem Gläubigen als göttliches Zeichen haften bleibt.

Gottes- und Glaubenslehrer

In seinen Predigten in Deutschland gibt Benedikt den Katecheten, den Gottes- und Glaubenslehrer, das ist der rote Faden. Ratzinger versucht den christlichen Glauben auf den Kern zurückzuführen, er lenkt den Blick auf Gott, auf Jesus Christus, der am Kreuz zur Erlösung der Menschheit gestorben ist. Kommentatoren sind verunsichert. Kommt das an in einem Land, das seit langem von Kirchenaustritten und der Verdunstung des Glaubens als Folge der Säkularisierung geprägt ist? Trifft der Mann mit der Kirchensprache noch den Ton der jungen Generation?

Studien und Umfragen belegen inzwischen eine neue Religiosität. Es ist wieder salonfähig, über Glauben und Werte zu sprechen. Der katholische Publizist Martin Lohmann diagnostiziert in seinem neuen Buch "Maximum - Wie der Papst Deutschland verändert" sogar eine "Benedettinische Wende". Er sieht eine Rückkehr zur Familie, Christen werden zur gesellschaftlichen Avantgarde und tragen zur Orientierung wieder stärker bei.

Dieser optimistischen Sicht stehen Erosionen im Alltag der katholischen Kirche gegenüber. Der Klerus ist völlig überaltert, der Priestermangel spitzt sich zu. Unmut macht sich an der Basis breit, weil Bistümer wie Essen, Berlin, Aachen oder Hamburg Kirchengemeinden zusammenlegen. Die lokale Gemeinde-Identität droht zu schwinden, mahnen Kritiker. Reformkräfte wie die Bewegung "Wir sind Kirche" oder der Tübinger Theologe Hans Küng fordern, den ihrer Meinung nach seit Jahrzehnten ungelösten Reformstau in der Kirche anzupacken. Doch in der Frage des Zölibats, des Frauenpriestertums oder eines gemeinsames Abendmahl für Katholiken und Protestanten hat Papst Benedikt bislang nichts Zählbares auf den Weg gebracht - im Gegenteil: künftig soll die lateinische Messe wieder mehr Gewicht bekommen.

Diese innerkirchlichen Probleme berühren Kirchenferne wenig. Die intellektuelle Brillanz und argumentative Schärfe etwa im Dialog mit dem Islam haben Benedikt attraktiv gemacht auch für gesellschaftliche Eliten. Das Lebensthema des Papstes, die seit der Säkularisierung wie Gegensätze gehandelten Existenzpole Glaube und Vernunft wieder zusammenzuführen, ist eine für den modernen Menschen grundlegende Problematik, wie Theologen und Philosophen betonen.

Kardinal Karl Lehmann, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz sagt, dass die Menschen immer auch nach religiöser Orientierung in konkreten Personen suchen. Dass - gerade in Deutschland - die Person eines Papstes aus unserem Land solche Orientierung geben könne, sei sicher richtig. "Wir wissen auch, dass eine Offenheit für religiöse Fragen nicht zwangsläufig in die Kirche führt." Es kommt also nicht nur auf den Papst an, sondern auf das persönliche Glaubenszeugnis eines jeden Christen, ob die deutsche Gesellschaft noch Papst ist. (dpa)

Zuletzt geändert am 04­.04.2007