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Veröffentlicht am 20­.07.2018

20.7.2018 - MDR

Warum die Kirchen immer mehr Mitglieder verlieren

Deutschlandweit haben die beiden großen christlichen Kirchen 2017 rund 660.000 Mitglieder verloren. Die Zahl der Protestanten ging um 390.000 Mitglieder auf 21,5 Millionen zurück. Die Zahl der Katholiken sank um 270.000 auf 23,3 Millionen. Wie kommt der Verlust zustande und was ist daraus zu schließen?

Der Mitgliederschwund in den beiden großen christlichen Kirchen setzt sich fort. Das liege aber nicht nur am demografischen Wandel, sagt der Eisenacher Superintendent Ralf-Peter Fuchs, auch die Menschen änderten sich.

Man geht heute in eine Community, klickt sich ein und wieder aus. Eine lebenslange Mitgliedschaft ist etwas anderes und nicht mehr das, was die Menschen heute wählen. Darauf muss sich Kirche einstellen.

Ralf-Peter Fuchs, Eisenachs Superintendent

Das heißt für Fuchs aber noch nicht, dass das Interesse an Kirche stirbt.

Volle Kirchen sind zwar selten geworden, aber als soziale Stütze der Gesellschaft weiter sehr gefragt: "Bei den Kindergärten, den christlichen Schulen oder anderen Einrichtungen haben wir eher das Problem, dass wir Menschen sagen müssen: Wir sind voll. Wir haben keine Plätze mehr." Tatsächlich bietet die Diakonie bundesweit eine halbe Million Plätze in Kitas und Horten.

Auch was Kirche im kulturellen Bereich leiste, wisse im Bach-Land Thüringen jeder, sagt Fuchs. Was da an Musikaufführungen oder Chorarbeit in den kleinsten Dörfern geschehe, sei unglaublich viel: "Da ist Kirche - so nehme ich es wahr - nach wie vor interessant für Menschen", sagt Fuchs. Und:

Das Kerngeschäft von Kirche lässt sich ohnehin nicht in Zahlen fassen. Es geht um Lebenseinstellungen und -überzeugungen, darum, wie man umgeht, mit diesem schönen schweren Leben in all seinen Facetten.

Neu durchgezählt

Um nüchterne Zahlen als Kompass für die Entwicklung der beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland ging es aber, als die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) vor einer Woche die Mitglieder-Bilanz für 2017 vorstellten. Die katholische Kirche verlor demnach in den 27 Bistümern etwa 270.000 Mitglieder, der Verlust der EKD fällt mit 390.000 Mitgliedern in den 20 Landeskirchen noch deutlich höher aus. Insgesamt gehören der katholischen Kirche noch mehr als 23 Millionen Mitglieder an, was rund 28 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. Die EKD verweist auf 21,5 Millionen, was einen Anteil von 26 Prozent bedeutet.

Als Hauptursache für den Rückgang wurde der demografische Wandel ausgemacht: Mehr Mitglieder stürben als neue hinzukämen. Eine Umkehrung des Trends ist nicht in Sicht. Denn, so hieß es weiter, 2017 sei in beiden Kirchen auch die Zahl der Austritte gestiegen. Die katholische Kirche registrierte 167.504, die EKD meldete 200.000 Austritte.

Experten wie der Publizist Andreas Püttmann meinen wie Eisenachs Superintendent, dass der Schwund nicht nur demografische Gründe habe, sondern ein Zeichen dafür sei, dass die Vermittlung des Glaubens "nicht mehr richtig funktioniert". Püttmann sieht die "erdrutschartigen Abbrüche in der jungen Generation" als Beleg dafür. Er räumt aber ein, dass der Schwund nicht so rasant verlaufe wie bei den Volksparteien oder bei manchen Vereinen. Religionssoziologe Detlef Pollack von der Universität Münster erklärt dazu, die Jugend werde "so wenig im Glauben erzogen, wie das in Deutschland in den letzten Jahrzehnten nie der Fall war". Dafür sprechen die rückläufigen Zahlen bei den Gottesdienstbesuchen.

Der Leipziger Religionssoziologe Gert Pickel sieht es ähnlich und meint, nicht Unzufriedenheit, sondern der Säkularierungsprozess der Gesellschaft zeige sich in den Austrittszahlen, die 2017 im Vergleich zu 2016 nochmal leicht stiegen. Das müsse die Kirchen noch betroffener machen, findet Pickel. Denn schließlich habe es anders als in den Vorjahren keine Skandale gegeben, die als Austrittsgrund gelten könnten. Eine Möglichkeit, jüngere Menschen wieder für die Kirchen zu gewinnen, sieht Pickel bei Angeboten im sozialen Bereich. Derzeit engagierten sich in den kirchlichen Angeboten zur Flüchtlingshilfe interessanterweise eher kirchenferne Jugendliche.

Nach der Vorstellung der Mitgliederstatistik vor einer Woche schlussfolgerte auch der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz Pater Hans Langendörfer, die Zahlen zeigten, "dass wir als Kirche in einer Welt der Individualisierung, der pluralen Religiösität - in einer Welt des Umbruchs leben". So müsste die Kirche "neue Wege finden, Menschen zu erreichen, sie zu begleiten und ihnen nah zu sein". Dem entgegen steht u.a., dass die Zahl der katholischen Seelsorger eher abnimmt.

Die KirchenVolksBewegung "Wir sind Kirche" kommentierte, eine Trendwende sei nur möglich, "wenn endlich die jahrzehntelang vorgenommenen unsäglichen Strukturreformen in Form von Pfarreizusammenlegungen und -schließungen gestoppt" würden. Denn dies trage zu einer "immer größeren Entheimatung bei, die auch im politischen Bereich zu negativen Entwicklungen" führe. An die deutschen Bischöfe appellierte "Wir sind Kirche", der Aufforderung von Papst Franziskus nachzukommen, "mutige Vorschläge" zu entwickeln und neue Möglichkeiten zuzulassen, "um auch in Zukunft in überschaubaren Gemeinden Gottesdienst feiern zu können".

Kirchensteuereinnahmen steigen

Der Zeitpunkt, etwas zu ändern, scheint mit Blick auf die Finanzen günstig - noch: Denn ungeachtet der sinkenden Mitgliederzahlen stiegen die Kirchensteuereinnahmen weiter an. Bei der katholischen Kirche waren es 2017 rund 6,43 Milliarden Euro im Vergleich zu 6,15 Milliarden Euro im Jahr 2016. Die EKD verzeichnete 5,67 Milliarden Euro im Vergleich zu 5,45 Milliarden Euro im Jahr zuvor. Zurückzuführen sei dies auf die gute wirtschaftliche Lage und die damit verbundene Lohnentwicklung. Mit Blick auf die Demografie stelle man sich allerdings auf sinkende Einnahmen ein.

Eckdaten zu den Bistümern 2017 (Auswahl)
  Katholiken Taufen Bestattungen Austritte
Dresden-Meißen 142.340 960 1.100 1.425
Erfurt 148.101 1.149 1.419 869
Görlitz 29.466 223 241 164
Magdeburg 82.345 410 752 674
EKD-Eckdaten 2017 (Auswahl)
  Protestanten Taufen Ev. Verstorbene Austritte
Ev. Landeskirche Anhalt 32.611 156 1.188 227
Ev. Landeskirche in Mitteldeutschland 712.008 5.047 16.805 5.631
Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens 689.858 5.643 13.944 6.197

https://www.mdr.de/religion/mitgliederschwund-der-kirchen-was-tun100.html

Zuletzt geändert am 30­.07.2018