3.8.2018 - Badische Zeitung
Das Leid und die Frage der Menschen nach Gott
BZ-PORTRÄT: Johann Baptist Metz, der Gründer der „Neuen Politischen Theologie“, wird am Sonntag 90 Jahre alt
Von Gerhard Kiefer
Johann Baptist Metz ist gerade 16, als sich ihm die Frage nach dem Warum erstmals, aber gleich brutal stellt. Als er 1945 als Flakhelfer zur Kompanie zurückkehrt, findet er dort „nur noch Tote, lauter Tote“. Kameraden, mit denen er „noch tags zuvor Kinderängste und Jungenlachen geteilt hat“, plattgewalzt von Panzern oder gefallen im Feuer alliierter Jagdbomber. Sein ebenso lautloser Schrei in einer Kirche wird zur ohnmächtigen Anklage: Weshalb verhindert Gott in seiner verkündeten Allmacht dieses Leid nicht?
Eine Erfahrung, die den Lebensweg dieses Theologen prägt. Johann Baptist Metz gerät nie in Versuchung, Religion nur als Wissenschaft und den Glauben als irrelevant für Politik und Gesellschaft misszuverstehen. Anders als viele andere vergisst er nach dem Krieg nicht, auch theologisch zu fragen, wie es dazu gekommen ist. Könne man nach Auschwitz noch davon reden, Gott sei nicht nur existent, sondern auch präsent, empfinde das Leid der Menschen? Sehe er das Schicksal der von Nazi-Deutschland ermordeten sechs Millionen Juden? Atheist wird der „sanfte Feuerkopf“, wie man ihn nennt, zwar nicht, aber seine Fragen bleiben, gerade die nach der Theodizee. Und jene an seinen Doktorvater, den aus Freiburg stammenden Jesuiten Karl Rahner: „Warum sieht man unserer Theologie die Leidensgeschichte der Menschen so wenig oder überhaupt nicht an?“
Karl Rahner wird für Metz, der 1928 im oberpfälzischen Auerbach zur Welt kommt und in Amberg Abitur macht, in seinem Studium in Innsbruck zum wichtigsten Lehrer und Freund. Seine philosophische Doktorarbeit schreibt er mit 24 Jahren über Heidegger, seiner Priesterweihe 1954 folgt 1961 seine theologische Dissertation über ein Thema bei Thomas von Aquin. Und noch ehe er bei Rahner in München seine Habilitationsschrift
fertigstellt, holt ihn die Westfälische Wilhelms-Universität 1963 als Fundamentaltheologen nach Münster.
Dass Johann Baptist Metz ihr bis zur Emeritierung 1993 treu bleiben wird, „verdankt“ er auch Joseph Ratzinger: Als Erzbischof von München verhindern der spätere Papst Benedikt XVI. und der aus Freiburg stammende bayerische Kultusminister Hans Maier 1979, dass der ihnen wohl als zu links profilierte Professor an die Ludwig-Maximilians-Universität berufen werden kann. Metz zählt 1989 zu jenen 300 Professoren, die sich in ihrer „Kölner Erklärung“ jede päpstliche Disziplinierung der Theologie verbitten.
Für die von Hoffnung begleitete, vom Vatikan aber ignorierte Synode der deutschen Bistümer 1971 bis 1973 in Würzburg verfasst Metz das Dokument „Unsere Hoffnung“. 1978 bereichert er den Katholikentag in Freiburg mit einem Beitrag über „Christen und Juden nach Auschwitz“. Dass er sich um das Verhältnis zu den Juden kümmert, dankt ihm die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit mit der Buber-Rosenzweig-Medaille; die Salzburger Hochschulwochen würdigen das vielbändige Gesamtwerk mit dem „Theologischen Preis“. Für seine neue, von Konservativen als links attackierte „Politische Theologie“ stehen auch die protestantischen Theologen Dorothee Sölle und Jürgen Moltmann. Als „Theologie nach Auschwitz“ fordert Metz, das Christentum müsse Position beziehen und so das Evangelium in die Gesellschaft übersetzen, die er der „religionsfreundlichen Gottlosigkeit“ bezichtigt. Metz verlangt Parteinahme für die Armen statt bloßer Sorge um deren Seelenheil. Die „Compassion“, die Empfindsamkeit für das Leid der Anderen, nennt er einen Schlüsselbegriff im „Aufbruch der Kirche aus ihrer drohenden Selbstprivatisierung“. Dieser Begriff aus dem Spanischen führt zur „Theologie der Befreiung“, die die neue Politische Theologie kontaktiert, die Johannes Paul II. und Benedikt XVI. aber stets verworfen haben.
Am Sonntag wird Johann Baptist Metz 90 Jahre alt. Vom katholischen Episkopat akzeptiert ist er bis heute nicht. Als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz hat ihm Kardinal Reinhard Marx nur persönlich geschrieben. Die Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“ hingegen gratuliert „einem der einflussreichsten Theologen“: Indem Papst Franziskus die Option für die Armen und für eine arme Kirche weltkirchlich zum Programm erhebe, gebe er Metz Recht
Zuletzt geändert am 03.08.2018