21.8.2018 - Neue Ruhr Zeitung / DPA
Viele Kirchengemeinden missachten Regeln für Kirchenasyl
Berlin Das Kirchenasyl kann Flüchtlingen neue Hoffnung geben und dafür sorgen, dass Härtefälle nochmals kritisch geprüft werden. Doch auf dem Weg zu einer Entscheidung arbeiten längst nicht alle Kirchengemeinden wie vereinbart mit den Behörden zusammen.
Beim Thema Kirchenasyl hakt es gewaltig bei der Zusammenarbeit zwischen den Kirchengemeinden und dem Flüchtlingsbundesamt.
In rund der Hälfte aller Fälle haben die Kirchengemeinden nach Behördenangaben in den vergangenen gut eineinhalb Jahren einen wesentlichen Punkt des vereinbarten Verfahrens missachtet. Zwischen Anfang 2017 und Ende Juni 2018 sei in gut 50 Prozent der Fälle kein Härtefall-Dossier eingereicht worden, teilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag mit. Insgesamt seien in diesem Zeitraum Kirchenasylmeldungen für 3481 Menschen eingegangen.
Auf Grundlage der eingereichten Dossiers soll das Bamf die Härtefälle eigentlich - gemäß einem im Februar 2015 eingeführten Verfahren - erneut kritisch prüfen. Die neue Herangehensweise war damals zwischen Kirchen und staatlichen Stellen vereinbart worden.
Der bei der katholischen Deutschen Bischofskonferenz (DBK) für politische Fragen zuständige Prälat Karl Jüsten schrieb in einem internen Papier, man habe Kenntnis von erheblichen Versäumnissen. "Aus Gesprächen mit dem Bamf wissen wir (...), dass 2017 bedauerlicherweise nur in etwa der Hälfte aller Kirchenasylfälle ein Dossier eingereicht wurde", berichtete Jüsten und bezog sich dabei sowohl auf katholische, evangelische als auch freikirchliche Fälle. Zuerst hatte die "Welt" über Jüstens Aussagen berichtet. Ein DBK-Sprecher sagte, eigene Zahlen zu möglichen Versäumnissen bei der Dossiererstellung erhebe die Bischofskonferenz nicht.
Kirchenasyl gewährt wird grundsätzlich jenen Menschen, deren Leib und Leben durch eine Abschiebung bedroht wäre oder die nicht hinnehmbare soziale und psychische Härten ertragen müssten. Ziel ist, dass die Flüchtlinge doch ein Bleiberecht in Deutschland erlangen. Sakrale Räume haben eine jahrhundertealte Schutztradition. Die Flüchtlinge leben aber in den seltensten Fällen direkt in der Kirche, vielmehr im Gemeinde- oder Pfarrhaus oder in anderen Räumen. Dort sind sie weitgehend vor einem polizeilichen Zugriff geschützt, denn der deutsche Staat achtet das Kirchenasyl.
Jüsten schrieb in dem Papier weiter, die Tradition des Kirchenasyls ermögliche es, "den Behörden Einzelfälle zur erneuten Prüfung vorzulegen und auf diese Weise humanitäre Härten zu verhindern". Voraussetzung dafür sei "ein gutes Einvernehmen" mit den zuständigen staatlichen Stellen. Deshalb sei es der DBK ein Anliegen, dass Kirchengemeinden und Ordensgemeinschaften die Vorgehensweise beachteten. Man sei "gut beraten", Dossiers einzureichen.
Seit Anfang August können die Behörden nun etwas effektiver auf Hinhaltetaktiken reagieren und eine Überstellung eines Asylsuchenden ins jeweilige EU-Erstaufnahmeland bis zu 18 Monate lang verhindern. Bisher war dies lediglich sechs Monate lang möglich gewesen. Bei neuen Kirchenasylfällen werde man nun von einer Überstellungsfrist von 18 Monaten ausgehen, wenn sich die Kirchengemeinden nicht an das abgesprochenen Verfahren hielten, teilte das Bamf mit.
Überstellungsfristen sind vor allem für sogenannte Dublin-Fälle relevant. Nach der Dublin-Verordnung sollen Asylbewerber dort registriert werden, wo sie die Europäische Union zuerst betreten - das jeweilige Land ist auch für den Asylantrag zuständig. Wird der Betreffende in einem anderen EU-Staat aufgegriffen, könnte er im Prinzip in das Einreiseland zurückgeschickt werden. Erst nach Ablauf der Überstellungsfrist geht die Zuständigkeit für das Verfahren an den Mitgliedsstaat über, der um Übernahme ersucht hat.
Die neue Regelung sei eine ungerechtfertigte Verschärfung, die nur zeige, wie wenig sinnvoll und realistisch das jetzige Dublin-Verfahren angesichts der Flüchtlingsbewegungen in den letzten Jahren sei, sagte der Sprecher der katholischen Reformbewegung "Wir sind Kirche", Christian Weisner, der dpa. "Angesichts der insgesamt nach wie vor sehr geringen Zahlen von Kirchenasyl wäre es sehr ungut, wenn der Staat dieses wichtige christliche Signal der Asylgewährung noch mehr einschränken würde."
Zuletzt geändert am 22.08.2018