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Veröffentlicht am 17­.04.2007

17.4.2007 - Stuttgarter Zeitung

"Joseph Ratzinger will keine Veränderungen in der Kirche"

Die Reformbewegung Wir sind Kirche ist von Benedikt XVI. enttäuscht - Ihr Sprecher Christian Weisner beklagt die wachsende Entfremdung Roms von den Laien.

Die Reformer von der Kirchenvolksbewegung ziehen eine kritische Bilanz von Benedikts bisheriger Amtszeit. Probleme würden nicht angepackt, Kritiker gemaßregelt, der Kirchenführer agiere ängstlich. Das sagt der Sprecher der Bewegung, Christian Weisner, zu Michael Trauthig.

Der Papst feiert doppeltes Jubiläum. Feiert die Kirchenvolksbewegung mit?

Bei vielen Lobreden mag eine gute Portion Nationalstolz mitschwingen. Zwei Jahre nach der Wahl müssen aber auch die kritischen Punkte seines Pontifikats angesprochen werden dürfen.

Fangen wir lieber mit dem Lob an. Was halten Sie Benedikt zu Gute?

Man sollte ihn daran messen, was er versprochen hat. Nach seiner Papstwahl hat er betont, wie wichtig ihm die Ökumene sei. Leider hat sich aber seitdem kaum etwas bewegt. Vor allem hat es keinen Schritt zur Annäherung an die Protestanten gegeben. Nicht einmal konfessionsverschiedene Ehepaare werden zur Eucharistie zugelassen. In Regensburg ist ihm mit seinem Mohammed-Zitat ein schwerer interreligiöser Affront unterlaufen. Diesen Fehler hat er bei seiner Türkeireise ausgebügelt. Doch leider hat darunter der Versuch des Kirchenoberhaupts gelitten, mit seiner Türkeireise eine Brücke zu den Orthodoxen zu schlagen.

Sie sollten doch zuerst Benedikt loben.

Das fällt mir schwer. Beispielsweise hatte er angekündigt, den Zentralismus in der Kirche zurückzunehmen, was wir sehr begrüßenswert fanden. Im Oktober 2005 gab es dann wieder eine Weltbischofssynode in Rom, auf der die Bischöfe auch offener als früher ihre Meinungen sagen konnten. Doch die Voten, die nicht auf der Linie des Papstes lagen, fielen hinterher unter den Tisch. Bei seinem viel beachteten Treffen mit dem Kritiker Hans Küng waren Reformthemen und die Rehabilitation Küngs ohnehin von vorneherein ausgeklammert worden.

Sie meinen, der Papst lasse zwar über Tabuthemen reden, höre aber nicht auf Reformer?

Genauso ist es. Zum drängenden Thema Zölibat hat es eine große Konferenz im Vatikan gegeben. Denn der Priestermangel, der nicht nur, aber auch durch die Pflicht zur Ehelosigkeit bedingt ist, verschärft sich zunehmend, andernorts noch viel mehr als in Deutschland. Weltweit kommen heute 2700 Gläubige auf einen Priester. 1978 waren es nur 1800. In Südamerika muss sich ein Priester sogar um 7000 Gläubige kommen. Das heißt, vielerorts kann sonntags gar nicht mehr die Eucharistie gefeiert werden. Hier ist leider keine Veränderung in Sicht. Weder will der Papst im Gemeindeleben erfahrene, verheiratete Männer für das Priesteramt zulassen, noch will er Weiheämter für die Frauen öffnen.

Warum bleiben die alten Positionen?

Joseph Ratzinger ist deshalb zum Papst gewählt worden, weil er bei seiner Predigt zur Beerdigung seines Vorgängers klar gemacht hat, dass er keine Veränderung in der Kirche will. Das hat die Mehrheit der Kardinäle fasziniert. Der Stillstand ist nur logisch.

Ihr negatives Urteil passt nicht zur Sympathiewelle, auf der Benedikt schwimmt.

Ratzinger hat als Präfekt der Glaubenskongregation scharf agiert. Als Papst muss er nicht mehr selber Glaubenshüter sein. Das hat ihm einen Imagewandel beschert, der darüber hinwegtäuscht, dass er immer noch Vertreter eines starren Dogmatismus ist. Daran ändert auch der Verkaufserfolg seiner Bücher nichts. Die werden zwar erstanden, aber ich glaube nicht, dass viele Menschen deswegen in die Kirche zurückkehren oder sich an die moralischen Weisungen des Papstes etwa in Sexualfragen halten.

Die Distanz zwischen Basis und Kirchenspitze wächst, obwohl hunderttausende zum Weltjugendtag geströmt sind?

Die Distanz wächst fast überall. Kurz vor seiner Reise nach Südamerika hat der Papst mit der Verurteilung eines Befreiungstheologen gerade erst einen Warnschuss gesetzt. Dort laufen die evangelikalen Bewegungen der katholischen Kirche mittlerweile den Rang ab. Außerdem ist zu befürchten, dass Benedikt den vorkonziliaren tridentinischen Messeritus, wieder ohne Ausnahme zulassen wird.

Selbst der moderate Kardinal Lehmann sagt aber, der Papst habe ihn überrascht?

Ich erwarte vom Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz nicht, dass er den Papst öffentlich kritisiert. Zumindest die Personalentscheidungen Benedikts haben nicht überrascht. Er hat bisher die große Chance vertan, die Kurie grundlegend zu reformieren. Wie notwendig dies wäre, zeigt etwa die Panne, als Rom zunächst einen Würdenträger mit Geheimdienstvergangenheit als Primas in Polen ernannte. Außerdem wird in der Öffentlichkeit zu wenig beachtet, wie stark die Rolle des traditionalistischen Geheimbundes Opus Dei in Rom ist.

Setzt Benedikt nicht nur die Linie von Johannes Paul II. fort?

Nicht nur. Er verstärkt vielmehr den Rückzug hinter die Kirchenmauern. Die sozialpolitische Sprengkraft, die die Botschaft Jesu birgt, bringt er weniger deutlich zum Ausdruck. Mich machen die menschlichen Begrenztheiten in der Person Ratzingers traurig. Er kann nicht über seinen eigenen Schatten springen. Er hält ängstlich an der bayerischen Volksfrömmigkeit fest, die er als Kind in Altötting aufgesogen hat. So lässt sich nicht die christliche Botschaft ins 21. Jahrhundert bringen.

Laienbewegung Wir sind Kirche
Die Gründung der Laienbewegung Wir sind Kirche geht auf das österreichische Kirchenvolksbegehren von 1995 zurück, in dem Kritiker eine umfassende Reform der katholischen Kirche forderten. Heute ist die Bewegung weltweit in mehr als 20 Ländern vertreten und unterhält Kontakte zu zahlreichen gleich gesinnten Gruppen.
Zu ihren Forderungen gehört die stärkere Mitbestimmung der Laien, die Gleichstellung, der Frauen, die Aufhebung des Zölibats, die positive Bewertung der Sexua- lität und die Betonung eines belohnenden anstatt eines strafenden Glaubens. „Wir sind Kirche" hat wiederholt Aufsehen er- regt: So gründete sie nach dem Verbot der katholischen Schwangerenkonfliktbera- tung mehrere eigene Beratungsstellen. Nach den Skandalen um den sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Priester richtete sie ein Notfalltelefon ein.
StZ

Zuletzt geändert am 19­.04.2007