4.9.2018 - t-online.de / DPA
Warum ein Ex-Mönch das Zölibat abschaffen will
Eheverbot als "Lüge der Kirche"
Britta Schultejans, dpa
Kaum ein Thema steht mehr für die Reformbedürftigkeit der katholischen Kirche als die priesterliche Pflicht zur Ehelosigkeit. Ex-Mönch Anselm Bilgri fordert vehement die Abschaffung des Zölibats.
Robert Daiser dachte eigentlich, er würde vielleicht mal was mit Medien machen – oder Politikwissenschaft studieren. Doch dann ging der junge Mann aus dem Chiemgau für ein Jahr nach Ecuador und kam mit einem Berufswunsch zurück, der nicht nur für seine Eltern zuerst schwer zu verstehen war. Daiser ist 28 Jahre alt und will katholischer Priester werden. Und er will zölibatär leben, ehelos. Weil Sex bei den Katholiken nur in der Ehe erlaubt ist, bedeutet das für den jungen Mann auch: kein Sex.
"Manchmal beherrscht es mein Denken sehr, dann gibt es wieder Phasen, wo es ein bisschen in den Hintergrund rückt. Ich denke, es wird nie ganz abgeschlossen sein", sagt der Münchner Priesteramtsanwärter. "Natürlich werde ich das vermissen", sagt er über eine Beziehung, über Liebe zu einer Frau. "Aber auch in der Ehe muss man ja auf gewisse Dinge verzichten." Der Zölibat, so sagt Daiser, habe "auch viel mit Freiheit zu tun – nicht von etwas, sondern für etwas. Ich möchte mich dem Priestersein ganz widmen".
Rückläufige Zahlen bei den Priesteramtsanwärtern
20 Priesteramtsanwärter und junge Männer im Orientierungsjahr leben in dem Haus, sagt Wolfgang Lehner, Regens am Priesterseminar. "Wir haben rückläufige Zahlen." In Prozent sei das schwer auszumachen. "Aber seit einigen Jahren wird das weniger." Die Entscheidung für den Zölibat zu vermitteln sei schwer, das wisse er auch. "Erklärbar ist das nicht. Aber es ist ja auch nicht erklärbar, warum ich die Janine toll finde oder die Melanie."
Anselm Bilgri lebt nur knapp einen Kilometer vom Priesterseminar entfernt – und doch inzwischen in einer anderen Welt. Vor fast 40 Jahren wurde er von Joseph Ratzinger, dem späteren Papst, zum katholischen Priester geweiht, vor fast 15 Jahren trat er aus dem Kloster Andechs und dem Benediktinerorden aus. Heute fordert der Ex-Mönch in seinem neuen Buch "Bei aller Liebe" die Abschaffung des Zölibats, für ihn einer der Hauptgründe für den Priestermangel. "Die Kirche lügt sich selbst in die Tasche, indem sie eine Forderung aufstellt, die schon immer schwierig einzuhalten war. Und heute, in unserer Zeit, in der Sexualität kein Tabuthema ist, ist es noch schwieriger", sagt er im Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Er hofft, sein Buch könnte einen Impuls geben für die anstehenden Bischofssynoden. "Das ist aber natürlich utopisch."
Die knappe Reaktion des obersten Gremiums der katholischen Kirche in Deutschland bestätigt seine Befürchtung: "Zum Thema Zölibat gibt es keinen Diskussionsstand innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz", heißt es da. Der Zölibat habe "ganz unsägliche, fatale Folgen", sagt dagegen Christian Weisner, Sprecher der Reformbewegung "Wir sind Kirche". "Man kann die Sexualität nicht ignorieren oder auf Null drehen."
Priester berichten von heimlichen Lieben
In Bilgris Buch geht es auch um das heikle Thema Missbrauch, den größten Teil aber widmet er der heimlichen Liebe der Priester: Ein schwuler Pater kommt zu Wort, der sein ganzes Ordensleben lang immer wieder Sex mit Männern hat. Priester berichten von langjährigen, heimlichen Beziehungen zu ihrer großen Liebe.
Dieses Schicksal teilt auch der ehemalige Priester Karl Loemke aus der Nähe von Augsburg. Er war 32 Jahre alt, als er seine Frau Lieselotte kennenlernte. Damals war er gerade seit sechs Jahren Priester. Sie arbeitete ehrenamtlich in der Kirchengemeinde mit. "Aus der dienstlichen Tätigkeit entwickelte sich mit der Zeit eben eine persönliche Nähe – so wie bei anderen, normalen Menschen auch", sagt Loemke im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Heute kann er auch lachen über damals. Damals konnte er das nicht.
"Nach circa zwei Jahren und vielen inneren Kämpfen habe ich den Bischof um Beurlaubung gebeten, damit ich ein anderes Standbein aufbauen konnte. Damit war aber die sofortige Suspendierung verbunden." Ein Jahr später war seine Frau mit den gemeinsamen Zwillingen schwanger. Das "Menschenrecht auf eine Eheschließung", wie er es nennt, war ihm schließlich wichtiger als seine Berufung. "Diese Ehrlichkeit war ich mir, der Kirche und vor allem meiner Frau gegenüber schuldig." Im Spätherbst 1973 heiratete er Lieselotte. Heute, mit 78 Jahren, sagt er, es sei alles gut, so wie es ist.
Schätzungen: Nur ein Drittel der Priester lebt wirklich im Zölibat
Vor fast 40 Jahren hat er die Vereinigung katholischer Priester und ihrer Frauen mitgegründet, seine Frau Lieselotte ist aktiv in der Initiativgruppe vom Zölibat betroffener Frauen. Mit wie vielen Menschen in Deutschland sie ihr Schicksal teilen, wissen sie nicht. Die Deutsche Bischofskonferenz hat keine Zahlen, wie viele Priester ihr Amt aufgeben, weil sie den Zölibat nicht mehr leben wollen. Das sei Sache der Bistümer. Das Erzbistum München und Freising hat nach Angaben eines Sprechers aber auch keine Zahlen.
Eine 2015 veröffentlichte Studie von Wissenschaftlern um den Jesuiten Eckhard Frick hat herausgefunden, dass nur etwa jeder zweite Priester sich wieder für eine zölibatäre Lebensform entscheiden würde. Für die Studie waren deutschlandweit 8.600 Seelsorger befragt worden, darunter 4.200 Priester. Bilgri spricht in seinem Buch von Schätzungen, wonach ein Drittel der katholischen Priester in heterosexuellen Beziehungen lebt, ein Drittel in homosexuellen. Nur ein Drittel versuche demnach, sich ehrlich an den Zölibat zu halten. Die DBK nennt die Zahlen "nicht evidenzbasiert".
Weisner von "Wir sind Kirche", sagt: "Ich befürchte sogar, es sind noch weniger, die den Zölibat ehrlich leben." Die Mehrheit der Katholiken interessiere das Liebesleben ihrer Priester aber ohnehin überhaupt nicht. "Den Gemeindemitgliedern ist es heute egal, ob ein Priester verheiratet ist oder nicht – Hauptsache, die Gemeinde hat überhaupt einen und kann Gottesdienste feiern." Im Jahr 2017 gab es nach DBK-Angaben 13.560 Priester in Deutschland – gut 4.000 weniger als 1997.
Zuletzt geändert am 04.09.2018