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Veröffentlicht am 19­.02.2019

19.2.2019 - Mannheimer Morgen

Papst will ein Zeichen setzen

Katholische Kirche: Erwartungen an Treffen beim Papst zu sexuellem Missbrauch sind hoch / 180 Teilnehmer vorgesehen

Von unserem Korrespondenten Julius Müller-Meiningen

ROM/VATIKAN. Sexueller Missbrauch in der Kirche ist seit Jahrzehnten bekannt. Jetzt soll ein Vatikan-Gipfel für Klarheit sorgen Es ist
das erste Treffen dieser Art, das ab kommendem Donnerstag im Vatikan beginnt. Dreieinhalb Tage lang treffen sich die Vorsitzenden der 113
katholischen Bischofskonferenzen, der Ostkirchen, Ordensobere, die Chefs der Kurienbehörden und Papst Franziskus, um über den Umgang
mit sexuellem Missbrauch von Minderjährigen in der Kirche zu diskutieren. Die Organisatoren rechnen mit gut 180 Teilnehmern. Nie zuvor hat sich die Führung der katholischen Kirche mit diesem Thema so gezielt auseinandergesetzt.

Vor allem die Enthüllungen in Chile und in den USA im vergangenen Jahr hatten den Papst und seine Berater dazu bewogen, das Thema
Missbrauch in der gesamten Kirche nun frontal anzugehen. Am Wochenende setzte Franziskus im Vorfeld der Konferenz ein Zeichen. Er entließ den ehemaligen Erzbischof von Washington und früheren Vertrauten, Theodore McCarrick, aus dem Priesterstand.

Linie lautet: „null Toleranz“

Der 88-jährige, dem Franziskus bereits im Juli die Kardinalswürde aberkannt hatte, sei in einer Untersuchung der Glaubenskongregation
des sexuellen Fehlverhaltens für schuldig befunden worden. Wie es heißt, habe McCarrick in den 1980er und 90er Jahren als Bischof in den
USA mehrere Minderjährige und Priesteramtskandidaten sexuell missbraucht.

Im Vatikan wird darauf hingewiesen, der Papst wolle mit der Entscheidung seine Linie der „null Toleranz“ im Hinblick auf Missbrauch
untermauern. Zu Beginn der Konferenz mitdemunverfänglich klingenden Titel „Der Schutz von Minderjährigen in der Kirche“ sollen den Teilnehmern per Video Aussagen von Betroffenen aus allen Kontinenten der Welt vorgespielt werden. Auch während der Konferenz werden Opfer zu Wort kommen, Opferverbände planen Konferenzen und Mahnwachen in der Stadt.

Wie groß die Unterschiede weltweit bei der Wahrnehmungdes Themas sind, war bei der Bischofssynode zum Thema Jugend im Oktober
sichtbar, als sich vor allem Bischöfe aus Afrika und Asien, aber auch aus Italien dagegen wehrten, dieFormulierung „null Toleranz“ im Hinblick
auf Missbrauch in das Abschlussdokument aufzunehmen. „Sexueller Missbrauch kommt auf der ganzen Welt vor, auch dort, wo nicht darüber
gesprochen wird“, sagt der deutsche Jesuit und Psychologe Hans Zollner, der das Kinderschutzzentrum an der päpstlichen Universität
Gregoriana leitet. Er ist einer der Organisatoren der Konferenz.

Konkrete Ziele unwahrscheinlich

Die Erwartungen an das Treffen, das 18 Jahre nach den ersten großenEnthüllungen in den USA stattfindet, sind hoch. Die Männer des Papstes
versuchendeshalb, die„übersteigerte Erwartungshaltung“ der Öffentlichkeit an die Konferenz kenntlich zu machen. „Wenn einer denkt, in
dreieinhalb Tagen könne man das Problem definitiv lösen, ist das realitätsfern“, sagt Pater Federico Lombardi.

Der ehemalige Vatikansprecher moderiert die Veranstaltung, die im Plenum, aber auch in Sprachgruppen stattfinden wird und dem von Franziskus bevorzugten Diskussionsformat einer Synode ähnelt.

Experten, darunter Kardinäle, Bischöfe, aber auch Laien werden Referate halten. Ein Abschlussbericht mit konkreten Zielen, Forderungen oder Anordnungen ist allerdings nicht zu erwarten.

Im Vatikan wird darauf hingewiesen, dass die Konferenz den Anfang eines Prozesses bildet. Das zu hören, ist vor allem für die Betroffenen
schmerzhaft, die seit Jahrzehnten Transparenz fordern. Der Missbrauchsgipfel hat den Kinderschutz zum Thema – wie die Kirche mit
missbrauchten jungen Erwachsenen, Ordensschwestern und insbesondere Frauen umgehen will, ist weiterhin völlig offen.

„Hoffnung, dass Gipfel etwas bringt“

„Wir müssen handeln“, sagt Rudolf Walter. Der Frankenthaler ist einer von vier Sprechern der kirchlichen Laien-Bewegung „Wir sind Kirche“ in der DiözeseSpeyer. BeimVatikan-Gipfel der katholischen Kirche müssten auch strukturelle Veränderungen angestoßen werden.

Den deutschen Bischöfen sei bewusst, dass der Missbrauchsskandal die Kirche vor „eine existenzielle Herausforderung“  stelle. Auch weil dieser den Mitgliederschwund noch verstärke. Deshalb sei die Ausgangslage für Veränderungen im System besser denn je, so Walter. Viele Katholikenander Basis erwartenseiner Einschätzung nach, dass das Pflichtzölibat – also das Beziehungsverbot für katholischePriester – abgeschafft und die Priesterweihe für Frauen eingeführt wird. Ein Schritt dahin könne sein, dass sogenannte „Viri probati“ (bewährte Männer mit vorbildlicher Lebensweise) zum Priesteramt zugelassen werden – selbst wenn sie verheiratet sind. Ein weiteres Zeichen wäre für Walter, wenn Frauen Diakone werden könnten – als die Vorstufe zumPriesteramt.

„Vielen liegt auch daran, dass die mittelalterliche Sexualmoral der katholischen Kirche zeitgemäßer wird“, ist Walter überzeugt. Ganz wichtig: „Die Überhöhungdes Priesteramts muss ein Ende finden.“ Die Macht der Geistlichen habe den Missbrauch erst möglich gemacht. „Priester müssen wieder normale Menschen werden.“

Papst Franziskus habe den Ernst der Lage erkannt, aber Angst vor der Spaltung angesichts des konservativen Widerstands. „Trotzdem habe ich die Hoffnung, dass uns dieser Gipfel etwas bringt.“ be

Zuletzt geändert am 20­.02.2019