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Veröffentlicht am 21­.02.2019

21.2.2019 - Neue Osnabrücker Zeitung

Gipfel im Vatikan: Missbrauchsbeauftragter macht Druck

Von Uwe Westdörp

Osnabrück . Im Vatikan treffen sich an diesem Donnerstag 190 Kirchenvertreter, um über Konsequenzen aus dem Missbrauchsskandal zu beraten. Die Erwartungen sind groß. Speziell der Papst steht unter hohem Erwartungsdruck. Auch aus Deutschland kommen drängende Appelle, so etwa vom Regierungsbeauftragten Rörig.

Unmittelbar vor dem vatikanischen Gipfeltreffen zur Aufarbeitung der weltweiten Missbrauchsskandale wächst der Druck auf die katholische Kirche, sich stärker um die Opfer zu kümmern. Der Regierungsbeauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, sagte unserer Redaktion: „Die bisherigen Anerkennungszahlungen der katholischen Kirche in Höhe von durchschnittlich 5000 Euro sind bestimmt keine angemessene Anerkennung für das Leid, das Jungen und Mädchen durch Geistliche und Kirchenmitarbeiter in der katholischen Kirche erlitten haben.“ 

Rörig begrüßte, dass die deutschen Bischöfe beschlossen hätten, das System der Anerkennungszahlungen zu überprüfen. Zugleich drängte er auf Entscheidungen: „Wir brauchen da eine Antwort. Es ist eine offene Wunde für Betroffene.“

Hier das Interview mit Rörig im Wortlaut. 

Herr Rörig, es hat viele Jahre gedauert, bis die Konferenz im Vatikan endlich zustande gekommen ist. Woran hat es gelegen? Welche Kritik verbinden Sie damit? 

Es gibt sicherlich viele Gründe, warum es so lange gedauert hat. Es geht hier um schwerste sexuelle Gewalttaten gegen Kinder und Jugendliche im katholischen Kontext, die in absolutem Widerspruch zu Auftrag und moralischem Selbstbild der katholischen Kirche stehen. Und es geht um ein jahrhundertealtes System von Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen, in dem Missbrauch begünstigt, vertuscht und verleugnet wurde. Das spaltet heute die Kirche. Es gibt innerhalb der katholischen Kirche viele Engagierte, aber auch große Widerstände gegen eine umfassende Aufklärung und unabhängige Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch.

Und was führte dann trotzdem zum Krisengipfel?

Sicher sind mehrere Faktoren zusammengekommen, die einen solchen Krisengipfel im Vatikan jetzt ermöglichen. Betroffene organisieren sich auch dank des Internets immer mehr national und international und haben mittlerweile eine starke Stimme, die nicht mehr überhört werden kann. Die Studien über massenhaften Kindesmissbrauch in den USA oder in Deutschland haben die Menschen weltweit tief erschüttert. Auch internationale Filmerfolge wie „Spotlight“ haben die breite Öffentlichkeit erreicht. Vielleicht brauchte es auch diesen Papst, der öffentlich Null-Toleranz bei Missbrauch in der katholischen Kirche forderte, damit dieser Krisengipfel jetzt einberufen werden konnte.

Sie drängen auf mit Blick auf die Konferenz im Vatikan auf eine Entschädigung von Missbrauchsopfern. Was schwebt Ihnen da vor, eine Regelung so wie für die ehemaligen Heimkinder in Deutschland? Geld für Therapien? Symbolische Anerkennungen? Und vor allem: Was ist eine angemessene Entschädigung?

Eine genaue Ziffer kann und will ich da nicht nennen. Wir brauchen aber eine gesellschaftliche Debatte und eine Debatte mit den Kirchen zu der angemessenen Höhe von Anerkennungs- und Entschädigungszahlungen. Es müssen dafür einheitliche Standards entwickelt werden. Und es muss die individuelle Situation der Betroffenen berücksichtigt werden. Die bisherigen Anerkennungszahlungen der katholischen Kirche in Höhe von durchschnittlich 5000 Euro, sind bestimmt keine angemessene Anerkennung für das Leid, das Jungen und Mädchen durch Geistliche und Kirchenmitarbeiter in der katholischen Kirche erlitten haben. Ich bin deshalb sehr zufrieden, dass die Deutsche Bischofskonferenz in Fulda im September beschlossen hat, dass sie das System der Anerkennungszahlungen überprüfen wird. Wir brauchen da eine Antwort. Es ist eine offene Wunde für Betroffene. Bisher haben sich alle Verantwortlichen sowohl auf der politischen als auch der institutionellen Seite um genau diese Frage herumgedrückt.

Von wie vielen Opern muss man überhaupt ausgehen? Die jüngste Studie der Bischofskonferenz zählt ja mindestens 3.677 Minderjährige auf, die Opfer von Klerikern geworden sind. Doch das ist wohl nur die Spitze des Eisbergs. Braucht es eine weiterführende unabhängige Untersuchung?

Es bedarf jetzt einer umfassenden Aufklärung und einer unabhängigen Aufarbeitung. Die MHG-Studie im Auftrag der Bischofkonferenz war ein wichtiges, aber begrenztes Forschungsvorhaben. Doch jetzt müssen Arbeitsstrukturen gebildet werden, mit denen das vollständige Ausmaß untersucht wird. Wir brauchen eine Untersuchung auch der Ursachen. Da gibt die Studie für den katholischen Bereich gute Empfehlungen. Und es müssen natürlich auch die Folgen für das weitere Leben der Opfer und der Betroffenen genau untersucht werden.

Braucht es auch neue rechtliche neue Durchgriffsmöglichkeiten, um Missbrauchsfälle in den Kirchen besser aufklären zu können?

Es gibt kein Kirchenprivileg für Sexualstraftaten in der Kirche. Die Sexualstraftaten durch Geistliche oder Kirchenmitarbeitende unterliegen genau der gleichen Strafverfolgung wie jede andere Sexualstraftat außerhalb des kirchlichen Bereichs. In den Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz ist das auch sehr exakt beschrieben. Die Leitlinien müssen aber konsequent angewendet werden. Ich habe den Eindruck, dass nach der MHG-Studie die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Staatsanwaltschaften funktionieren wird für Deutschland. Da sehe ich keinen gesetzlichen Handlungsbedarf.

Die Laienbewegung Wir sind Kirche verlangt eine andere Sexualmoral, die Weihe von Frauen, die Abschaffung des Pflichtzölibats und eine bessere Gewaltenteilung in der katholischen Kirche. Wie sehr tragen problematische Strukturen in der Kirche zu den Missbrauchsfällen bei?

Ein Zusammenspiel verschiedener struktureller Bausteine – wie Zölibat, die Rolle der Frau in der Kirche, die Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse, der Klerikalismus, die Sexualmoral; auch der Umgang mit dem Beichtgeheimnis bei Kindern und Jugendlichen und den Kinderrechten insgesamt - begünstigt sexuellen Missbrauch im katholischen Kontext. Da ist die katholische Kirche aufgerufen, zügig zu grundlegenden innerkirchlichen Reformen zu kommen.

Es hat nicht nur die vielen Taten gegeben, sondern auch deren Vertuschung. Was muss geschehen, damit sich das nicht wiederholt?

Wenn es klare Regeln und gute Rahmenbedingen für Prävention und Intervention gibt, zum Beispiel ausreichende Ressourcen für geschultes Personal, für Fortbildung und externe Kooperationen, und wenn  es Beschwerdestellen und niedrigschwelliger Zugang zu Hilfeangeboten gibt - wenn all das konsequent umgesetzt wird, dann kann ich mir gut vorstellen, dass sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche stark eingedämmt wird. Es wird zwar immer Täterstrategien geben, die aufgehen, und Täter werden immer wieder neue Wege finden, aber gute Prävention und Intervention können helfen, viele schlimme Fälle zu vermeiden.

Zuletzt geändert am 21­.02.2019