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Veröffentlicht am 24­.02.2019

24.2.2019 - bild.de

Nach dem Anti-Missbrauchsgipfel: Papst will „Task Forces“ zum Schutz von Minderjährigen

++ Papst vergleicht Kindesmissbrauch mit Menschenopfern +++ Kirchenrechtler nennt Papst-Rede ein „Fiasko“ ++ Maßnahmen-Paket angekündigt

Es war die wohl bisher wichtigste Rede von Papst Franziskus – zum Abschluss der Anti-Missbrauchskonferenz.

Viele Opfer zeigten sich enttäuscht, weil das Kirchenoberhaupt zwar ein Ende der Vertuschung und Durchgreifen gegen Täter versprach – aber keine konkreten Maßnahmen nannte.

Dies ändert sich wenige Stunden nach der Papst-Rede: Der Vatikan arbeitet an konkreten Initiativen gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern in der katholischen Kirche, die in Kürze verkündet werden sollen, sagte Federico Lombardi, Moderator des Krisengipfels.

► Ein neues „Motu proprio“, also eine Art kirchenrechtliche Entscheidung des Papstes, zum Schutz von Minderjährigen solle bald erscheinen. Damit solle dem Missbrauch vorgebeugt und der Kampf dagegen von Seiten der römischen Kurie verstärkt werden. Lombardi kündigte zudem ein neues Gesetz und neue Richtlinien für den Vatikanstaat selbst an.

Der Papst werde die Anweisungen „in unmittelbarer Zukunft“ verkünden, sagte der Erzbischof von Malta, Charles Scicluna, der den Gipfel im Vatikan mit vorbereitet hatte.

Die Glaubenskongregation werde außerdem ein praktisches Handbuch veröffentlichen, damit jeder Bischof auf der Welt sich seiner Verantwortung und Pflicht bewusst werde. Eine „Task Force“ solle zudem Diözesen und Bischofskonferenzen weltweit unterstützen, die nicht genug Kompetenzen oder Ressourcen für den Kampf gegen den Missbrauch hätten.

Das Organisationskomitee werde sich dazu an diesem Montag mit den Spitzen der Kurie treffen.

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, hat den Verlauf und die Themensetzung des Anti-Missbrauchsgipfels im Vatikan begrüßt.

Das Treffen des Papstes mit den Kardinälen und Bischöfen sei ein „wichtiges Signal“ gewesen, sagte er am Sonntag in Berlin. Allerdings hätte er sich verbindlichere Beschlüsse gewünscht.

Bei dem mit Spannung erwarteten Auftritt hat Papst Franziskus die Kirche zum kompromisslosen Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Minderjährigen aufgerufen.

In seiner Rede hatte er einleitend den sexuellen Missbrauch von Kindern mit „Menschenopfern“ verglichen. Kindesmissbrauch erinnere ihn an die in einigen Kulturen einst weitverbreitete „grausame“ religiöse Praxis, Menschen „in heidnischen Ritualen“ zu opfern, sagte das Kirchenoberhaupt. Oft seien Kinder die Opfer gewesen.

▶︎ „Kein Missbrauch darf jemals vertuscht – so wie es in der Vergangenheit üblich war – oder unterbewertet werden“, sagte das Katholikenoberhaupt.

Franziskus verteidigte die Kirche aber auch gegen Kritik und nannte Missbrauch ein „übergreifendes Problem“, das überall vorkomme, aber vor allem Familien, Sportlehrer und Erzieher betreffe.

Sexueller Missbrauch durch Geistliche der katholischen Kirche wiege allerdings schwerer als in anderen Bereichen der Gesellschaft.

Kirchenrechtler: Papst-Rede ein „Fiasko“

► Christian Weisner, Sprecher der KirchenVolksbewegung Wir sind Kirche, sagte zu BILD, man müsse den Druck der Öffentlichkeit aufrechterhalten: „Noch sind keine verbindlichen kirchenrechtlichen Regelungen getroffen – das wird leider noch Zeit brauchen. Es braucht weiter den Druck der Öffentlichkeit, die Zusammenarbeit mit der UN, mit den nationalen Strafverfolgungsbehörden und vor allem mit den Betroffenen.“

Aber er sieht auch den Vatikan selbst in der Pflicht: „Aber fest steht auch: Rom muss jetzt sehr schnell konkrete und verbindliche Vorgaben machen, wie man in Zukunft konkret vorzugehen ist. Außerdem brauch es klare Regeln hinsichtlich der Verantwortung der Bischöfe, Regeln zu Sanktionen und Rücktritten. Diese zentralen Anweisungen aus Rom muss es noch geben.“

„Es war eine vertane Chance (...) Es ist das Ende des Pontifikats in dem Sinne, dass Franziskus nicht als Reformpapst in die Geschichte eingehen wird, sondern als Bewahrer“, sagte Schüller, Direktor am Institut für Kanonisches Recht an der Universität Münster.

► Missbrauchsopfer reagierten empört auf Franziskus' Worte. „Die Rede des Papstes ist der schamlose Versuch, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen, ohne sich der Schuld und dem Versagen zu stellen und wirkliche Veränderung anzugehen“, twitterte Matthias Katsch vom deutschen Opferschutzverband Eckiger Tisch.

Kardinal Marx verteidigt Papst-Rede

Der deutsche Kardinal Reinhard Marx hat die Rede von Papst Franziskus zum Abschluss der Anti-Missbrauchskonferenz im Vatikan gegen Kritik verteidigt.

„Ich kann nicht erkennen, dass das nur qualmiges, nebulöses Gerede war“, sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz in Rom.

► Die Rede sei „sehr konkret, sehr deutlich“ gewesen. Der Papst habe in sieben Punkten seine Leitlinien dargestellt, die die Bischofskonferenzen nun in ihren Ländern umsetzen müssten. „Es darf nicht bei diesen vielen Vorschlägen bleiben, es muss konkret abgearbeitet werden. Und darum werde ich mich bemühen“, sagte Marx, der auch zum Beratergremium des Pontifex gehört.

Auch habe der Papst die Schuld der Kirche nicht relativiert, indem er Missbrauch als gesamtgesellschaftliches Problem dargestellt habe. „Das heißt nicht, die Schande, die in der Kirche geschehen ist, in irgendeiner Weise zu relativieren. (…) Dass das von Priestern geschieht, ist sowas Ungeheuerliches, das darf nicht weggewischt werden.“

Franziskus hatte konkrete Schritte angekündigt

Franziskus hatte zu dem historischen Treffen die Spitzen der Bischofskonferenzen der Welt geladen. Bei seiner Auftaktrede hatte er am Donnerstag gewarnt, dass die Welt nicht mehr auf die Verurteilung von Missbrauch warte, sondern auf konkrete Schritte dagegen.

Opfer fordern zum Beispiel, dass Vertuscher und Täter konsequent aus dem Klerikerstand entlassen werden. Hinter diesen hohen Erwartungen blieb die Rede des Papstes nun zurück.

„Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Die weltweite Verbreitung dieses Übels bestätigt, wie schwerwiegend es für unsere Gesellschaften ist, schmälert aber nicht seine Abscheulichkeit innerhalb der Kirche“, sagte Franziskus. „Die Unmenschlichkeit dieses Phänomens auf weltweiter Ebene wird in der Kirche noch schwerwiegender und skandalöser, weil es im Gegensatz zu ihrer moralischen Autorität und ihrer ethischen Glaubwürdigkeit steht.“

Die Kirche müsse lernen, sich die Schuld zu geben.

„Wir dürfen nämlich nicht der Versuchung unterliegen, andere zu beschuldigen, was ein Schritt in Richtung eines Alibis wäre, das sich der Realität verweigert.“ Und: „Sollte in der Kirche auch nur ein Missbrauchsfall ausfindig gemacht werden – was an sich schon eine Abscheulichkeit darstellt, – so wird dieser Fall mit der größten Ernsthaftigkeit angegangen.“

Seit Jahren versucht die Kirche, eine Antwort auf die schweren Missbrauchsskandale zu finden, die mehrere Länder seit langem erschüttern. Dass Franziskus ein Spitzentreffen zu dem Problem einberief, war von vielen begrüßt worden. Opfervertreter hatten sich allerdings schon im Laufe der Gipfeltage enttäuscht und sogar wütend gezeigt.

Zuletzt geändert am 02­.06.2019