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Veröffentlicht am 26­.02.2019

26.2.2019 - Abendzeitung München

„...dann wäre Leid erspart worden“

Christian Weisner von „Wir sind Kirche“ ist enttäuscht über den Missbrauchsgipfel – und übt scharfe Kritik an deutschen Bischöfen

AZ: Herr Weisner, Sie sprachen vor der historischen Zusammenkunft zum Missbrauchsskandal von einem „Schicksalsgipfel” für den Papst und die Kirche. Wie bewerten Sie das Treffen im Vatikan?

CHRISTIAN WEISNER: Angesichts der Aufdeckung von so zahlreichen Fällen sexualisierter Gewalt in immer mehr Ländern war es höchste Zeit für diesen Krisengipfel. Das Schlimme ist nur, dass in vielen Ländern die Probleme immer noch geleugnet wurden. Nach dem Treffen der Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen und von Ordensoberen ist das jetzt nicht mehr möglich. Die Tatsachen, so erschütternd sie sind, liegen jetzt auf dem Tisch und müssen überall höchste Priorität haben, wenn die katholische Kirche nicht noch mehr Glaubwürdigkeit verlieren will.

Vielen Theologen und Opferverbänden blieb der Papst zu vage, weil es keine verbindlichen Beschlüsse gibt. War dieser Gipfel nur eine PR-Aktion, um Wogen zu glätten?

Die große Enttäuschung kann ich verstehen. Noch am Anfang des Gipfels hatte der Papst selber konkrete Ergebnisse eingefordert und ein 21-Punkte-Programm in die Diskussion gebracht. Doch scheint es unter den versammelten Bischöfen immer noch welche zu geben, die sexualisierte Gewalt als marginal betrachten ...

... und jede Reform blockieren.

Der Vatikan hat übrigens versucht, seine Kommunikationsstrukturen zu verbessern. Das reicht nicht. Zunächst müssen erstmal die richtigen Beschlüsse gefasst werden. Daran hat es bis jetzt gehapert. Da hilft die beste PR nichts.

Welche Maßnahmen in Bezug auf Missbrauch und Vertuschung wünschen Sie sich?

Wir brauchen weltweit einheitliche und verbindliche Standards, die definieren, was unter sexualisierter Gewalt zu verstehen und wie bei Verdachtsfällen umzugehen ist. Aber auch, wie Bischöfe zur Verantwortung gezogen werden können, die an Vertuschungen beteiligt sind. Zudem müssen die nationalen Bischofskonferenzen tätig werden. Nach den Vorwürfen gegenüber dem Wiener Kardinal

Hans Hermann Groer 1995 ist in Österreich das Kirchen- VolksBegehren entstanden, das sich für umfassende Reformen wie geschwisterliche Kirche, Weihe für Frauen, freiwilliger Zölibat und eine Reform der Sexuallehre einsetzt.

In Deutschland wurden aber erst 2002 und dann 2010 von den Bischöfen einzelne Maßnahmen ergriffen.

Wenn die Kirchenleitungen unsere Forderungen schon 1995 aufgegriffen hätten, wäre zumindest in den vergangenen 24 Jahren vielen Betroffenen großes Leid erspart worden.

 „Sexualisierte Gewalt ist immer zuerst ein Missbrauch von Macht“

Was sind die Ursachen für jahrzehntelangen massiven Missbrauch an Kindern, Jugendlichen und Frauen durch kirchliche Würdenträger?

Wie die große Missbrauchsstudie festgestellt hat, die im September veröffentlicht wurde, gibt es nicht die eine Ursache. Also weder die Homosexualität von Priestern, wie Kardinal Gerhard Ludwig Müller behauptet, noch der Zölibat sind alleine verantwortlich. Es ist eher diese Mischung aus einem überhöhten Priesterbild, der Ausschluss von Frauen aus kirchlichen Weihämtern und einer unterdrückten Sexualität. Missbrauchstäter nutzen Gelegenheiten aus, wenn sie mit ihren Opfern alleine sind. Etwa in der Beichte. Wenn junge Priester glauben, sich wegen

des Gebots der Ehelosigkeit gar nicht mit ihrer eigenen Sexualität auseinandersetzen zu müssen und eine mögliche Homosexualität verdrängen, dann kommen sie im Laufe ihres Berufslebens doch in Situationen, wo sie sich nicht beherrschen können. Das Männerbündische der Priesterschaft trägt dazu bei, dass die Vertuschung gelang. Der Priester, der anzuzeigen wäre, wurde nur in eine andere Pfarrei versetzt.

Inwiefern ist die gegenwärtige hierarchische Grundstruktur der Kirche ein Problem?

Sexualisierte Gewalt ist immer zuerst ein Missbrauch von Macht. In der römisch-katholischen Kirche ist diese Struktur besonders ausgeprägt durch die Zwei-Stände-Ideologie von Klerikern und den Laien. Dafür findet sich in der Bibel jedoch keine theologische Grundlage.

Franziskus selbst galt einst als Hoffnungsträger – mittlerweile ist er entzaubert. War dieser Gipfel der Anfang vom Ende seines Pontifikats?

Franziskus ist ein sehr schweres Erbe angetreten. Die Vorgängerpäpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. haben alles getan, wieder eine Kirche wie vor dem Konzil zu schaffen. Franziskus hat in sechs Jahren Autorität gewonnen. Leider ist der Widerstand von vielen, die noch unter seinen Vorgängern ins Amt gekommen sind, so stark, dass er ausgebremst wird. Nicht mal alle deutschen Bischöfe stehen geschlossen hinter seiner Linie. Das ist ein Skandal – sie sind verpflichtet, dem Papst treu zu folgen.

Interview: Otto Zellmer

 

Zuletzt geändert am 26­.02.2019