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Veröffentlicht am 26­.02.2019

26.2.2019 - bild.de

Reaktionen auf die Krise. Aufruhr bei katholischer Kirche!

Was Insider, Kritiker und Journalisten zu den zwölf BILD-Thesen
für eine modernere Kirche sagen

Zwölf Forderungen für eine moderne, offene Kirche hat BILD am Dienstag unter dem Eindruck des im Ergebnis enttäuschenden Anti-Missbrauchsgipfels im Vatikan formuliert.

Dazu erreichten BILD zahlreiche Reaktionen. Allerdings nicht aus der Führungsebene der katholischen Kirche: „Wir kommentieren das derzeit nicht“, sagte Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz zu BILD. Auch mehrere Bischöfe, die Bild direkt kontaktierte, wollten sich auf Anfrage zunächst nicht äußern.

Zwölf Thesen sollen „viel Gehör finden“

Umso deutlicher bezog die katholische Laienbewegung „Wir sind Kirche“ Stellung, die seit Langem Reformen von der Kirche fordert.

Sprecher Christian Weisner (67) zu BILD: „Wenn die Bischöfe nicht endlich aufwachen, isolieren sie sich immer mehr vom Kirchenvolk und vor allem von ihrem biblischen Auftrag. Solange nicht auf allen Ebenen der Weltkirche eine radikale Umkehr bezüglich sexualisierter Gewalt vollzogen ist, hat die Kirchenleitung keinerlei Recht mehr, sich in moralischen Frage zu äußern. Ich wünsche mir, dass die zwölf Thesen für einen Neuanfang in der katholischen Kirche viel Gehör finden. Und wenn nicht bei den Bischöfen, dann wenigstens im Kirchenvolk.“

Machtmissbrauch als Ursache

Für die Entscheidungsträger sei es „die letzte Chance, eine Kernschmelze der katholischen Kirche abzuwenden“: „Unabhängig davon, ob man jeder der zwölf BILD-Thesen in jedem Detail zustimmt: Ein ganz großer Teil der deutschen Katholiken teilt die Aussage, dass es jetzt grundlegende Reformen auf allen Ebenen der römisch-katholischen Weltkirche geben muss. Denn sexualisierte Gewalt in der Kirche ist nur das Symptom, ihr liegt immer ein Machtmissbrauch zu Grunde, erst bei der Tat, dann bei der Vertuschung.“

Die Kirche müsse sich deshalb mit den „tieferen Ursachen“ sexualisierter Gewalt gegenüber Minderjährigen, Seminaristen, Frauen und Ordensfrauen auseinandersetzen: dem Ausschluss von Frauen aus allen Weiheämtern, der Verteufelung der Homosexualität, dem Festhalten am Pflichtzölibat und vor allem den zugrundliegenden kirchlichen Machtstrukturen.“

Weisners Eindruck nach dem Missbrauchsgipfel im Vatikan: „Noch scheint es unter den Bischöfen immer noch welche zu geben, die jede Reform blockieren. Diese Blockade muss aufgegeben werden, wenn die katholische Kirche nicht noch weiter massiv ihre Glaubwürdigkeit einbüßen und Kirchenmitglieder verlieren will.“

Das sagen Kirchen-Experten

Einen ausführlichen „Faktencheck“ der zwölf BILD-Thesen stellte „Domradio“, das Multimedia-Angebot des Erzbistums Köln, online. Die Autoren verweisen darauf, dass die Kirche wesentliche Reformansätze bereits angestoßen hat. Mehr noch: „Einige der BILD-Thesen sind längst bestes katholisches Programm.“

Als Beispiel wird auf die BILD-Forderung nach Öffnung der Archive und eine volle Kooperation mit staatlichen Ermittlungsbehörden verwiesen: „Einzelne Diözesen – wie das Erzbistum Köln – kooperieren mit der Staatsanwaltschaft und haben unabhängige Kanzleien mit der vollständigen und schonungslosen Aufarbeitung beauftragt“, so die Autoren.

Und: „In Deutschland gilt bereits die Regel, dass alle möglichen Straftaten im Zusammenhang mit dem Missbrauch konsequent den Staatsanwaltschaften gemeldet werden. Nicht erst bei tatsächlich vorliegenden Straftaten, sondern bereits bei entsprechenden Beschuldigungen werden die Vorwürfe geprüft und zur Anzeige gebracht. Einzige Ausnahme: Die Opfer wollen das ausdrücklich nicht.

Einige der zwölf Thesen werden aber in der Redaktion für katholische Nachrichten offenbar geteilt, etwa die neunte: „Kirche muss jünger werden“.

„In der Kirche gibt es nur für wenige Ämter überhaupt ein Mindestalter“, argumentiert das Portal. „Fakt ist aber, dass vielfach hohe Ämter in der katholischen Kirche nur ab einem gewissen Alter vergeben werden. Im Vergleich zu anderen Institution und Unternehmen hinkt die Kirche im Alter hinterher – könnte sich aber ohne rechtliche Probleme verjüngen.“

Und im Fazit heißt es auch: „Manche der Thesen werden seit Jahren heftig diskutiert – andere sind für die Weltkirche derzeit schwer vorstellbar.“

Das sagt ein Vatikan-Insider

Kritisch auf den BILD-Beitrag reagierte Papst-Biograf Peter Seewald (64), der ausführliche Interviews mit dem emeritierten Papst Benedikt führen durfte, die zu erfolgreichen Büchern („Salz der Erde“, „Licht der Welt“) wurden. „Wie glaubwürdig ist es, wenn ausgerechnet eine BILD-Zeitung der Kirche einen Moral-Kodex vorschreiben will und hierzu einen 12-Punkte-Forderungskatalog aufstellt?“, schreibt er in einem Kommentar für die privat betriebene Internetseite „kath.net“.

In diesem Zusammenhang kritisiert er auch die „Glaubenswächter“ der „Süddeutsche Zeitung“ sowie „Meinungsmacher, die selbst wenig Ahnung davon haben, was katholischer Glaube und katholische Kirche eigentlich bedeuten“.

Zwar sei Kritik „gut und notwendig“, folge aber oft einer „eigenen Agenda“: „Über 220 Millionen Kinder werden nach Angaben von UNICEF weltweit jährlich zum Sex gezwungen. Das geschieht nicht im ,Dunkelraum Kirche‘. Die internationalen Kinderschänder-Ringe bestehen nicht aus Priestern und Ordensleuten, sondern vielfach auch aus Politikern und Managern.“

Seewalds Fazit: „Gerade eine Gesellschaft, die sich in ihrer Gottesfinsternis immer mehr verirrt, sollte darüber nachdenken, was sie verliert, wenn sie mit einem Furor ohnegleichen eine Institution in Bausch und Bogen verdammt, deren Ethik für eine demokratische, gerechte, freie Gesellschaft unverzichtbar ist.“

Das sagt der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung

Für Johannes-Wilhelm Rörig, unabhängiger Beauftragter der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, leisten die zwölf BILD-Thesen einen Beitrag dazu, das Thema in der Öffentlichkeit zu halten: „Auch nach dem Missbrauchsgipfel geht jetzt die breite Diskussion um die schonungslose Aufklärung des Missbrauchs und die Verbesserung des Kinderschutzes in der katholischen Kirche weiter. Der Beitrag bringt Dynamik in diese Debatte“, sagt Rörig zu BILD.

Ausdrückliche Zustimmung äußert er zu den BILD-Forderungen „Öffnet die Akten und Archive“ (aber: „Persönlichkeitsrecht und der Datenschutz müssen beachtet werden, von Missbrauchsopfern und auch von Tätern“) und „Mehr Demokratie, mehr Mitentscheidungsrechte für die Gläubigen“: „Es wäre sicher gut, wenn auch die katholische Kirche mehr Demokratie wagen würde.“

Zu den innerkirchlichen Fragen äußert sich der Experte neutral, mahnt aber eine ernsthafte Debatte an: „Alle katholischen Regeln, Ge- und Verbote, die sexuellen Missbrauch von Kindern möglicherweise begünstigen, gehören auf den Prüfstand katholischer Reformen, auch die klerikalen Machtstrukturen.“

Es gebe „viele wichtige Fragen, zum Zölibat, zur Rolle der Frau, zu Strukturen der Macht und Notwendigkeit von Demokratie, die innerkirchlich dringend debattiert werden müssen – immer mit Blick darauf, welche Rolle diese Modelle und Haltungen in Zusammenhang mit Missbrauch spielen. Wir müssen akzeptieren, dass es dazu keine einfachen und schnellen Lösungen geben wird.“

Wichtigste Forderung: Transparenz: „Transparenz insbesondere nach außen wird ein Schlüssel sein, wenn die Kirche ihre Krise überwinden und Glaubhaftigkeit zurückgewinnen möchte, sowie Betroffene Anerkennung ihres Leid erfahren sollen.“

Das sagt ein Experte aus der Politik

Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (48, CSU) rief die Kirchen dazu auf, den Ermittlungsbehörden Zugang zu weiteren Unterlagen zu ermöglichen: „Die bayerischen Staatsanwaltschaften haben nach der von der katholischen Kirche vorgelegten Missbrauchsstudie die Diözesen aufgefordert, die betreffenden Akten vorzulegen. Die Staatsanwaltschaften haben die angeforderten Akten auch bekommen. Ich erwarte, dass die Kirchen sich ihrer Verantwortung auch weiterhin stellen und aufklären. Innerkirchliche Regeln haben auf die Strafverfolgung keine Auswirkung. Entscheidend ist, dass die staatlichen Ermittlungsbehörden alle nötigen Informationen erhalten, um die entsetzlichen Missbrauchsfälle strafrechtlich aufklären zu können.“

Der Zugang zu Akten und Archiven ist eines der zentralen Themen der kirchlichen Aufarbeitung. Dabei ist der verständliche und berechtigte Wunsch nach Transparenz mit Persönlichkeitsrechten von Tätern und Opfern sowie Anforderungen des Datenschutzes in Einklang zu bringen.

Auch für die Kirchen gelten selbstverständlich Regeln, die eine Einbeziehung der Ermittlungsbehörden bei Straftaten im kirchlichen Bereich ganz klar vorsehen. Wünschenswert wäre, auch das Disziplinarrecht zu reformieren und innerkirchliche Entscheidungen umfassender gerichtlich überprüfbar zu machen.

Es gibt viele wichtige Fragen, zum Zölibat, zur Rolle der Frau, zu Strukturen der Macht und Notwendigkeit von Demokratie, die innerkirchlich dringend debattiert werden müssen – immer mit Blick darauf, welche Rolle diese Modelle und Haltungen in Zusammenhang mit Missbrauch spielen. Wir müssen akzeptieren, dass es dazu keine einfachen und schnellen Lösungen geben wird.

Klar muss sein, dass Missbrauch von Kindern kein Kirchenprivileg ist. Maximale Transparenz nach innen und außen wird ein Schlüssel für die Kirche sein, Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen und die aktuelle Krise zu überwinden.

https://www.bild.de/politik/ausland/politik-ausland/reaktionen-auf-die-krise-aufruhr-um-katholische-kirche-60367938.bild.html

Zuletzt geändert am 26­.02.2019