29.3.2019 - Welt.de / DPA
Papst stellt im Kampf gegen Missbrauch erstmals Regeln für Vatikan auf
- Bereits Verdachtsfälle sollen unverzüglich angezeigt werden.
- Verurteilte Täter sollen von ihren Posten entfernt werden.
Papst Franziskus steht unter Druck. Wegen schwerwiegender Missbrauchsskandale in mehreren Ländern wird erwartet, dass er seinen klaren Worten auch Taten folgen lässt. Erstmals stellte mit Franziskus nun ein Papst umfassende Regeln für den Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch für den Vatikanstaat auf.
Der Vatikan veröffentlichte dazu am Freitag insgesamt drei von Papst Franziskus unterzeichnete Dokumente – einen Erlass, ein Gesetz und einen Richtlinienkatalog. Unter anderem legt Franziskus fest, dass im Vatikan vom Sommer an bereits der Verdacht auf Missbrauchsfälle unverzüglich angezeigt werden muss. Zudem sollten verurteilte Täter von ihren Posten entfernt werden, hieß es.
Die Maßnahmen waren nach der historischen Antimissbrauchskonferenz im Vatikan Ende Februar in Aussicht gestellt worden und sollen am 1. Juni in Kraft treten. Auch wenn die Regelungen nur den Kirchenstaat betreffen, sendet Franziskus damit ein Signal – schließlich ist der Vatikan das Machtzentrum der katholischen Kirche.
„Wir haben alle ... die Pflicht, Minderjährige und schutzbedürftige Personen mit Selbstlosigkeit aufzunehmen und für sie ein sicheres Umfeld zu schaffen“, erklärte das Katholikenoberhaupt in dem päpstlichen Erlass („Motu proprio“). Der Schutz von Kindern sei „wesentlicher Bestandteil“ der Botschaft des Evangeliums.
Pflicht, Verdacht auf Missbrauch unverzüglich anzuzeigen
Die katholische Reformbewegung „Wir sind Kirche“ begrüßte die neuen Antimissbrauchsregeln. „Auf dem Missbrauchsgipfel waren konkrete Schritte versprochen worden. Es ist ein gutes Zeichen, dass jetzt etwas folgt“, sagte Sprecher Christian Weisner in Würzburg. Es seien aber noch weitere Schritte nötig. „Auf dem Krisengipfel in Rom ist deutlich geworden, dass längst noch nicht alle Länder und Bischöfe aufgewacht sind.“
Sexueller Missbrauch durch Geistliche wurde in der Vergangenheit in vielerlei Hinsicht und in vielen Ländern kleingeredet oder vertuscht – auch in Deutschland. In einer von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen und im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie waren beispielsweise etliche Missbrauchsfälle dokumentiert worden.
Im Vatikan wird es künftig zur Pflicht, schon den Verdacht auf Missbrauchsfälle unverzüglich anzuzeigen – mit der Einschränkung, dass dabei das Beichtgeheimnis nicht verletzt werden dürfe. Wird ein Verdachtsfall nicht sofort angezeigt, drohen Sanktionen.
Zudem sollen Personen, gegen die wegen Missbrauchsverdachts ermittelt wird, von Kindern und Jugendlichen ferngehalten werden. Obendrein soll bei einem Verdacht auf sexuellen Missbrauch oder auf die Misshandlung von Kindern auch ohne Anzeige strafrechtlich ermittelt werden können.
Der Pontifex will mit den neuen Regeln nach eigenem Bekunden dafür sorgen, dass „bei allen“ in der römischen Kurie und im Vatikan das Bewusstsein für die Pflicht wachse, Missbrauch zu melden und mit den zuständigen Behörden zu kooperieren. Der Papst machte deutlich, dass Missbrauchsopfer und deren Angehörige Anspruch auf spirituelle, medizinische, psychologische und juristische Hilfe hätten.
In dem Richtlinienkatalog wird Priestern und anderen kirchlichen Mitarbeitern im Vatikan, die mit Kindern zu tun haben, beispielsweise „strengstens untersagt“, eine besondere Beziehung zu einem einzelnen Minderjährigen aufzubauen oder sich einem Kind in anstößiger Weise zu nähern. Auch darf ein Kind demnach nicht aufgefordert werden, ein Geheimnis für sich zu behalten; zugleich darf ein Geistlicher ein Kind nicht beschenken.
Deutsche Bischöfe wollen konservative Sexualmoral diskutieren
Vatikan-Mitarbeiter dürfen Kinder dem Regelwerk zufolge nur fotografieren und filmen und dieses Bildmaterial im Internet veröffentlichen, wenn sie dafür ausdrücklich das Einverständnis der Eltern haben. Es wird angemahnt, im Beisein von Minderjährigen stets sichtbar für andere zu sein und deren Privatsphäre zu respektieren. Ein Beauftragter für den Schutz von Minderjährigen soll Sorge dafür tragen, dass diese Richtlinien auch befolgt werden. Er soll darüber hinaus Ansprechpartner für die Opfer von Missbrauch sein.
Die nun veröffentlichten Regeln gelten für Personen, die die vatikanische Staatsbürgerschaft haben oder im Kirchenstaat ihren Wohnsitz haben. Der kleinste Staat der Welt hat um die 800 Einwohner – gut 300 davon sind Diplomaten, die für den Vatikan in aller Welt im Einsatz sind. Minderjährige hingegen sind kaum darunter. Doch das Gesetz kann den Angaben zufolge auch auf Kinder angewendet werden, die sich regelmäßig im Vatikan aufhalten, beispielsweise auf jene 35 Jungen zwischen 9 und 13 Jahren, die Teil des Chors der Sixtinischen Kapelle sind.
In Deutschland wird nach Angaben der katholischen Kirche seit 2010 automatisch bei jedem Verdacht auf sexuellen Missbrauch die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Die Anzeigepflicht entfalle nur, wenn das Opfer dies ausdrücklich wünsche, heißt es. Als Konsequenz auf die im September bekanntgewordenen Tausenden Missbrauchsfälle in den vergangenen Jahrzehnten hatten die deutschen Bischöfe zuletzt zudem beschlossen, neben der umstrittenen Verpflichtung der Priester zur Ehelosigkeit (Zölibat) auch die äußerst konservative Sexualmoral der Kirche zur Diskussion stellen zu wollen.
Zuletzt geändert am 29.03.2019