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Veröffentlicht am 14­.06.2019

12.6.2019 - Neue Westfälische

»Kirche wächst nur durch Wandel«

Der scheidende Dechant Klaus Fussy über »Maria 2.0«, Papst Franziskus und Ökumene

Bielefeld (WB). 13 Jahre lang stand Pfarrer Klaus Fussy an der Spitze des katholischen Dekanats Bielefeld-Lippe. Jetzt ist er von seinem Amt als Dechant zurückgetreten und wird an diesem Mittwoch verabschiedet. Fussy spricht Im Gespräch mit WESTFALEN-BLATT-Redakteur Stefan Biestmann über die Initiative »Maria 2.0«, Papst Franziskus und die Reformen der katholischen Kirche in Bielefeld.

Auch in Bielefeld sind katholische Frauen in den Kirchenstreik getreten. Die Initiative »Maria 2.0« kritisiert, dass die Abschaffung männerbündischer Machtstrukturen nicht in Sicht ist. Haben die Frauen Recht?

Klaus Fussy: Es ist gut, dass Frauen sich engagieren und etwas verändern wollen. Kirche wächst nur durch Wandel. Fest steht auch: Frauen mit ihren vielseitigen Fähigkeiten müssen von der Kirche stärker wahrgenommen werden. In vielen Bereichen ist das schon der Fall. Frauen sind sehr präsent in den Gemeinden und bringen sich ein, als Ehrenamtliche, im Kirchenvorstand oder Pfarrgemeinderat. Klar ist: Frauen müssen in die Entscheidungen vor Ort noch mehr eingebunden werden. Die Kirche sollte in den Gemeinden nicht von oben herab entscheiden!

Kritisiert wird von der Protestbewegung auch der Umgang der Kirche mit dem Missbrauchsskandal. Wie viel Vertrauen hat die Kirche verloren?

 

Fussy: Es gab viele Kirchenaustritte, vor allem im Jahr 2010, aber auch jetzt. Was in der Öffentlichkeit zu kurz kommt, ist, dass die Kirche mittlerweile viel in der Präventionsarbeit unternommen hat. Präventionsseminare sind mittlerweile Pflicht in der Ausbildung von Haupt- und Ehrenamtlichen.

 

Die Reformgruppe »Wir sind Kirche« berichtet, dass gerade viele Ehrenamtliche über mangelnde Wertschätzung für ihre Arbeit klagen. Warum ist das so?

Fussy: Ich freue mich zunächst einmal, dass wir in Bielefeld so viele engagierte Ehrenamtliche haben. Diese Ehrenamtlichen sind für mich Kirche. Und sie haben bereits mehr Verantwortung erhalten. So dürfen sie in Bielefeld zum Beispiel Wortgottesdienste ohne Eucharistiefeier leiten. Es ist Aufgabe der hauptamtlichen Mitarbeiter, die Ehrenamtlichen zu motivieren, sie einzubinden und ihre Arbeit auch wertzuschätzen.

Eigentlich ging ihre Amtszeit noch bis 2021. Was war der Schlüsselmoment, als Sie entschieden haben, ihr Amt frühzeitig niederzulegen?

Fussy: Es gab keinen Schlüsselmoment. Ich spürte einfach, dass ich mich auf Aufgaben konzentrieren muss. Ich hatte das Gefühl, dass neben die Seelsorge die Selbstsorge treten muss, um der Seelsorge gerecht zu werden. Es gibt zwei Projekte, für die ich verantwortlich bin und die für mich auch eine Herzensangelegenheit sind: das City-Kloster und die Laienbewegung Sant’ Egidio. Hinzu kommt noch meine Arbeit als Priester im Pastoralverbund Ost. Die Zeit als Dechant hat mir immer große Freude bereitet. Aber man muss bedenken: Die Aufgabe als Dechant kommt immer noch oben drauf und ist sehr umfangreich und intensiv.

Ist es nicht grundsätzlich ein Problem, dass aufgrund des Priestermangels den Geistlichen immer mehr aufgebürdet wird – und so auch weniger Zeit für die Seelsorge bleibt?

Fussy: Wir merken es immer dann, wenn es Abgänge gibt – wie zum Beispiel im Sommer, wenn uns ein Vikar im Pastoralverbund Ost verlässt. Wenn jemand wegfällt, der nicht ersetzt wird, trifft das immer alle. Glücklicherweise werden wir bei Verwaltungsaufgaben mittlerweile entlastet. Im Bielefelder Süden gibt es als Pilotprojekt einen Verwaltungsleiter des Pastoralverbundes. Dann bleibt dem Pfarrer mehr Zeit für die Seelsorge. Es ist wichtig für Geistliche, rauszugehen und auf die Menschen zuzugehen.

Das sagt auch Papst Franziskus. . .

Fussy: Er ist ein Papst, der genau in diese Zeit passt, auch wenn er es mit seinen Reformbemühungen schwer hat. Ich habe aber schon nach seiner Amtseinführung damit gerechnet, dass er auf Widerstände trifft. Der Papst ist ein Vorbild für mich und hat mich geprägt. Er mahnt, dass wir die Armen nicht vergessen dürfen und die Not der Menschen im eigenen Umfeld sehen sollen.

Auch in Bielefeld, also in unserem Umfeld, gibt es immer noch viele Menschen, die Not leiden. . .

Fussy: Und diesen Menschen möchte ich mich jetzt noch mehr widmen – als Teil der weltweiten Laienbewegung Sant’ Egidio. Einen Ableger habe ich im Jahr 2005 in Bielefeld mitgegründet. Wir suchen Menschen in Not auf – zum Beispiel Obdachlose an der »Tüte« und am Hauptbahnhof oder Flüchtlinge in der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge an der Feilenstraße. Zudem veranstalten wir Weihnachtsfeiern und regelmäßig ein Frühstück sowie einen monatlichen Mittagstisch für Menschen in Not.

Es fällt auf, dass es in Bielefeld viele ungewöhnliche Projekte gibt: Das City-Kloster bietet seit Jahren Gespräche auf einer Kirchenbank in der Fußgängerzone an, die Initiative »Gast & Haus« veranstaltet Gottesdienste an Orten wie Autohäusern. . .

Fussy: Ich glaube, dass solche Projekte auf Dauer eine noch größere Rolle spielen. Wir müssen gerade für jüngere Menschen neue Zugänge zum Glauben schaffen – auch außerhalb der Kirchenmauern. Die Hemmschwelle zur Teilnahme ist dann niedriger. Wichtig ist aber, dass die klassischen Angebote bleiben und die örtlich gebundenen Menschen nicht auf ihre Gottesdienste verzichten müssen.

Es gab schon Kritik daran, dass sich aufgrund der Neustrukturierung der katholischen Kirche viele Gottesdienstzeiten geändert haben. . .

Fussy: Als wir die Neuaufteilung in drei Pastoralverbünde geplant haben, gab es natürlich Sorgen. Viele Menschen haben sich gefragt: Was wird aus meiner Kirchengemeinde oder aus den gewohnten Gottesdienstzeiten? Diese Ängste und auch die Kritik muss man ernst nehmen. Entscheidend ist es, dass wir die Menschen mitnehmen.

Ist das denn in Bielefeld gelungen?

Fussy: Ich denke schon. Viele Gemeindemitglieder haben sich bei der Erarbeitung der Pastoralvereinbarungen für die drei Verbünde Elisabeth im Bielefelder Süden, Mitte-Nord-West und Ost eingebracht. Sie haben also selbst inhaltliche Akzente für ihre Gemeinden gesetzt. Die Menschen spüren auch, dass die neue Struktur Chancen bietet. Neue Angebote gelten für die gesamte Stadt, jede Gemeinde kann selbst Schwerpunkte setzen – zum Beispiel in der Kirchenmusik.

Aber jetzt steht schon die nächste Strukturreform vor der Tür: Spätestens im Jahr 2025 soll es nur noch einen pastoralen Raum geben. Muten Sie den Gläubigen nicht zuviel zu?

Fussy: Wir fangen nicht bei null an. Eine Stadtkonferenz mit Hauptamtlichen befasst sich schon jetzt mit der neuen Struktur. Wichtig ist: Die Pfarreien bleiben erhalten und die Kirche bleibt weiter vor Ort. Aber dafür wird die Verwaltung weiter vereinfacht. Und die

Angebote der Gemeinden werden noch mehr auf die gesamte Stadt ausstrahlen.

In Ihrer Amtszeit haben Sie sich auch immer für die Ökumene stark gemacht. Wie weit ist die Ökumene in Bielefeld fortgeschritten?

Fussy: Ich habe viele Jahre sehr gut mit der früheren Superintendentin Regine Burg zusammengearbeitet. Der große ökumenische Gottesdienst auf dem Jahnplatz 2014 zum NRW-Tag und zur 800-Jahr-Feier Bielefelds gehört zu den schönsten Momenten meiner Amtszeit. Wir müssen uns immer fragen: Was können wir noch mehr für die Ökumene tun? Dabei beziehe ich ausdrücklich auch die Freikirchen und orthodoxen Kirchen mit ein. Es hat auf allen Seiten die Einsicht gegeben, dass die Einheit der Christen trotz jahrhundertelangen Gegeneinanders gefördert werden muss. Wirklich kraftvoll wirken können Christen nur ökumenisch.

Am 4. Juli wird ihr Nachfolger gewählt. Was wünschen Sie dem neuen Dechanten?

Fussy: Ein gutes Händchen, ein gutes Wahrnehmungsvermögen, aber auch Gelassenheit und die nötige Kraft für alle neue Herausforderungen.

Verabschiedung und Neuwahl

Das Dekanat Bielefeld-Lippe umfasst Bielefeld, den Kreis Lippe sowie Bad Pyrmont mit insgesamt etwa 100.000 Katholiken. Eine Amtszeit des Dechanten umfasst fünf Jahre.

Die hauptamtlichen Mitarbeiter machen zunächst Vorschläge, wer Klaus Fussy nachfolgen soll. Erzbischof Hans-Josef Becker bestimmt dann drei Kandidaten für die Wahl am 4. Juli in Bielefeld. Etwa 80 hauptamtliche Seelsorger dürfen dann den neuen Dechanten wählen.

Klaus Fussy verabschiedet sich als Dechant mit einem Vespergottesdienst an diesem Mittwoch um 18 Uhr in der Kirche St. Michael Oerlinghausen. Er wird selbst die Predigt halten. Anschließend gibt es einen Empfang im Gemeindehaus der Kirche.

Zur Person

Klaus Fussy (63) stammt gebürtig aus Rietberg. Im Jahr 1983 wurde er zum Priester geweiht. Später war er unter anderem in Siegen, Warburg und Paderborn tätig. Im Jahr 1996 begann er als Pfarrer in Schildesche, 2014 wechselte er in die Innenstadt. Im Jahr 2001 wurde er zum Regionaldekan der damaligen Seelsorgeregion Minden-Ravensberg-Lippe ernannt, im Jahr 2005 wurde er Dechant des damaligen Dekanats Bielefeld, seit 2006 agierte er als Dechant im Dekanat Bielefeld-Lippe.

Zuletzt geändert am 14­.06.2019