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Veröffentlicht am 02­.07.2019

2.7.2019 - Neue Osnabrücker Zeitung

Maria schweigt nicht mehr: Wie geht es weiter für Frauen in der katholischen Kirche?

Besuch in Münster Von Stefanie Witte

Münster. Jahrelang dominierte das Thema Missbrauch die Diskussionen in der deutschen katholischen Kirche. Nun kommt ein neues hinzu: die Frauenfrage. In der Protestbewegung "Maria 2.0" machen viele Katholikinnen deutlich, dass sie die Macht der Männer nicht mehr akzeptieren wollen. Wie sieht es hinter den Kulissen der Initiative aus und was ist nach dem vielbeachteten Kirchenstreik jetzt zu erwarten? Ein Ortsbesuch.

Eine große Schüssel mit Ananasstücken steht auf dem Tisch, daneben Wasser in Karaffen. Drumherum sitzen zehn Frauen und beratschlagen an diesem warmen Juniabend im Gemeindezentrum der Heilig-Kreuz-Gemeinde in Münster. Da, wo alles begonnen hat. Aus einem Lesekreis mit einer Handvoll Frauen ging hier Maria 2.0 hervor. Für die einen steht dieser Name für eine Frauenbewegung, die auf Reformen in der katholischen Kirche hoffen lässt. Andere tun das Ganze als Sturm im Wasserglas ab. Für konservative Kleriker klingt Maria 2.0 nach Provokation.

„Wir hören alle seit 50, 60 Jahren zu. Jetzt wünschen wir uns, dass uns mal zugehört wird“, wird Lisa Kötter später an diesem warmen Juniabend sagen. Die Künstlerin hat das Bild zu Maria 2.0 gemalt, das zahllose Male gefilmt, gedruckt und gepostet wurde: Die Mutter Jesu mit einem Pflaster über dem Mund. Kötter will jedoch nicht als Sprecherin der Runde gelten. Im Vorgespräch bekräftigte sie: „Wir sind hier nicht das Zentrum.“

Aber hier, im Gemeindezentrum nahm etwas seinen Anfang, das landesweit auf fruchtbaren Boden fiel. Ausgerechnet im Herzen Münsters, einer der katholischsten Städte des Landes, haben ein paar Frauen entschieden: Es reicht.

An diesem Abend geht es zunächst um ganz praktische Dinge. Erster Punkt auf der Tagesordnung: Wie können wichtige Absprachen im gemeinsamen Chat gekennzeichnet werden? Mit einem Ausrufezeichen, einem Herzchen, einem Auge? Wer geht zu welchem Termin? Wie soll das künftige Logo für gemeinsame Aktionen mit der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) aussehen? Maria? Oder doch ein pinker Punkt wie ihn die Schweizer Frauenbewegung nutzt, die ähnliche Ziele verfolgt wie die Deutschen?Die Frauen hier haben sich entschieden, auf Missbrauch und Vertuschung in der Kirche nicht mit Austritt zu reagieren. Stattdessen stellen Sie sich auf einen Kampf ein - gegen männerdominierte Machtstrukturen, gegen eine Kirche, die ihren Mitgliedern fremd ist.

Mit dem Papst fing alles an

Ursprünglich hatten die Frauen der Kreuzgemeinde gemeinsam einen Text von Papst Franziskus gelesen – über die Verkündigung des Evangeliums. Im Januar sprachen sie auch über das Thema Missbrauch und den Wunsch, von unten etwas in der Kirche zu verändern. Die Frauen verfassten einen Brief an den Papst, beklagten darin Vertuschung von Missbrauch, forderten, dass Frauen zu Priestern geweiht werden, dass die Kirche ihre Sexualmoral an der Lebenswirklichkeit der Gläubigen ausrichtet und der Zölibat abgeschafft wird. Über den Klerus heißt es: „In ihrer Mitte dulden sie nur eine Frau: Maria. Auf ihrem Sockel. Da steht sie. Und darf nur schweigen.“ Diese Rolle wollen die Frauen für sich nicht länger akzeptieren. Online haben den Brief bis heute rund 34.000 Menschen unterzeichnet.

Bundesweit nahmen laut den Münsteranerinnen mehrere Hundert Initiativen Maria 2.0 zum Vorbild und schlossen sich an. Zeitungen, Radio und Fernsehsender fragten an. Am 12. Mai dieses Jahres demonstrierten rund 800 Gläubige auf dem Domplatz in Münster. „Erneuert die Kirche!“ stand auf Plakaten. Anschließend gehen Frauen deutschlandweit in den Kirchenstreik, verweigern ihre Teilnahme und Mitarbeit in Gottesdiensten, bei Chorauftritten, in Büchereien. Lisa Kötter malt von Januar bis zum Kirchenstreik jeden Tag ein Bild von einem Menschen mit einem Pflaster über den Mund.

Zwischen Diskussion und Demo

Das Treffen an diesem Sommerabend in Münster erinnert an einen Mix aus Parteigründung und Wahlkampf. Die Frauen widmen der Planung von Auftritten, Podiumsdiskussionen, Terminen in Nachbargemeinden viel Zeit. Sie versuchen, die Flut an Anfragen zu kanalisieren, ihrem Protest eine Struktur zu geben. Am 6. Juli ist in Münster eine weitere Demo geplant – zusammen mit der kfd und bezeichnenderweise um 12.05 Uhr. Maria 2.0, ist mittlerweile allen, die sich in der Kirche für Reformen einsetzen, ein Begriff. Die Laienorganisation „Wir sind Kirche“ hat angerufen, der Eckige Tisch hat seine Solidarität bekundet.

Und dann geht es an diesem Abend plötzlich wieder um zentrale inhaltliche Fragen wie diese: Sollen Missbrauchsvorwürfe auf der nationalen Ebene geklärt werden oder nicht, weil Letzteres mehr Macht für Bischöfe vor Ort bedeuten könnte?

Theologen wie der Schweizer Moralprofessor Daniel Bogner bezeichnen die Initiative als vorbildhaft. Die Kritik vieler Bischöfe könne er nicht nachvollziehen, sagt Bogner. Hier geht es ja nicht um plumpes Kirchenbashing, sondern um Kritik, die aus dem Innersten kommt.“ Jahrzehntelange Auseinandersetzung mit dem Thema sowie theologische Kongresse hätten nichts an der Lage geändert. Zwar übernähmen mehr Frauen kirchliche Führungspositionen. Das sei jedoch theologisch unspektakulär. Im Zentrum der Diskussion steht die Frage: Dürfen Frauen Priesterinnen sein?

Scharfer Gegenwind

Allerdings sehen sich die Katholikinnen von Maria 2.0 auch mit harter Kritik konfrontiert. Der Aachener Bischof Helmut Dieser erklärte, er könne das Format „geistlich und theologisch“ nicht nachvollziehen. Der Münsteraner Bischof Felix Genn warnte in einer Predigt vor einer „Verzweckung der Gottesmutter Maria“. Und die Deutsche Bischofskonferenz bezeichnete Streik als das falsche Mittel. Der konservative Augsburger Bischof Konrad Zdarsa erklärt im Interview mit katholisch.de sogar, den Frauen stünde es frei, die Kirche zu verlassen. Und in Dresden heißt es apodiktisch, Priesterinnen stünden der „Tradition und Lehre unserer Kirche“ entgegen. Der emeritierte Kurienkardinal Walter Kasper betonte, dass die Priesterweihe Männern vorbehalten sei und verwies auf ein in Kirchenkreisen gut bekanntes Schreiben von Johannes Paul II.

Der damalige Papst hatte mit seinem Text „Ordinatio sacerdotalis“ vor einem Vierteljahrhundert, im Mai 1994, festgelegt, dass Frauen keine Priesterinnen werden dürfen. Alle Gläubigen hätten sich endgültig an diese Entscheidung zu halten. Einige Theologen und vor allem Laien zweifeln an dieser Endgültigkeit.

In Münster zeigt die Uhr 21.45. In der Schüssel liegen nur noch wenige Ananasstücke. „Möchte noch jemand?“, fragt eine Frau. Die anderen schütteln den Kopf und so landet der Rest in ihrem Schälchen. Am Ende des Abends geht es um die Vernetzung mit weiteren Stadtgemeinden, um letzte Terminabsprachen. Dann packt die erste Frau zusammen und sagt: „Ich muss mich leider aufmachen.“ Auch die anderen räumen zusammen. Ein prüfender Blick in die Kalender, dann schließen Lisa Kötter und zwei weitere Frauen die Türen des Gemeindezentrums.

Erfolgschancen?

Wie sehen ihre Chancen auf Erfolg aus? Noch ist unklar, inwieweit sich die Deutsche Bischofskonferenz mit dem Thema Frau in der Kirche beschäftigen wird. Es könnte sein, dass es Teil des sogenannten synodalen Weges wird, einem Diskussionsprozess der Bischöfe, der aus dem massiven Problem der katholischen Kirche mit Missbrauch resultiert. Auch Laien sollen einbezogen werden. Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau stand bislang nicht allzu weit oben auf der Agenda. Bei der vergangenen Vollversammlung der Kleriker in Lingen dominierte das Thema Missbrauch. Eine Statistik zu Frauen in Führungspositionen der katholischen Kirche verkam zu einer Randnotiz. Ebenso wie die Absicht der Bischofskonferenz, den Frauenanteil in diesem Bereich mittelfristig auf 30 Prozent zu steigern. Zumal das den Frauen, die sich vollständige Gleichberechtigung wünschen, nicht reichen dürfte.

Wo sind die Verbündeten?

Am Ende hat Maria 2.0 jedoch gemäß den aktuellen Spielregeln keinerlei Befugnis, über Kirchenstrukturen mitzuentscheiden. Die Frauen sitzen nicht mit am Tisch, wenn die Deutsche Bischofskonferenz über ihre Themen beratschlagt. Sie haben zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal sonderlich viele Kirchenvertreter auf ihrer Seite, die die Macht hätten, Veränderungen anzustoßen und sich öffentlich positionieren. Und am Ende käme es auf Rom an. Papst Franziskus aber hat jüngst erklärt, nicht einmal zum Diakonat der Frau gebe es in absehbarer Zeit eine Entscheidung. Zwar hatte eine entsprechende Kommission nach zweijähriger Arbeit vor kurzem ihren Bericht übergeben. Zu einer Entscheidung für oder gegen Diakoninnen kam es jedoch nicht. Nun soll weiter geforscht werden – auch zu der Frage, warum es in den Anfängen der christlichen Kirchen keine Priesterinnen gab. „Ein weibliches Priesteramt im heidnischen Kult war zu jener Zeit normal. Warum gab es diese Entwicklung nicht in der Kirche?“, fragte Franziskus.

Am vergangenen Wochenende bekamen die deutschen Bischöfe zudem einen Brief von ihrem Papst, in dem dieser einerseits vor Spaltung und Alleingängen warnte, andererseits ermutigte, sich weiterzuentwickeln. Maria 2.0 erwähnte Franziskus nicht, verwies aber auf ein früheres Schreiben, in dem es hieß, an der biblischen Maria sehe man, "dass die Demut und die Zärtlichkeit nicht Tugenden der Schwachen, sondern der Starken sind". Demütig aber wollen viele Frauen in Deutschland gegenüber der Kirche und der Macht der Männer nicht mehr sein.

Bis die Frauen mit ihren Anliegen erfolgreich sind, dürfte es also noch lange dauern – falls es jemals so weit sein sollte. Wenn sie nicht irgendwann aufgeben, dem Rat des Augsburger Bischofs folgen, den Kampf beenden – und austreten. (mit KNA)

https://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/1789663/maria-2-0-kirchenstreik-katholische-kirche-frauen

Zuletzt geändert am 02­.07.2019