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Veröffentlicht am 08­.06.2007

8.6.2007 - Südwest Presse

Open-Air statt stiller Momente

GLAUBEN / Der evangelische Kirchentag in Köln zieht 400 000 Besucher an

Laien ohne Hoffnung auf ein gemeinsames Abendmahl - Suche nach Spiritualität

Ein Fest des Glaubens will der evangelische Kirchentag sein. Abertausende haben sich dafür auf den Weg nach Köln gemacht. Mit im Gepäck die Hoffnung, dass das Großereignis Gemeinschaft und Spiritualität erfahrbar macht. Doch dem Funken fehlt noch Kraft.


ELISABETH ZOLL

Das Menschenmeer zeigt Farbe: orange. Um Köpfe, Schultern und Hüfte gewickelt leuchten Schals in der Erkennungsfarbe des 31. evangelischen Kirchentages, der unter dem Motto "Lebendig und kräftig und schärfer" steht. Die Farbe zieht sich wie eine Leuchtspur durch Köln, wo bis zum Sonntag 400 000 Besucher erwartet werden. Ein Zeichen für die Präsenz der evangelischen Kirche will das Großereignis mit seinen 3000 Veranstaltungen setzen. Gar einen Aufbruch markieren, wie die orangefarbenen Fahnen vor gar nicht langer Zeit in der Ukraine, die für einen Wandel des politischen Systems standen?

Aufbruch in Köln. Die gut 100 000 Menschen, die zum Auftaktgottesdienst an den Rhein gekommen sind, haben das wörtlich zu nehmen. Vom Zentrum der Stadt geht es mit U-Bahnen, Bussen und zu Fuß hinaus an den Stadtrand, vorbei an Schrottbergen, einem Holzlagerplatz und einem Insolvenzzentrum. Die Stimmung ist gelöst, noch geht es nicht um die Auseinandersetzung mit den Folgen der Globalisierung und um den Dialog mit anderen Konfessionen.

Auf den Poller Wiesen im Stadtteil Deutz wehen schon die Fahnen. Schlepper tuckern neben dem Gelände auf dem Rhein entlang. Hier ein mehrere Meter großes strahlend weißes Kreuz, dort, auf der anderen Rheinseite, der Dom. Die Größenverhältnisse sind unübersehbar. In der viertgrößten Stadt Deutschlands stehen 415 000 Katholiken 178 000 Protestanten gegenüber.

An Ökumene, sagt der rheinische Präses Nikolaus Schneider, komme man im Alltag nicht vorbei, bei der Organisation einer Großveranstaltung wie dem Kirchentag schon gar nicht. Schneider wird nicht müde, die Gastfreundschaft auf katholischer Seite zu loben, und verdeckt dabei doch nur dürftig, dass der ökumenische Dialog in den vergangenen Jahren stark ins Stocken geraten ist. Vor allem in Köln, wo mit Joachim Kardinal Meisner nicht gerade ein Protagonist der Ökumene die katholische Kirche führt. Als "Leipziger Allerlei" verspottete er zum Auftakt des Kirchentages die Vielzahl der Veranstaltungen. "Der Vorteil ist, wir kennen uns", sagt Präses Schneider über Meisner. "Was gut miteinander geht, machen wir."

Anderes, wie die gemeinsame Feier des Abendmahls, wird zurückgestellt. Das wäre jetzt das "falsche Signal", glaubt auch Eva Maria Kiklas vom Bundesteam der katholischen Reformbewegung "Wir sind Kirche". Ein gemeinsamer Gottesdienst wie beim ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin, der bischöfliche Sanktionen gegen zwei katholische Theologen nach sich zog, wäre heute nicht mehr als eine Provokation. Kiklas: "In den oberen Kirchenrängen herrscht Eiszeit."

Viel Druck von oben

Das sieht auch die Ordensfrau Lea Ackermann so. "Die Situation ist trauriger als vor 12 Jahren." Wenn sich bis zum ökumenischen Kirchentag 2008 in München etwas ändern solle, müssten die Impulse von der Basis kommen. Doch die hat es in Köln nicht leicht. "Der Druck auf die katholischen Kirchengemeinden ist groß", sagt ein pensionierter Lehrer, der sich mit seiner Frau am Abend durch die Gassen der Altstadt treiben lässt. Vieles, was in den vergangenen Jahren in den Gemeinden an ökumenischer Gemeinschaft aufgebaut worden sei, werde von der Kirchenspitze sabotiert. Auch deshalb treibt es die beiden immer wieder zu Kirchentagen: "Hier wird Kirche erlebbar." Hier sei die Jugend, die in den Kirchen fehle.

Musik klingt am Abend der Begegnung von den Plätzen. Vor dem zum Fronleichnamstag geschmückten Dom rockt Wolfgang Niedecken, Frontmann der legendären Kölner Band BAP. Andernorts ziehen Theater- und Kabarettgruppen die Besucher in den Bann - wie später in der Dunkelheit die Klanginstallation des Komponisten Markus Stockhausen, der Abertausende mit Kerzen in der Hand lauschen.

Voll ist es, "aber nicht so wie beim Weltjugendtag von zwei Jahren", sagt ein Kölner. Als Papst Benedikt in die Domstadt kam, herrschte in den Straßen Gedränge. So aber bleibt Raum für Gespräche vor den vielen Informationsständen kirchlicher Einrichtungen und Platz für einen spontanen Tanz auf der Straße. Der Wunsch, Glauben mit anderen zu teilen, hat Ursula Grimm (61) aus Limburg nach Köln geführt. "Hier erfahre ich mehr Gemeinschaft als in meiner Kirchengemeinde", sagt die Religionslehrerin. Dass man mit Fremden in tiefsinnige Gespräche über Gott und Glauben kommen kann, fasziniert sie. "Auch wenn man alleine anreist, fühlt man sich hier nicht allein", sagt Cornelia Gerhards-Velde, die aus der Nähe von Bremen stammt. Die Grundschullehrerin, die bei ihren Schülern kaum noch auf religiöse Bindungen stößt, genießt die Gespräche und die Anstöße eines Kirchentages. Vor allem aber hofft sie auf ein spirituelles Angebot: "Die Menschen müssen tief innen angerührt werden." Diese Sehnsucht werde in der evangelischen Kirche oft nicht gestillt. "Da bleibt etwas kalt."

Zurück zum Eröffnungsgottesdienst auf den Poller Wiesen, der an ein großes Open-Air-Festival erinnert. Hier folgt das Wort dem Lied Schlag auf Schlag, nur Stille hat in diesem Programm keinen Platz. Die Menschenmenge wippt beschwingt und fröhlich, ergriffen wirkt sie nicht. In dieser Stimmung ziehen die Massen zurück ins Zentrum, dorthin, wo der Kirchentag ein Zeichen setzen will.

Zuletzt geändert am 13­.06.2007