13.11.2019 - domradio.de
Katholische Bischöfe in der Zwickmühle. Wer zahlt wieviel und woraus an Missbrauchsopfer?
Der Umgang mit Missbrauch ist eines der heikelsten Themen, mit denen sich die katholische Kirche auseinandersetzen muss. Das zeigt auch die Debatte darüber, ob Zahlungen an Opfer aus Kirchensteuern kommen dürfen.
Erlittenes Leid - etwa durch sexuellen Missbrauch - lässt sich kaum wiedergutmachen oder entschädigen. Darüber besteht Konsens. Dennoch kann Geld den Opfern helfen, notwendige Therapien zu bezahlen oder etwaige Verdienstausfälle wenigstens teilweise zu kompensieren, wenn sie als Folge des Missbrauchs häufiger krank sind.
Auch das ist innerhalb wie außerhalb der Kirche unstrittig. Und so fiel die Resonanz überwiegend positiv aus, als die katholischen Bischöfe im September ankündigten, "zügig an der Weiterentwicklung des Verfahrens zur Anerkennung von erlittenem Unrecht weiterzuarbeiten".
Zwei Modelle vorgeschlagen
Bisher erhielten Betroffene Pauschalzahlungen von rund 5.000 Euro, in Einzelfällen mehr. Eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung von Missbrauchsopfern hatte zwei neue Modelle vorgeschlagen: Eine Pauschale von rund 300.000 Euro pro Opfer oder ein abgestuftes Verfahren, bei dem je nach Schwere des Falls zwischen 40.000 und 400.000 Euro gezahlt werden sollen. Wobei die Bischöfe betonten, dass sie noch nicht über konkrete Summen abgestimmt haben.
Zugleich wiesen sie auf Knackpunkte hin - insbesondere mit der Frage: "Wie wird die Höhe der Anerkennungsleistungen so gestaltet, dass für die Betroffenen eine höhere Zufriedenheit erreicht wird, die aber von den Bistümern und Ordensgemeinschaften auch geleistet werden kann?"
Debatte um Finanzierung der Entschädigungszahlungen
Schnell entzündete sich die Debatte daran, woher das viele Geld kommen soll. Schätzungen gehen von bis zu einer Milliarde Euro aus - wobei diese Zahl nie offiziell bestätigt wurde. Besonders kontrovers wird seither die Frage diskutiert, ob auch Kirchensteuermittel dafür verwendet werden.
Jesuitenpater Klaus Mertes etwa warnte, dass dadurch "das gesamte Kirchenvolk in Mithaftung genommen wird für das Leitungsversagen weniger". Andere betonten, auch die Opfer müssten dann mit bezahlen - sofern sie der Kirche angehören. Der Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller schlug vor, die Bischöfe sollten ein Zeichen setzen und ein Viertel ihres Gehalts einer Stiftung für Opfer zukommen lassen.
Am Sonntag nun trat der Trierer Bischof Stephan Ackermann ungewollt eine neue Runde in der Debatte los. Natürlich müssten zunächst die Täter zur Verantwortung gezogen werden, betonte der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz auf Anfrage vor Journalisten. Da dies aber oft gar nicht mehr möglich sei - etwa bei verstorbenen Tätern und Vertuschern - und weil die so erzielbare Summe niemals ausreichen könne, sehe er keine Alternative dazu, zumindest einen Teil aus der Kirchensteuer zu zahlen.
Kritik am Vergleich zur gescheiterten PKW-Maut
Auch wenn es vielen verständlicherweise widerstrebe, für Verfehlungen einzelner Geistlicher einzustehen, seien die Kirchenmitglieder als Solidargemeinschaft in der Pflicht. Ähnlich sei es etwa beim Entschädigungsfonds für Heimkinder. Im Bistum Trier habe man alle Zahlungen übrigens bisher aus dem Sondervermögen des Bischöflichen Stuhls beglichen und wolle dies auch weiter tun. Doch auch dies seien letztlich Mittel der Gemeinschaft.
Rasch schlugen die Wellen hoch - und das nicht nur, weil Ackermann die Solidargemeinschaft Kirche mit jener der bürgerlichen Steuerzahler verglichen hatte, die für Kosten von Politikerfehlern aufkommen müssen. Als Beispiel nannte er die Kosten der gescheiterten PKW-Maut - wofür er anschließend um Entschuldigung bat, weil der Vergleich "zu salopp und unpassend" gewesen sei.
Gläubige als Solidargemeinschaft nicht in Haftung nehmen
Die katholische Frauenbewegung Maria 2.0 kritisierte, für das kollektive Versagen der Bischöfe und ihrer leitenden Mitarbeiter dürften die Gläubigen als Solidargemeinschaft nicht in Haftung genommen werden: "Diese Idee der 'Vergesellschaftung' von Wiedergutmachungen für begangene Verbrechen ist abstoßend."
Auch die Initiative "Wir sind Kirche" erklärte, die Kirchenmitglieder dürften nicht "für das Versagen der Kirchenleitungen" und für "jahrzehntelange Vertuschung" einstehen müssen. Die Trierer Regelung mit Mitteln des Bischöflichen Stuhls müsse überall Anwendung finden - notfalls ergänzt um einen Finanzausgleich, wenn ärmere Bistümer sonst überfordert wären.
Kirchensteuergelder würden "Welle der Empörung" auslösen
Der Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, sagte, es sei "fatal", in einem so frühen Stadium der Beratung davon auszugehen, dass Kirchensteuermittel eingesetzt werden können. Dies könne "zu einer Welle der Empörung führen, deren Ausmaß kaum abgeschätzt werden kann".
Sternberg warnte auch davor, allgemeine Opferzahlen mit pauschalen Summen zu multiplizieren. Hier seien Beträge im Raum, die im europäischen Rechtsraum bislang noch nie gezahlt worden seien. Die Kirche könne nicht auf beliebige Finanzquellen zurückgreifen. Die in Rede stehenden Summen würden besonders Orden in den Ruin treiben. Selbstverständlich sei, dass die Kirche Therapiekosten für traumatisierte Menschen trage. Noch sei es aber völlig verfrüht zu sagen, wie ein kirchlicher Entschädigungsfonds ausgestattet werden könne.
Sternberg spricht damit auch andere offene Fragen an, die im Raum stehen. An welchen Stellen müsste die Kirche sparen, um höhere Zahlungen leisten zu können? Oder was ist etwa mit Missbrauchsopfern aus Sportvereinen, Schulen, Familien oder aus der evangelischen Kirche, sollte die katholische Kirche demnächst sehr viel mehr zahlen als andere Organisationen, in deren Bereich es Missbrauch gab?
Evangelische Kirche gegen Entschädigungszahlungen
Bei der derzeit laufenden Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Dresden hieß es am Dienstag, man sei gegen Entschädigungszahlungen für Missbrauchsopfer, denn "welche Institution könnte allen Ernstes entschädigen, was ein Täter jemandem an Leid angetan hat". Natürlich wolle man den Opfern aber bei der Aufarbeitung und bei Therapien helfen und das kirchliche "Anerkennungs- und Unterstützungssystem" weiterentwickeln.
Wann und wie es in der katholischen Kirche nun konkret weitergehen soll, ist noch unklar. Bischof Ackermann sagte, er erwarte noch harte Auseinandersetzungen auf der Suche nach einem "opferorientierten und möglichst gerechten System". Aber dieser Streit müsse sein, und es werde sicher kein für alle Seiten zufriedenstellendes Ergebnis geben können: "Wir kriegen auf jeden Fall wieder Prügel - egal was wir entscheiden."
Zuletzt geändert am 13.11.2019