18.11.2019 - domradio.de
Schwierige Debatte um Zahlungen an Missbrauchsopfer. Katholische Bischöfe in der Zwickmühle
Der Umgang mit Missbrauch - eines der heikelsten Themen für die katholische Kirche. Beim Treffen der Bischöfe zum Ständigen Rat geht es jetzt auch darum, ob Zahlungen an Opfer aus Kirchensteuern kommen dürfen.
Erlittenes Leid - etwa durch Missbrauch - lässt sich kaum wiedergutmachen oder entschädigen. Darüber besteht Konsens.
Dennoch kann Geld Opfern helfen, notwendige Therapien zu bezahlen oder etwaige Verdienstausfälle wenigstens teilweise zu kompensieren, wenn sie als Folge des Missbrauchs häufiger krank sind. Auch das ist unstrittig. Und so fiel die Resonanz überwiegend positiv aus, als die katholischen Bischöfe im September ankündigten, "zügig an der Weiterentwicklung des Verfahrens zur Anerkennung von erlittenem Unrecht weiterzuarbeiten".
Bischöfe debattieren beim Ständigen Rat über Entschädigungsleistungen
Bisher erhielten Betroffene Pauschalzahlungen von rund 5.000 Euro, in Einzelfällen auch deutlich mehr. Eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung von Missbrauchsopfern hatte zwei neue Modelle vorgeschlagen: Eine Pauschale von rund 300.000 Euro pro Opfer oder ein abgestuftes Verfahren, bei dem je nach Schwere des Falls zwischen 40.000 und 400.000 Euro gezahlt werden. Wobei die Bischöfe betonen, noch nicht über Summen und Details beraten zu haben. Das soll jetzt beim Ständigen Rat bis Dienstag in Würzburg passieren.
Zugleich wiesen sie auf Knackpunkte hin - vor allem mit der Frage: "Wie wird die Höhe der Anerkennungsleistungen so gestaltet, dass für die Betroffenen eine höhere Zufriedenheit erreicht wird, die aber von den Bistümern und Ordensgemeinschaften auch geleistet werden kann?"
Schnell entzündete sich die Debatte daran, woher das Geld kommen soll. Schätzungen gehen von einer Gesamtsumme von bis zu einer Milliarde Euro aus - wobei die Zahl nie offiziell bestätigt wurde.
Finanzierung aus Kirchensteuermitteln?
Besonders kontrovers wird die Frage diskutiert, ob auch Kirchensteuermittel verwendet werden.
Jesuitenpater Klaus Mertes etwa warnte, dass dadurch "das gesamte Kirchenvolk in Mithaftung genommen wird für das Leitungsversagen weniger". Andere betonten, auch die Opfer müssten dann mit bezahlen - sofern sie der Kirche angehören. Der Theologe und Psychotherapeut Wunibald Müller schlug vor, die Bischöfe sollten ein Zeichen setzen und ein Viertel ihres Gehalts einer Stiftung für Opfer zukommen lassen. Und Kirchenrechtler Thomas Schüller sagte, er könne sich vorstellen, auch Immobilien, Grundstücke und das Bistumsvermögen einzubeziehen.
Zuletzt trat der Trierer Bischof Stephan Ackermann ungewollt eine neue Runde in der Debatte los. Natürlich müssten zunächst die Täter zur Verantwortung gezogen werden, betonte der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz. Da dies aber oft nicht mehr möglich sei und weil die so erzielbare Summe nie ausreichen könne, sehe er keine Alternative dazu, zumindest einen Teil aus der Kirchensteuer zu zahlen.
Auch wenn es vielen verständlicherweise widerstrebe, für Verfehlungen einzelner Geistlicher einzustehen, seien die Kirchenmitglieder als Solidargemeinschaft in der Pflicht. Ähnlich sei es etwa beim Entschädigungsfonds für Heimkinder. Im Bistum Trier habe man alle Zahlungen bisher aus dem Sondervermögen des Bischöflichen Stuhls beglichen und wolle dies auch weiter tun. Doch auch dies seien letztlich Mittel der Gemeinschaft.
Kritik an Finanzierung durch Kirchensteuermittel
Rasch schlugen die Wellen hoch - und nicht nur, weil Ackermann die Solidargemeinschaft Kirche mit jener der bürgerlichen Steuerzahler verglichen hatte, die für Kosten von Politikerfehlern aufkommen müssen. Als Beispiel nannte er die gescheiterte Maut - wofür er rasch um Entschuldigung bat, weil der Vergleich "zu salopp und unpassend" gewesen sei.
Die katholische Frauenbewegung Maria 2.0 kritisierte, für das kollektive Versagen der Bischöfe und ihrer leitenden Mitarbeiter dürften die Gläubigen nicht in Haftung genommen werden. Auch die Initiative "Wir sind Kirche" erklärte, Kirchenmitglieder dürften nicht "für das Versagen der Kirchenleitungen" und für "jahrzehntelange Vertuschung" einstehen müssen. Die Trierer Regelung mit Mitteln des Bischöflichen Stuhls müsse überall Anwendung finden - notfalls ergänzt um einen Finanzausgleich, wo ärmere Bistümer überfordert wären.
Der Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, sagte, es sei "fatal", in diesem frühen Stadium der Beratung davon auszugehen, dass Kirchensteuermittel eingesetzt werden können. Dies könne "zu einer Welle der Empörung führen, deren Ausmaß kaum abgeschätzt werden kann".
Sternberg warnte auch davor, über so hohe Beträge zu reden, die im europäischen Rechtsraum bislang noch nie gezahlt worden seien und die besonders Orden in den Ruin treiben könnten. Er sprach auch andere offene Fragen an: Wo müsste die Kirche sparen, um höhere Zahlungen leisten zu können? Oder was ist etwa mit Missbrauchsopfern aus Sportvereinen, Schulen, Familien oder aus der evangelischen Kirche, sollte die katholische Kirche demnächst sehr viel mehr zahlen als andere Organisationen?
EKD gegen Entschädigungszahlungen
Bei der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hieß es, man sei gegen Entschädigungszahlungen, denn "welche Institution könnte allen Ernstes entschädigen, was ein Täter jemandem an Leid angetan hat". Natürlich wolle man aber bei Aufarbeitung und Therapien helfen und das kirchliche "Anerkennungs- und Unterstützungssystem" weiterentwickeln.
Zuletzt wandte sich eine Gruppe von Katholikinnen und Katholiken mit einem offenen Brief an die Bischöfe: Die Kirchensteuer für Zahlungen an Opfer zu nutzen, sei "ein Frontalangriff auf die Legitimität des geltenden Kirchensteuersystems". Stattdessen müssten die Bischöfe selbst aktiv werden, Verantwortung übernehmen und einen Teil ihres Gehalts oder ihrer Pension in einen Entschädigungsfonds einzahlen.
Auch der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick sagte am Wochenende, man solle nicht die Kirchensteuer einbeziehen. Zudem könne auch kein Bischof ohne Zustimmung des Diözesansteuerausschusses über diese Mittel verfügen. Außerdem sprach er sich gegen pauschale Zahlungen aus. Bei den aktuell diskutierten Summen im sechsstelligen Bereich brauche es eine Plausibilitätsprüfung mit anerkannten Standards.
Auf alle Fälle, so Schick, gebe es noch viel zu diskutieren. Auch Ackermann sagte, er erwarte noch harte Auseinandersetzungen auf der Suche nach einem "opferorientierten und möglichst gerechten System".
Aber dieser Streit müsse sein, und es werde sicher kein für alle Seiten zufriedenstellendes Ergebnis geben können: "Wir kriegen auf jeden Fall wieder Prügel - egal was wir entscheiden."
Zuletzt geändert am 18.11.2019