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Veröffentlicht am 11­.05.2020

11.5.2020 - KNA

Papier konservativer Würdenträger zu Corona sorgt für Kritik

Ansichten statt Argumente - was die Unterzeichner verbindet
Hohe Kirchenmänner verfassen ein Papier zur Corona-Krise, das Wellen schlägt. Auch Kardinal Müller hat es unterschrieben.
Deutsche Bischöfe wollen den Schaden begrenzen. Von kruden Verschwörungstheorien ist die Rede.
Von Thomas Winkel (KNA)

Bonn/Rom (KNA) Auch geraume Zeit nach Veröentlichung des umstrittenen Textes kocht die Debatte munter weiter. Kein Wunder, das Dokument stammt aus der Feder führender Kirchenmänner und beansprucht, nichts Geringeres zu formulieren als die Wahrheit: Die Wahrheit wird euch frei
machen steht auf Latein über dem Aufruf für die Kirche und für die Welt.

Nach wachsender Kritik, nicht zuletzt von der Deutschen Bischofskonferenz, hat Kardinal Gerhard Ludwig Müller seine Unterschrift unter den Text verteidigt. Initiator ist der italienische Erzbischof Carlo Maria Vigano (79), der zu den schärfsten Kritikern von Papst Franziskus zählt und diesen
sogar schon zum Amtsverzicht aufgefordert hatte.

Allerdings: Der frühere Papstbotschafter in den USA hat selbst kein kirchliches Amt mehr inne. Auch Kardinal Müller ist seinen Spitzenjob als Chef der Glaubenskongregation los, seit Franziskus 2017 seine fünfjährige Amtszeit nicht verlängert hat.

Und ebenso fühlt sich der dritte prominente Unterzeichner von der Kirchenleitung in Rom im Stich gelassen: Kardinal
Joseph Zen Ze-kiun aus Hongkong äuÿerte mehrfach Unverständnis über eine mittlerweile chinafreundlichere Politik des
Vatikan. Zen geht auf die 90 zu und bekleidet nach seiner Emeritierung ebenfalls kein Amt mehr.

Doch in Teilen der Öentlichkeit ist der Eindruck entstanden, als ob der Aufruf ein ozielles Kirchenpapier sei. Eine Masche, an der die Unterzeichner zumindest mitstricken. Im ersten Satz versuchen sie, ihre Autorität zu unterstreichen: In einer Zeit schwerster Krise erachten wir Hirten der katholischen Kirche, aufgrund unseres Auftrags, es als unsere heilige Pficht, ..."

Ein solcher Appell ist ihr gutes Recht, zumal für jene unter ihnen, die zu Bischöfen geweiht sind. Aber sie sprechen nicht im Namen der gesamten Kirche, des Vatikan oder eines Bistums.

Ihr Schreiben ist gespickt mit Behauptungen, Mutmaßungen und Unterstellungen. Fakten oder Beweise sind rar. Ansichten und Absichten, aber kaum Argumente. Ein Beispiel: Wir glauben auch, dass in einigen Situationen die Eindämmungsmaÿnahmen, einschlieÿlich der Schlieÿung von Gesch
äften und Betrieben, (...) ergrien wurden, um eine Einmischung von fremden Mächten zu begünstigen.

In Sozialen Medien, wo obskure Verdächtigungen besonders schnell aufblühen, zog der am 7. Mai veröentlichte Aufruf sofort Kreise. In Italien jedoch ndet er kaum ein mediales Echo, obwohl dort Vorgänge rund um Papst und Kirche normalerweise mit Argusaugen beobachtet werden.

Als einer der ersten Kirchenvertreter in Deutschland schaltete sich Essens Generalvikar Klaus Pfeer ein. Auf Facebook zeigte er sich einfach nur fassungslos, was da im Namen von Kirche und Christentum verbreitet wird: Krude Verschwörungstheorien ohne Fakten und Belege, verbunden
mit einer rechtspopulistischen Kampf-Rhetorik, die beängstigend klingt.

Die Deutsche Bischofskonferenz reagierte auf das Schreiben mit dem Hinweis, sie kommentiere grundsätzlich keine Aufrufe einzelner Bischöfe auÿerhalb Deutschlands. Allerdings füge ich hinzu, dass sich die Bewertung der Corona-Pandemie durch die Deutsche Bischofskonferenz grundlegend von dem gestern veröentlichten Aufruf unterscheidet, so der Konferenz-Vorsitzende Bischof Georg Bätzing.

Eine Erklärung, die aus nur zwei Sätzen besteht - wobei der mittlere (also unausgesprochene) Satz Interesse weckt: Wenn man eigentlich nicht kommentiert und es dann doch tut, stuft man den Vorgang nicht gerade als Lappalie ein. Dafür spricht auch, dass weitere Oberhirten die Kritik stützen.

Bischof Gebhard Fürst aus Stuttgart spricht von gefährlichen Theorien konservativer katholischerWürdenträger und warnt vor einem Spiel mit dem Feuer. Und Magdeburgs Bischof Gerhard Feige moniert: Manche extremen Kirchenvertreter gebärden sich als Pseudowissenschaftler, Impfgegner und Esoteriker.

Kardinal Müller verteidigt unterdessen den von Kardinälen, Bischöfen und katholischen Laien unterzeichneten Appell und sagte der Zeitung Die Tagespost, interessierte kirchliche Kreise benutzten das Papier, um daraus Empörungskapital gegen ihre vermeintlichen Gegner zu schlagen.
Und weiter: Jeder nennt jetzt jeden Andersdenkenden Verschwörungstheoretiker. Müller betonte, sein Augenmerk habe auf der zum Teil unzulänglichen kirchlichen Reaktion gelegen.

Mit dieser Andeutung dürfte der Kardinal auf die in vielen Staaten und auch in den meisten deutschen Bundesländern
verhängten Gottesdienstverbote in der Corona-Pandemie zielen,
die er als inakzeptabel ablehnt. Bischöfe nähmen sich
mitunter als Staatsbeamte wahr, so Müller. In der Tat ber
ührt diese Frage die jeweilige Eigenständigkeit von Staat und
Kirche.

Im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland NRW beispielsweise hatte die Landesregierung daher Gottesdienste
nie verboten, sondern sich auf Zusagen der Religionsgemeinschaften
verlassen. Insgesamt bezeichneten die deutschen Bisch
öfe die schwerwiegenden Einschränkungen bei den Gottesdiensten
als vernünftig und verantwortungsvoll. Später forderten
sie, die Beschränkungen mit Verantwortung und Augenma
ÿ wieder zu lockern. Auch aus diesem Abwägen, was
wann und wie lange angemessen ist, wird die Spannung deutlich.

Die Stoßrichtung des Appells dagegen ist deutlich weniger
dierenziert. An vielen Stellen liegt ein Schwarz-Weiÿ-Denken
vor. In überwunden geglaubter Manier droht er mit dem
Jüngsten Gericht, spricht vom Kampf gegen einen unsichtbaren
Feind und ersehnt Schutz und festen Glauben. Zum
Teil in einer Bildsprache, die für weltliche Ohren so merkw
ürdig klingt wie im Schlusssatz: Demnach soll die Jungfrau
Maria den Kopf der alten Schlange zertreten und die Pläne
der Söhne der Finsternis zunichtemachen.

Die Bewegung Wir sind Kirche, die oft mit Kritik vom
anderen Ende des kirchlichen Spektrums auällt, klingt da im
Vergleich plötzlich staats- und kirchentragend: Gerade in einer
groÿen Krise seien Vertrauen und Glaube gefordert. Und
dieser Glaube führt zu überwältigender Solidarität mit all denen,
die unserer Hilfe bedürfen.


© KNA

Zuletzt geändert am 11­.05.2020