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Veröffentlicht am 06­.04.2021

6.4.2021 - epd

Schutzheiliger der Ökumene

Ausnahme-Theologe Hans Küng im Alter von 93 Jahren in Tübingen gestorben

Hans Küng war ein Universalgelehrter: Mehr als ein halbes Jahrhundert lang warb der Schweizer Theologe für ein zeitgemäßes Christentum. Ohne ihn wäre die moderne Ökumene noch lange nicht so weit.

Von Stephan Cezanne (epd)
Tübingen (epd). Er war der moderne Schutzheilige der Ökumene: Nur wenige haben so viel zur
Annäherung zwischen Katholiken und Protestanten beigetragen wie der Theologe Hans Küng. Und kaum
jemand erklärte so verständlich die Grundgedanken von Christentum, Islam, Judentum oder
Buddhismus. Küng zählte damit zu den großen religiösen Orientierungsfiguren der Gegenwart. Am
Dienstag ist der Beststeller-Autor und Reformkatholik im Alter von 93 Jahren in Tübingen gestorben, wie
das Projekt Weltethos bestätigte.

Früh entschied sich der hochbegabte älteste Sohn eines Schuhhändlers im Schweizer Kanton Luzern für
den Priesterberuf. Am Collegium Germanicum in Rom unterwirft sich der spätere "fromme Rebell" einer
strengen Eliteausbildung und machte früh auf sich aufmerksam. Als junger Tübinger Professor, der in
seiner aktiven Zeit eher wie ein Skilehrer wirkte, wird er zum Berater des Zweiten Vatikanischen Konzils
(1962-65) berufen.

Ende 1979 hatte ihm Rom wegen seiner kritischen Sicht auf die Kirche die katholische Lehrerlaubnis
entzogen. Doch dies hinterließ keine Schatten auf einer der brillantesten akademischen Karrieren des
20. Jahrhunderts. Im Gegenteil: Gerade mit seinem Ruf als "Ketzer" eroberte er sich ein
Millionenpublikum, obwohl ihm die Rolle des Papstkritikers "keineswegs angenehm" war, wie er einmal
sagte.

"Was dürfen wir hoffen? Wozu sind wir auf Erden? Was soll das Ganze?", fragte Küng. Vor allem in
seinen Büchern - die Gesamtausgabe ist auf 24 Bände angelegt - gab er seine Antworten auf das,
worauf es im Leben ankommt. Küng war dabei auch immer politisch: Die stärker gewordene Rolle der
Religion verlange mit Blick auf die Konflikte auf der Welt nach seriöser Information: "Nur dadurch lässt
sich die ständig drohende Instrumentalisierung der Religion für politische, ökonomische, ethnische und
nationale Interessen vermeiden", schrieb Küng Anfang 2017.

Zeitlebens mahnte er Politik, Kirche und Wissenschaft zu einem umfassenden Bewusstseinswandel.
Modelle für ein friedliches 21. Jahrhundert suchte seine Stiftung "Weltethos". In diesem Rahmen
predigte er seit den 80er Jahren unermüdlich seine einfache Formel: Kein Frieden zwischen den
Nationen ohne Frieden unter den Religionen. Kein Frieden zwischen den Religionen ohne Dialog.
Als ihm unter Papst Johannes Paul II. die kirchliche Lehrerlaubnis "missio canonica" entzogen wurde -
Küng hatte die Frage nach der Unfehlbarkeit des päpstlichen Lehramtes gestellt - wurde er freilich nicht
arbeitslos: Bis zur Emeritierung 1996 lehrte der polyglotte Küng ökumenische Theologie und leitete das
Tübinger Ökumene-Institut. Sein Lehrstuhl für christliche Theologie war - ein Novum in der deutschen
Universitätsgeschichte - rechtlich keiner Kirche zugeordnet.

Der Entzug der Lehrerlaubnis förderte seine Bekanntheit außerhalb der Kirchen enorm. Je mehr
Johannes Paul II. und Benedikt XVI. seine Impulse blockierten, desto mehr wurde Küng zur geheimen
Leitfigur an der Basis reformorientierter Katholiken, bilanzierte einmal die Reformbewegung "Wir sind
Kirche".
Die Schriften von Küng "veranschaulichen die neue Lebendigkeit" der katholischen Theologie
seit den 60er-Jahren, so der Kirchenhistoriker Alister E. McGrath.

Küng betonte immer wieder sein eigenes "Katholischsein". Zum Stand der Ökumene bilanzierte er
nüchtern: "Die meisten Katholiken und Protestanten kümmern sich schon gar nicht mehr um die
Spaltung. Sie leben die Ökumene ganz selbstverständlich und unbekümmert um römische Dekrete in
Dogma und Moral an der Basis." Es gebe keinen "theologischen Grund, warum Rom die Ämter der
anderen Kirchen nicht endlich anerkennt und die Abendmahlsgemeinschaft nicht hergestellt werden
kann", war Küngs Grundüberzeugung.

Der in seinen späten Jahren an Parkinson und einem schweren Augenleiden erkrankte Küng hatte vor
einigen Jahren mit der Ankündigung Aufsehen erregt, für sich möglicherweise aktive Sterbehilfe in
Anspruch zu nehmen. Für ihn komme das in Betracht, "wenn ich irgendwelche Zeichen von Demenz
spüre", erläuterte er in dem Buch "Glücklich sterben?" von 2014. Nun ist er am Dienstagnachmittag
friedlich eingeschlafen, wie es aus seinem Umfeld hieß.

In einem Interview mit der Talkshow-Moderatorin Anne Will sagte Küng 2013: "Ich habe alle Bücher
geschrieben, die ich schreiben wollte, habe alle Reisen gemacht, die ich machen wollte. Also ich bin in
diesem Sinne ein glücklicher Mensch, relativ glücklich, und kann sagen, mein Werk hat sich in etwa
gerundet und vollendet."

Zuletzt geändert am 13­.05.2021