13.7.2007 - Publik-Forum
Rolle rückwärts in Rom aus eigenem Antrieb
Wer denkt, mit der alten, vom Papst nun rehabilitierten lateinischen Messe gehe sonderliche Innigkeit oder Feierlichkeit einher, der irrt. Neuneinhalb Minuten dauerte, gestoppt, die kürzeste lateinische Messe, die ich im Alter von elf Jahren ministriert habe. Ruck, zuck, das war das Normale. Die alten Priester waren Meister im Runterrasseln der heiligen Texte zu früher Morgenstunde. Die wenigen Gläubigen, lauter alte Leute und Heimatvertriebene, haben im Kirchenschiff derweil still vor sich hin meditiert.
Doch nicht das Lateinische, von dem auch Papst Benedikt einräumt, dass es unter den Jüngeren praktisch niemand versteht, ist der Kern des Problems. Das Ärgernis besteht in dem durch und durch autoritären Kirchenbild, das hinter der lateinischen Messe steht. Der Priester ist gleichsam der »Allesmacher«, das Kirchenvolk ist kaum mehr als eine unmündige Masse. Die Gemeinde ist entbehrlich. Fehlt sie, so zelebriert der Priester allein für sich selbst. Dieses vorkonziliare Kirchenbild hat kaum etwas mit Jesus Christus und mit der jungen Kirche der Anfänge zu tun. Umso mehr jedoch mit der Klerusherrschaft und ihrem Hokuspokus-Herrschaftswissen.
Weil sie solcherlei Missbräuche und Verdunklungen des Evangeliums nicht mehr aushalten konnten, schlossen sich in Belgien, Frankreich und Deutschland in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg engagierte junge Katholikinnen und Katholiken zusammen. In Burg Rothenfels und in aufgeschlossenen Benediktinerabteien drehten sie den Altar zum Volk um und bildeten rund um den Eucharistietisch einen großen Kreis. Ihre Liturgische Bewegung entdeckte mit Theologen wie zum Beispiel Romano Guardini die Feier der Messe in der Muttersprache. Die Priester wurden zu Menschen, sie waren nicht mehr Sakralfunktionäre. Und sogenannte Laien wurden selbstbewusst. Das Kirchenvolk war nicht mehr nur eine stille Masse.
Natürlich haben Päpste und Bischöfe all dies verdammt und in solcherlei Liturgiereform den Untergang des Glaubens erblickt. Doch im Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) wurde die Liturgiereform klar durchgesetzt. Über 2150 Konzilsväter stimmten dafür, keine zwei Dutzend dagegen. Die neue Messe gab es ab 1965.
Papst Benedikt XVI. kommt nun der kleinen, ebenso lautstarken wie erzkonservativen Minderheit der Fans der lateinischen Messe entgehen. Er tut dies »aus eigenem Antrieb«, also mit einem sogenannten ¡EMotu Proprio. Dessen erste zwei Worte bilden den Titel der am 8. Juli veröffentlichten Anordnung: Summorum Pontificum. Mit seinem Agieren »aus eigenem Antrieb« setzt sich Papst Benedikt in Gegensatz zu früheren Päpsten. Diese hatten vor so wichtigen Dingen wie Liturgie-Änderungen die Bischöfe formell konsultiert.
Der Papst hat die alte Messe gemäß dem vor 1970 geltenden Ritus als gleichberechtigte, wenn auch »außerordentliche« Form des Gottesdienstes wieder eingeführt. Eine besondere Erlaubnis durch einen Bischof ist nicht mehr nötig. Die nach dem Konzil geschaffene erneuerte Messfeier in der Volkssprache bleibt die »ordentliche« Form des Gottesdienstes.
Zugleich äußert der Papst den Wunsch, die »Sakralität« der alten Messform möge auch in den heutigen, modernen Gemeindegottesdiensten »stärker erscheinen, als dies bisher weithin der Fall ist«.
Joseph Ratzinger ist auf dem konservativen Flügel katholischer Zeitgenossen angesiedelt. Ein Mann, der vom kirchlichen Aufbruchsgeist der 1968er-Jahre gekränkt wurde. Das verschweigt er keineswegs in einem persönlichen Papstbrief – »Was früher heilig war, kann heute nicht schädlich sein« – an die Bischöfe: Die Autorität des Konzils werde durch die neue Gleichberechtigung der lateinischen Messe nicht angetastet. Erforderlich seien »Achtsamkeit und Ehrfurcht gegenüber dem Gottesdienst sowie Verzicht auf jene Kreativität von Pfarrern, die, so wörtlich, »oft zu kaum erträglichen Entstellungen der Eucharistie« geführt hätten. »Ich spreche«, so Benedikt, »aus Erfahrung, da ich diese Phase in all ihren Erwartungen und Verwirrungen miterlebt habe. Und ich habe gesehen, wie tief Menschen, die ganz im Glauben der Kirche verwurzelt waren, durch die eigenmächtigen Entstellungen der Liturgie verletzt wurden.«
Dieser Papst, der getreu seinem Auftrag ein »Pontifex«, ein »Brückenbauer« sein soll, erweist sich mit seiner Mess-Anordnung als ein ressentimentgeladener Konservativer. Eine Brücke baut er zu dem kleinen, aber lautstarken Häuflein katholischer Traditionalisten, die in Protest gegen die Messe in der Volkssprache ab 1970 zu reaktionären Kirchenspaltern geworden sind. Während der Papst etwa den wiederverheirateten Geschiedenen hartnäckig die Kommunion verweigert, kommt Ratzinger den Traditionalisten entgegen. In Verkennung der Tatsache, dass viele unter denen, die er zurückzugewinnen hofft, Rom gram sind, weil das Zweite Vatikanische Konzil sich klar zu Religionsfreiheit, Gewissensfreiheit und Demokratie bekennt.
Thomas Seiterich
Zuletzt geändert am 14.07.2007