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Veröffentlicht am 27­.06.2022

27.6.2022 - KNA

Zusammenfassung: Mitgliederschwund bei Kirchen erreicht neue Höchstwerte

Von Joachim Heinz (KNA)

Bonn (KNA) Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland gehört weniger als die Hälfte der Bundesbürger
einer der beiden groÿen Kirchen an. Die katholische Kirche
zählte im vergangenen Jahr 21.645.875 Mitglieder, wie
aus der am Montag veröentlichten Statistik der Deutschen
Bischofskonferenz hervorgeht. Das entspricht rund 26 Prozent
der Bevölkerung. Die Evangelische Kirche in Deutschland
(EKD) hatte bereits im März ihre Statistik veröentlicht.
Demnach zählte sie 19,72 Millionen Mitglieder, was
einem Anteil von 23,5 Prozent entspricht. Gleichwohl bilden
Christen in Deutschland weiterhin die mit Abstand gröÿte
Religionsgemeinschaft.

Im vergangenen Jahr kehrten 359.338 Katholiken ihrer
Kirche den Rücken. Damit wurde der bisherige Höchstwert
aus dem Jahr 2019 deutlich übertroen, als knapp 273.000
Katholiken austraten. Auch die EKD hatte Rekordwerte gemeldet.
Im vergangenen Jahr traten demnach 280.000 Protestanten
aus der Kirche aus.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof
Georg Bätzing, sagte mit Blick auf die katholische Kirche,
die Zahlen zeugten von einer tiefgreifenden Krise: Es ist
nichts schönzureden. Er sei zutiefst erschüttert über die extrem
hohe Zahl von Kirchenaustritten. Mittlerweile vollzögen
nicht nur Menschen den Austritt, die zu ihrer Pfarrei schon
länger kaum Kontakt gehabt hätten: Es mehren sich Rückmeldungen,
dass Menschen diesen Schritt gehen, die bisher
in den Pfarreien sehr engagiert waren.

Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken
(ZdK), Irme Stetter-Karp, sagte, die Zahlen spiegelten
einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandel wieder.
Die Deutungsmacht der Kirchen über das Religiöse ist keine
Selbstverständlichkeit mehr, anders als das über viele Jahrzehnte,
ja über Jahrhunderte der Fall war. Die Kirche sei
herausgefordert, auf die Menschen zuzugehen, mitten hinein
in deren Lebenswelten und neues Vertrauen aufzubauen.
Wem ich vertraue, dem glaube ich, so Stetter-Karp. Nur so
könne eine Erneuerung des Christentums im 21. Jahrhundert
gelingen.

Einen Grund für die hohen Austrittszahlen sieht der
Münsteraner Theologe und Kirchenrechtler Thomas Schüller
in der Situation im Erzbistum Köln, wo mit knapp 41.000
Katholikinnen und Katholiken so viele Mitglieder wie in keiner
anderen Diözese ihrer Kirche den Rücken kehrten. Das indiskutable
Leitungshandelns des Kölner Kardinals Rainer Woelki
im Umgang mit sexualisierter Gewalt und ihren Betroenen in
der Kirche sowie sein verschwenderischer und weithin rechtlich
fragwürdiger Umgang mit Kirchenvermögen für zweifelhafte
Zwecke hätten sich auch auf alle anderen 26 Bistümer
ausgewirkt.

Die Organisation Wir sind Kirche kommentierte: Wenn
die deutschen Bischöfen ihrer Verantwortung in dieser dramatischen
Kirchenleitungskrise gerecht werden wollen, müssen
sie sich, und zwar alle 27 Ortsbischöfe, noch sehr viel deutlicher
um die Missbrauchsaufarbeitung in ihrem Bistum bem
ühen sowie möglichst geschlossen für die dringendst anstehenden
Reformen auf dem Synodalen Weg für Deutschland
eintreten.

Der Sprecher der Opferinitiative Eckiger Tisch, Matthias
Katsch, sagte dem Portal t-online, die Zahlen seien für
Betroene sexuellen Missbrauchs keineswegs eine gute Nachricht.
Natürlich zeige sich in den Austritten der Protest der
Menschen gegen den Umgang der Amtskirche mit ihren Opfern:
Aber für die Betroenen ist vor allem wichtig, dass die
Kirchenmitglieder sich dafür einsetzen, endlich notwendige
Hilfen und tatsächliche Entschädigungen voranzubringen.

Neben der Debatte um die Aufarbeitung von Missbrauch
wirkte sich die Corona-Pandemie einmal mehr auf das Leben
in den Gemeinden aus. So ging der Gottesdienstbesuch
von 5,9 Prozent im Jahr 2020 auf 4,3 Prozent im Jahr 2021
zurück. Die Zahlen beim Sakramentenempfang dagegen stiegen
teils deutlich. So wurden 20.140 Trauungen registriert.
Das waren fast doppelt so viel wie 2020, als 11.018 kirchliche
Eheschlieÿungen erfasst wurden.

Allen dramatischen Entwicklungen zum Trotz wolle er für
das Plus von Kirche werben, sagte Bischof Bätzing. Wenn
man auf unsere katholischen Schulen, Kindergärten und theologischen
Fakultäten schaut, wenn man auf die Seelsorge und
Beratungsangebote in allen Lebensbereichen blickt, und wenn
man das Engagement von Ordensleuten und - um ein anderes
Beispiel zu nennen - die Jugendarbeit nicht aus den Augen
verliert, zeigt sich: Es gibt viele gute Gründe, in der Kirche zu
bleiben und sie mitzugestalten. Kirche vermittle Honung,
besonders in bedrängenden Krisenzeiten.

Zuletzt geändert am 28­.06.2022