16.2.2023 - domradio.de
Eine Bilanz der Europa-Etappe der Weltsynode: Spannungen und Fortschritte
Selten prallen bei Kirchen-Versammlungen unterschiedliche Meinungen so deutlich öffentlich aufeinander wie vom 5. bis 9. Februar in Prag. Teilnehmer sprechen von einer neuen Erfahrung. Dennoch blieben Wünsche offen.
"Die Synodalversammlung der europäischen kontinentalen Etappe des weltweiten, von Papst Franziskus angestoßenen synodalen Prozesses hat für uns viele Erkenntnisse gebracht. Wir konnten erfahren, wie sich die Kirche in den Ländern Europas auf den Weg macht, um mehr und mehr zu einer synodalen Kirche zu finden. Dieser Weg ist nicht einfach und er ist - vergleicht man die verschiedenen Wortbeiträge und Erfahrungen - von unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Auffassungen geprägt." Mit diesen Worten haben die deutschen Teilnehmer der Europa-Etappe der Weltsynode in Prag ihre Erfahrungen zusammengefasst.
Unvollkommener Lernprozess
An anderer Stelle heißt es dann noch klarer: "Deutlich wurde (...), dass es erhebliche Unterschiede zwischen Grundhaltungen bei uns und in Ländern mit anderen Kulturen gibt." Ähnlich äußerte sich die Reform-Gruppierung "Wir sind Kirche", deren Vertreter die Zusammenkunft mit Mahnwachen und Presse-Statements begleiteten. Aus ihrer Sicht handelte es sich in Prag um einen "wichtigen, aber noch unvollkommenen Lernprozess innerhalb des weltweiten Synodalprozesses."
Zugleich kritisierten sie, dass angesichts der "sehr deutlich spürbaren innerkirchlichen Spannungen zwischen Bewahrern und Reformern" das Abschlusspapier "noch keine konkreten Priorisierungen enthalte". Positiv vermerkt die Vereinigung: "Zumindest sind die brennenden Fragen jetzt erstmals auf europäischer Ebene dokumentiert." Nun müssten "sehr bald" konkrete Reformschritte folgen.
Die genannten Spannungen waren bei der Versammlung in Prag inhaltlich klar zu identifizieren. Zum einen ging es um die Bewertung des Missbrauchsskandals, den einige Delegationen aus Westeuropa - insbesondere die aus Irland, Deutschland und Frankreich - zu einem Schwerpunkt ihrer Beiträge machten. Zwar räumten auch Sprecher aus Osteuropa die Existenz von Missbrauchsfällen ein. Sie waren aber weit davon entfernt, ihnen "systemischen" Charakter zuzuschreiben, wie dies in Deutschland vor allem im Kontext des "Synodalen Wegs" regelmäßig geschieht.
Unterschiedliche Beiträge zu katholischer Moraltheologie
Ebenso klafften die Beiträge zur katholischen Moraltheologie auseinander. So sprach sich etwa der deutsche Bischof Georg Bätzing gegen eine Morallehre aus, die Menschen mit anderen sexuellen Orientierungen und Identitäten ausgrenzt. Nicht weniger klar verteidigten Bischöfe, aber auch Laien aus Ost- und Südeuropa die traditionelle Familie und die kirchliche Lehre dazu. Kaum ein Fremdwort fiel so oft wie das Sexual-und-Gender-Sammelsurium "LGBTQ plus". Mal wurde es - vorzugsweise von Osteuropäern - mit warnendem Unterton angesprochen und als Gefahr benannt, mal werbend und verständnisvoll - im Sinne von: Bitte niemanden ausgrenzen!.
Überraschend häufig wurden auch - im Osten wie im Westen - die katholischen Traditionalisten, also die Anhänger des alten lateinischen Mess-Ritus, erwähnt. Es wurde deutlich, dass auch diese Minderheit sich offenbar in vielen Ländern ausgegrenzt sieht, seit Papst Franziskus die Möglichkeiten für ihre bevorzugte Liturgie spürbar eingeschränkt hat.
Das biblische Motto der Versammlung in Prag "Mach den Raum deines Zeltes weit!" wurde rasch zu einem Oberbegriff für die Bandbreite der unterschiedlichen Standpunkte bei der Kontinental-Versammlung. Viele Redner griffen das Bild vom Zelt auf, sprachen von der notwendigen Spannung der Seile, die es brauche, um das Zelt aufrecht zu halten - aber auch von der Gefahr, die Seile so arg zu spannen, dass sie reißen könnten. Dass es nicht zum Riss kam, war auch eine Folge von Geschäftsordnung und Tagungsregie. Abstimmungen über Texte waren generell nicht vorgesehen, es gab weder Stimmzettel noch Abstimmungsgeräte.
Einiges blieb intransparent
Geschäftsordnungsdebatten oder Kampfabstimmungen über einzelne Textpassagen, die den Synodalen Weg in Frankfurt immer wieder dominieren, suchte man in Prag vergebens. Engagiertes Reden und unterschiedlich starker Applaus zu den Beiträgen waren die einzig erkennbaren Mittel der Auseinandersetzung. Immerhin wurden, anders als bei den bisherigen Versammlungen auf Ebene der Welt-Bischofssynode in Rom, alle Plenarbeiträge durchgängig gestreamt, so dass die rund 60 akkreditierten Medienvertreter aus 15 Ländern sich selbst ein Bild vom Stand der Debatte machen konnten.
Vieles andere blieb intransparent. So wurde nicht mitgeteilt, wer nach welchen Kriterien die 40 "zusätzlichen Teilnehmer" ausgewählt hatte, die neben den jeweils vierköpfigen Delegationen der 39 europäischen Bischofskonferenzen an dem Treffen teilnahmen. Gleiches gilt für das mehrsprachige Redaktionsteam, das während und nach der Tagung teilweise unter hohem Druck und in Nachtschichten aus den unterschiedlichsten Beiträgen ein 20-seitiges Schlussdokument zusammentrug - das dann wiederum im laufenden Verfahren mehre Male durch mündliche und schriftliche Beiträge ergänzt wurde.
Trotz dieses wenig durchschaubaren Verfahrens kam am Ende eine relativ ungeschminkte und differenzierte Bestandsaufnahme der kirchlichen Krisen und Defizite sowie der sehr unterschiedlichen Lösungsansätze zustande. Vermutlich wird das "Dokument von Prag" deshalb bei späteren Schritten des weltweiten Synodalen Prozesses ein gerne genutzter Steinbruch für Zitate und Problemanzeigen werden. Im Vergleich dazu ist die von Europas Bischöfen im zweiten Teil der Prager Versammlung "hinter verschlossenen Türen" erstellte kurze "Botschaft an das Volk Gottes" ein glatt geschliffener, wenig aussagekräftiger Text.
Öffentlich waren auch die Gottesdienste, bei denen die jeweiligen Hauptzelebranten ihre Predigten für Akzentsetzungen nutzten. Auch hier war ein gewisser Ost-West-Gegensatz erkennbar. So warnte der Prager Erzbischof Jan Graubner vor einer zu starken Anpassung an die postmoderne Welt und die Wissenschaften. Hingegen plädierte der Luxemburger Kardinal Jean-Claude Hollerich für eine offene Kirche, die nach dem Vorbild Jesu keine Barrieren zum Heil errichten sollte.
Versuch des Spagats
Der litauische Präsident des europäischen Bischofsrates CCEE, Gintaras Grusas, versuchte, in einem Spagat beide Sichtweisen zu umspannen und warb dafür, die Lehre Jesu unverfälscht zu verkünden, auch wenn sie nicht von allen verstanden und befolgt werde, und sich gleichzeitig auch um jene Menschen in der Kirche zu bemühen, die den Ruf der Kirche ignorieren: "Wir müssen das Bild des Guten Hirten verkörpern und uns um jedes einzelne Schaf kümmern, unabhängig davon, ob es in der Herde bleibt oder umherwandert."
Nach dem Treffen von Prag bleibt nun noch etwas mehr als ein halbes Jahr, bis sich die Weltsynode erstmals in Rom trifft. Die deutschen Teilnehmer wollen diese Zeit nutzen, um in ganz Europa "im Gespräch zu bleiben, einander besser zu verstehen und mit Argumenten zu überzeugen". In Prag hat sich gezeigt, wo es Anknüpfungspunkte zum Brückenbauen gibt - viele davon in Westeuropa, aber auch in einigen Ländern des Ostens, von wo abseits der bischöflichen Statements auch Signale einer vorsichtigen Öffnung zu hören waren.
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Zuletzt geändert am 23.02.2023