15.9.2007 - Die Welt
Sexueller Missbrauch. Regensburger Bischof im Kreuzfeuer
Mit seinem eigenwilligen Amtsverständnis sorgt Bischof Gerhard Ludwig Müller seit seinem Amtsantritt vor fünf Jahren für Unmut unter Bayerns Katholiken. Jetzt empört seine Reaktion auf die Missbrauchsvorwürfe gegen einen seiner Pfarrer die Gläubigen.
Es soll ein fröhlicher, feierlicher Tag werden in Wildenau. In dem kleinen Ort in der nördlichen Oberpfalz wird am Sonntag mit einem Dankgottesdienst die Renovierung der katholischen Dorfkirche gefeiert. Außerdem ist Firmung in Wildenau. Dafür reist sogar Bischof Gerhard Ludwig Müller aus Regensburg an. Doch den hohen Besuch überschatten heftige Kontroversen um den Bischof. Grund ist seine bisherige Haltung im Fall des wegen sexuellen Missbrauchs verhafteten Pfarrers von Riekofen im Landkreis Regensburg.
Sexueller Missbrauch eines minderjährigen Ministranten
Pfarrer Peter K. war am 30. August verhaftet worden. Der Vorwurf: mehrfacher sexueller Missbrauch eines minderjährigen Ministranten. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft. Bereits 2000 war der heute 39-Jährige per Strafbefehl zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt worden. Er hatte als Kaplan in Viechtach einen Buben sexuell missbraucht.
Genau das hatte das Ordinariat der Riekofener Gemeinde jedoch bis August verschwiegen, obwohl K. schon seit 2004 dort Pfarrer war. Erst als aus der Bevölkerung erneut Hinweise auf sexuelle Übergriffe bekannt wurden, meldete sich die Bistumsleitung zu Wort. Empörung löste aus, dass sich der Bischof bislang aber nicht entschuldigte. Der aktuelle Fall ist jedoch nur der Höhepunkt einer Kette hitziger Diskussionen, die der Regensburger Bischof in seiner kurzen Amtszeit auslöste. Gleich zu seinem Amtsantritt Ende 2002 legte sich Müller mit der Basis im Bistum, besonders mit der Gruppe „Wir sind Kirche“, an. Der Streit gipfelte in der Amtsenthebung des Deggendorfer Dekanatsratsvorsitzenden Johannes Grabmeier 2003. Im Jahr darauf entzog der Bischof dem kirchenkritischen Regensburger Theologie-Professor August Jilek die Lehrerlaubnis und suspendierte oder maßregelte Pfarrer, die sich kritisch äußerten. Ende 2005 schließlich gingen sogar mehrere Hundert Menschen auf die Straße, weil der Bischof die Laienarbeit umstrukturiert und den Diözesanrat der Katholiken abgeschafft hatte. Ein bisher im katholischen Deutschland einmaliger Vorgang.
Auch die „Mittelbayerische Zeitung“ musste daraufhin Müllers Zorn erfahren. Mit dem Hinweis auf die „Vorkommnisse des Jahres“ verweigerte er der Zeitung die traditionelle Weihnachtsbotschaft. Lieber ließ sich der Bischof in einer allwöchentlichen Sendung bei einem Regensburger Fernsehsender von seinem eigenen Pressesprecher interviewen. Was wiederum die Landesmedienanstalt veranlasste, sich einzuschalten.
Vorfall der Staatsanwaltschaft nicht gemeldet
Noch schlechter stand das Ordinariat da, als 2005 ein Pfarrer aus Falkenberg wegen sexuellen Missbrauchs zu 18 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt wurde. Denn, wie nachträglich bekannt wurde, wusste die Bistumsleitung, ähnlich wie im Fall Riekofen, von den Verfehlungen des Seelsorgers. Sie meldete dies aber nicht, wie von der Bischofskonferenz gefordert, der Staatsanwaltschaft.
Im aktuellen Fall von Riekofen gelten Wut, Kritik und Unverständnis deshalb in erster Linie nicht Peter K., sondern Bischof Müller. Rosmarie Meßner vom Riekofener Pfarrgemeinderat spricht von einem „großen Vertrauensverlust“. „Wir hoffen immer noch, dass er sich entschuldigt“, sagte sie vor einem Gespräch mit Müller, das für Freitagnachmittag anberaumt war. Bisher hatte der Bischof in Riekofen lediglich einen Brief verlesen lassen, in dem er die Gemeinde bat, „im Glauben nicht irre zu werden“.
Unterdessen wird das Ordinariat nicht müde zu betonen, dass Pfarrer Peter K. eine Therapie gemacht habe und danach per Gutachten als geheilt eingestuft worden sei. Für den Riekofener Pfarrgemeinderat ist das aber nicht nachvollziehbar: „Dass ein ‚Restrisiko' blieb, musste allen Verantwortlichen bewusst gewesen sein“, heißt es in dessen Rundschreiben an alle Haushalte. „Trotzdem ließ man sich auf das grausame Experiment mit den Seelen unserer Kinder ein.“
Rosmarie Meßner gibt sich zwar versöhnlich: „Ich kann verstehen, dass man dem jungen Mann eine Chance gibt.“ Trotzdem „hätte man ihn kontrollieren müssen“, sagt sie und fügt, in Anspielung auf Müllers Neuordnung der Laienarbeit, an: „Wir haben in den letzten Jahren ja gesehen, dass Müller Dinge gut kontrollieren kann.“
Dilletantisches Handeln
Deutlichere Worte findet Fritz Wallner, Exvorsitzender des von Bischof Müller abgeschafften Diözesanrats: „Sein jetziges Handeln weist gewisse Parallelen auf. Es ist nach wie vor dilettantisch.“ Müller habe sich über die Gemeinschaft der deutschen Bischöfe und deren Leitlinie „Zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche“ hinweggesetzt. Das allerdings bestreitet das Ordinariat: „Das Bistum hat stets entsprechend den Leitlinien gehandelt.“ Wallner indes meint, Müller habe ein „übersteigertes Amtsverständnis. In der Politik wäre er schon weg.“ Wallner: „Da gibt es so was wie politische Verantwortung.“
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), der Zusammenschluss von Laienräten auf Bundesebene, wollte sich auf Anfrage der „Welt am Sonntag“ nicht äußern. ZdK-Präsident Hans Joachim Meyer hatte Müller aber schon 2005 für dessen „autokratische und paternalistische Auffassung vom Bischofsamt“ kritisiert.
Der Vorsitzende des Landeskomitees der Katholiken in Bayern, Helmut Mangold, betonte im Gespräch mit WELT ONLINE, wie wichtig ein persönlicher Einsatz des Bischofs wäre. „In einem hierarchischen System muss der Verantwortliche auch mal persönlich auf die Leute zugehen.“ Müller sollte die Kommunikation intensivieren. Dass er eine geplante Reise nach Rumänien abgesagt habe, sieht Mangold positiv: „Das ist ein Zeichen, wie wichtig ihm seine Diözese im Augenblick ist.“
Mittlerweile hat Bischof Müller angekündigt, am kommenden Sonntag Riekofen zu besuchen, um den neuen Pfarrer persönlich in sein Amt einzuführen. Gleichzeitig ging der Bischof aber nochmals in die Offensive und drohte: „Wir lassen uns nicht verleumden. Und wenn das nicht aufhört, werden wir auch rechtlich dagegen vorgehen.“ Kein gutes Vorzeichen für den geplanten Besuch in Riekofen.
Zuletzt geändert am 15.09.2007