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Veröffentlicht am 28­.07.2023

28.7.2023 - junge Welt

Wenn’s im Kasten seltener klingelt

Kirchen gehen durch Mitgliederschwund Einnahmen verloren. Kürzungen im Sozialbereich drohen

Beiden großen christlichen Kirchen laufen die Mitglieder davon: Sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche verloren im vergangenen Jahr mehr als eine halbe Million Mitglieder, in beiden Fällen ein Negativrekord. Angesichts der daraus resultierenden Einnahmeverluste befürchten Fachleute, dass die Kirchen sich von karitativen Dienstleistungen zurückziehen könnten. Der Finanzdezernent des katholischen Bistums Limburg, Thomas Frings, erklärte gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom Donnerstag, sein Bistum werde manche Angebote, so den Betrieb von Kitas, vermutlich auf Dauer nicht aufrechterhalten können. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, äußerte gegenüber dem Blatt die Befürchtung, dass kirchliche Betreuungsangebote etwa für junge Menschen und Senioren wegfallen könnten.

Gegenüber junge Welt warnte auch Christian Weisner von der katholischen Basisinitiative »Wir sind Kirche« am Donnerstag vor den Folgen der »nicht überraschenden Finanzkrise« der Kirchen. Die Selbstverständlichkeit, einer der beiden großen Kirchen anzugehören, sei lange vorbei. Gerade auch junge Leute fragten sich, warum sie für eine Institution zahlen sollten, deren Leistungen sie nicht oder kaum in Anspruch nähmen. Doch die Summe der Individualentscheidungen habe »schwerwiegende Folgen für unser Land«, sagte Weisner.

Nach wie vor seien die beiden großen Institutionen in Deutschland »wichtige Träger von Sozial- und Bildungseinrichtungen
wie Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, Altenheime bis hin zu Sozialstationen und zur
Bahnhofsmission«. Auch wenn viele dieser Angebote vom Staat und von
den Sozialkassen mitfinanziert würden, werde es negative Folgen für die
Gesellschaft haben, wenn die Kirchen ihren Eigenanteil nicht mehr leisten
könnten, so Weisner. Dann müssten andere Träger gefunden werden. Die
Beendigung der kirchlichen Trägerschaft
von Schulen und Kindergärten
stoße bereits heute auf »viel Unverständnis
und Protest« – wobei eine
staatliche Trägerschaft vor allem den
Beschäftigten zugute käme, für die
unter kirchlicher Verantwortung kein
Branchentarifvertrag und kein staatliches
Arbeitsrecht gelten.

Die Kirchenleitungen müsse es alarmieren, dass in einer jüngst veröffentlichten Umfrage selbst von den Mitgliedern fast die Hälfte die Kirchensteuer nicht mehr für zeitgemäß erachtete,
so der Katholik. Wenn die Kirchen
auch in Zukunft noch Gelder für die
Finanzierung ihrer »vielfältigen und anerkennenswerten
Aufgaben« erhalten
wollten, müsse sie »alle Finanzquellen
transparent offenlegen und echte Mitbestimmung
ermöglichen«. Statt der
»als anonym empfundenen Kirchensteuer
« werde es sich künftig vielleicht
durchsetzen, dass konkrete Projekte auf
Gemeindeebene oder auch die großen
kirchlichen Hilfswerke direkt unterstützt
würden.

Für das Bistum Limburg zeichnete
Finanzdezernent Frings in der FAZ ein
düsteres Bild. »Wir gehen davon aus,
dass wir 2060 weniger als 50 Prozent
unserer bisherigen finanziellen Mittel
zur freien Verfügung haben werden«,
sagte er. 2022 habe das Bistum rund
2,6 Prozent seiner Mitglieder verloren.
Mit Rücklagen aus Überschussjahren
decke das Bistum gegenwärtig sein operatives
Defizit, dieses Finanzierungssystem
sei aber nicht zukunftsfähig. Gelinge
es nicht, den Ausfällen mit neuen
Einnahmequellen entgegenzusteuern,
seien Kürzungen auf der Ausgabenseite
mittelfristig unausweichlich, warnte
Frings weiter.

Konkrete Kürzungsmöglichkeiten
sieht der Finanzdezernent im Verwaltungsbereich,
auf den rund 16 Prozent
des Kirchensteueraufkommens entfallen.
So könnten interne Abläufe effizienter
gestaltet werden. Wenn dieses Potential
ausgeschöpft sei, müsse aber über
Leistungsbereiche wie Kindertagesstätten,
Schulen, Caritas oder Zuschusszahlungen
an die Kirchengemeinden
geredet werden. Bei den Kitas kämen in
der Regel rund 15 Prozent der Betriebsmittelzuschüsse
aus der Bistumskasse,
den Rest übernehme die Kommune. Er
habe »große Fragezeichen, ob wir das
langfristig aufrechterhalten können«, erklärte
Frings.

Kristian Stemmler

Zuletzt geändert am 28­.07.2023