29.8.2008 - Publik-Forum
Mythos Marx
Von Norbert Sommer
Zuerst das Zuckerbrot, dann die Peitsche: Der neue Erzbischof von München, Reinhard Marx, hat sich sympathisch eingeführt in sein Amt. Beim Starkbieranstich war er zu sehen, in herzlicher Runde mit der ein oder anderen Persönlichkeit Münchens, und natürlich hat er seine Witzchen gemacht, für die er berühmt ist und von so vielen heiß geliebt wird.
Doch seit Kurzem ist Schluss mit lustig. Marx macht das, was er in Trier auch schon tat: Er kümmert sich, wie er es nennt, »um die Neustrukturierung der Seelsorge«. Was nichts anderes heißt, als »Seelsorgeeinheiten« zu bilden: Großpfarreien und Pfarrgemeinschaften, die alle von Priestern geleitet werden. Priester, die künftig viel unterwegs und selten da sein werden. Denn fürs Dasein haben sie kaum noch Zeit.
»Zu meinen Aufgaben gehört es, dass ich mich bemerkbar mache. Ein Bischof, der schweigt, hat seinen Beruf verfehlt.« Mit dieser Aussage bei seinem Abschied als Bischof von Trier gab der neue Münchener Erzbischof indirekt einen Hinweis auf sein Erfolgsrezept, mit dem er sich seit Jahren ins rechte Licht rückt. Damit schafft er es, von den meisten Medien als wahrer Nachfolger von Kardinal Karl Lehmann als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz gekürt zu werden: Nach Robert Zollitsch wird er ans Ruder kommen, ist die Botschaft. Um diese zu stützen, hat sich inzwischen sogar ein Hofschreiber gefunden, der uns die »lebensfrohe und von einer beneidenswerten Sicherheit des Geborgenseins in Gott« geprägte »Geseker Eiche« als »Mensch Marx« präsentiert. Autor des Buches: Martin Lohmann.
In der Presse wird Marx gehandelt als Überflieger des deutschen Katholizismus. Er sei neben Lehmann der einzige Oberhirte, der sich als Sprachrohr der Kirche einen Namen gemacht habe. Machtbewusst, ein politischer Kopf, volksnah und mediengewandt: Marx wird zum »Shootingstar im Episkopat« erklärt – obwohl er mit 54 Jahren fast noch ein Nachwuchstalent im Bischofskollegium ist.
Es fehlt aber auch nicht der Hinweis, dass Reinhard Marx ehrgeizig und selbstbewusst ist. In den Wochen vor der Wahl des Lehmann-Nachfolgers war zu spüren, wie sehr er sich selbst für das Amt des Vorsitzenden geeignet sah. Und wohl deshalb gewann nicht er, sondern der bescheidener auftretende Freiburger Erzbischof Zollitsch das Rennen. Beschönigend hieß es dazu im Kölner Domradio, der Kelch des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz sei noch einmal an Marx vorübergegangen. Andere trösteten sich und ihn mit dem Hinweis, in vier Jahren dürfe und müsse man mit ihm rechnen. Dieser aber – dem man vorher fehlende Demut angekreidet hatte – fühlte sich offensichtlich gedemütigt. In der Stunde der Niederlage erwies sich Marx als schlechter Verlierer. Der Mediengewandte wandte sich von den Medienleuten ab, war für sie nicht zu sprechen. Es fehlte ihm an flotten Sprüchen.
Er, der sich selbst als »Muntermacher im Glauben« versteht, forderte einst in der Bild-Zeitung: »Habt Mut! Kommt aus euren katholischen Mauselöchern, macht euch auf die Socken … Schämt euch nicht, katholisch zu sein.« Bei anderer Gelegenheit erfuhr man von ihm so wichtige Banalitäten wie: »Jesus schläft nicht« oder »Der Himmel ist nicht geschlossen, er ist offen.« Katholiken seien aufgerufen, in die moderne Gesellschaft hinein »avantgardistisch als Stimmungsmacher zu wirken«. Letzteres machte er vor, als er dem Interviewer Michael Backhaus von Bild am Sonntag auf die Frage nach dem Teufel antwortete, er habe schon einmal vom Teufel geträumt, und der habe so wie er, also Backhaus, ausgesehen … Oder als er sagte, Trier sei nicht Ägypten, aus dem er ausgezogen sei: »Und Bayern ist nicht einfach das Gelobte Land.«
Erzbischof Marx sei kein geschliffener Theologe, ihm liege mehr das Konkrete, war nach seiner Berufung nach München zu lesen. Auch wer sich nicht für Kirche interessiere, werde auf »diesen ungewöhnlichen Typ« aufmerksam. Er strahle Lebensfreude aus. Markenzeichen: Rauschebart und Zigarre, Hang zur höfischen Attitüde.
Reinhard Marx, der gerne mit dem berühmten Namen kokettiert und jetzt sogar dem Hauptwerk von Karl Marx (»Das Kapital«) unter gleichem Titel katholisch Paroli bieten will, wird ständig als kirchlicher Vorzeige-Sozialethiker gehandelt. Allerdings fordert der Mann das Soziale nur von der Politik ein und will unsoziales Verhalten in der Kirche selbst nicht wahrhaben. So verordnete er dem Bistum Trier 2004 einen Sparkurs mit verhängnisvollen Folgen besonders für Alleinerziehende, Jugendliche und ohnehin schon sozial Ausgegrenzte. Wer 114 von 557 Kindergärten sowie wichtige Jugendprojekte und die Katholische Hochschule für Soziale Arbeit in Saarbrücken aufgibt – so wie er es tat –, der hat die Katholische Soziallehre beurlaubt.
Marx wird gelobt wegen seiner Mitarbeit an dem 1997 verabschiedeten ökumenischen Sozialwort, das die Auswüchse des Kapitalismus anprangerte. Doch 2003 war er mitverantwortlich für den katholischen Alleingang »Das Soziale neu denken«, mit dem ein angeblich ausufernder Sozialstaat kritisiert wurde. Als dieses neoliberale Gedankengut von den beiden früheren CDU-Sozialpolitikern Norbert Blüm und Heiner Geißler heftig kritisiert wurde, antwortete ihnen Bischof Marx lapidar: »Die Zukunft lässt sich bestimmt nicht gewinnen, indem man an der Gegenwart nichts ändert.«
Und warum gilt dieser Grundsatz dann nicht auch für Theologie und Kirchenrecht, anstatt nur für die rigorosen Strukturänderungen, die er 2005 dem Bistum Trier mit dem »Projekt 2020« verordnete? Mit markigen Worten wie: »Wir brauchen Abschiede, um neu und glaubend aufzubrechen!«, bewarb der Bischof die Radikalkur, mit der er die Zahl der Pfarreien von 389 auf 173 zu verringern plante. Diese »Reform« stellte er zur Diskussion – allerdings hatte er durch die klare Vorgabe, die Neuordnung der Pfarreien müsse sich nach der für 2020 zu erwartenden geringen Priesterzahl von 180 richten, das Ergebnis praktisch schon festgelegt. Strukturen, die das Leben erstickten, seien das, war von Pfarrern zu hören. Nur noch Manager, Organisator zu sein: Wie solle da der Dienst Freude machen?
Das ist – so scheint es – keine Frage, die sich Reinhard Marx stellt. Das Amt der Leitung bringe es mit sich, Entscheidungen zu treffen, die nicht allen gefielen, erklärte er zum Auftakt im Erzbistum München und Freising. Und selbstverständlich verordnete er an seiner neuen Wirkungsstätte schnell auch eine Strukturreform. Eine, die wieder darauf abzielt, die Klerusstruktur der Kirche zu erhalten.
Dagegen regt sich in München aber Widerstand. Eine Gruppe von Priestern – nicht zufällig sind die meisten von ihnen schon im Ruhestand und folglich vom Bischof nur schwer abzustrafen – schrieb jüngst einen Brandbrief an Marx: Er solle von der unseligen Strukturreform auf ein neues Denken umsteigen – zum Beispiel über die Zulassungsbedingungen zur Priesterweihe nachdenken. Auch nicht zölibatär lebende Menschen könnten gute Priester sein – und Gemeinden auch von Pastoralassistenten geleitet werden. Das alles sei viel besser als eine »zweckmäßig organisierte Mängelverwaltung«. Doch Marx – der schon mit acht Jahren Priester werden wollte und in Trier selbst in der Verwaltung lieber mit Priestern als mit Laien arbeitete – behauptet einfach, es gehöre zur sakramentalen Struktur der Kirche, dass ein Priester der Kopf der Gemeinde sei. Will er nicht wahrhaben, dass es zum Beispiel in der Schweiz und in Frankreich längst Laien als Gemeindeleiter und -leiterinnen gibt?
Zweifel jedenfalls kommen ihm offenbar nicht. Denn auf den Brief der Priester antwortete er zwar freundlich, doch ohne jeden Anflug von Einsicht: Alle Befürchtungen seien unbegründet. Die Schreiber sollten lieber ihre »reichhaltigen Erfahrungen in der Seelsorge in den Prozess der Umstrukturierung einbringen«. Schon in Trier kannte Marx kein Pardon, wenn es um die Aufweichung der Klerusmacht ging: Dort schaffte er das Frauenreferat ab, reduzierte die Wortgottesdienste und verdrängte Laientheologinnen und -theologen aus der Gemeindeseelsorge.
Kardinal Lehmann sorgte für Irritation, als er über Marx sagte, dessen ökumenische Kompetenz sei auch im Blick auf den für 2010 in München geplanten zweiten Ökumenischen Kirchentag wichtig. Dabei hat sich Marx auf diesem Gebiet nur mit Sprüchen hervorgetan: »Wir müssen respektvoll aufeinander zugehen, den langen Weg einer anspruchsvollen Ökumene gehen …« Im Übrigen gebe es keinen Grund zum Jammern: »Dass es einen Stillstand gibt, sehen vor allem Leute so, die auf die Feier der Eucharistie fixiert sind. Aber ökumenischen Fortschritt nur an diesem Punkt festzumachen halte ich für eine schiefe Vorstellung.« Fast meint man, er und der evangelische Bischof Friedrich hätten sich abgesprochen in ihrem begeisterten Verharren im Status quo. Was soll da aus dem Ökumenischen Kirchentag werden?
Zuletzt geändert am 12.09.2008