4.12.2008 - Die Welt
Vormarsch der katholischen Traditionalisten
Anhänger der alten Messe gewinnen im Bistum Aachen an Einfluss - und bringen den Bischof in Nöte
Bonn - Kirchen werden geschlossen, Pfarreien zusammengelegt oder gar "zwangsfusioniert": Schlechte Nachrichten zu verkünden gehört zum Alltag des Aachener Bischofs Heinrich Mussinghoff (68). Es geht ihm nicht anders als seinem Amtsbruder Frans Wiertz (65) von der holländischen Nachbardiözese Roermond. Priestermangel und Gläubigenschwund führen zu Einschnitten in die Seelsorgestrukturen. Daher müssten sich Mussinghoff und Wiertz eigentlich freuen, wenn jetzt im deutsch-niederländischen Grenzgebiet, in Kerkrade, in einer seit zwei Jahren nicht mehr benutzten Kapelle wieder Messen gefeiert werden.
Doch die Oberhirten wollen sich nicht freuen: Die Kapelle gehört der Priesterbruderschaft Sankt Pius X., gegründet vom als abtrünnig eingestuften Alterzbischof Marcel Lefebvre, der die Liturgiereform und wesentliche Teile des Zweiten Vatikanischen Konzils ablehnte; sie soll Sitz des Aachener Priorats der Bruderschaft werden.
Mussinghoff und Wiertz warnen ihre Gläubigen vor dem "Angebot" der Pius-Brüder. Aber sie tun es in unterschiedlicher Tonart. Für Wiertz stehen die Bischöfe der Bruderschaft außerhalb der Kirche, weil sie exkommuniziert seien. Er sieht sie auf der gleichen Ebene wie etwa die altkatholische Kirche, die nach 1870 als Reaktion auf das Dogma über die Unfehlbarkeit des Papstes entstanden ist. Der versierte Kirchenrechtler Mussinghoff zeigt sich eher vorsichtig: Die Bruderschaft verfüge über keinen regulären Status, weil ihre Kleriker keinem Ortsbischof zugeordnet seien, argumentiert er. Das Wort "schismatisch" vermeidet Mussinghoff.
Denn die vatikanischen Stellungnahmen zu diesem Thema sind nicht aus einem Guss, sondern lassen Raum für Interpretationen. 1988 erklärte der damalige Präfekt der Bischofskongregation, Kardinal Bernardin Gantin, Lefebvre habe durch die Bischofsweihen von vier Priestern gegen den Willen des Papstes einen "Akt schismatischer Natur" gesetzt und sich so die Exkommunikation zugezogen. 20 Jahre später, am 30. Mai 2008, gab Kardinal Castrillon Hoyos von der für die Traditionalisten zuständigen Kommission Ecclesia Dei zu verstehen, dass die Priesterbruderschaft zwar einen kanonisch irregulären Status habe, nicht aber schismatisch sei.
Es gebe keinen Bruch, nur innerkirchliche Meinungsverschiedenheiten - so legen die Lefebvrianer diese vatikanische Position aus. Der Gesprächsfaden zwischen ihnen und Rom ist ohnehin nie gerissen. Benedikt XVI. hat die Zulassung der alten, tridentinischen Messe als außerordentliche Form des römischen Ritus ausdrücklich mit der Absicht verbunden, eine Aussöhnung mit den Traditionalisten herbeizuführen.
Der Aachener Bischof Mussinghoff sieht den Bedarf an der Feier der alten Messe gedeckt; er hat nie seine Skepsis gegenüber "bestimmten liturgischen Vorlieben" verhehlt. Doch ausgerechnet in seinem Bistum versucht die Piusbruderschaft, die bundesweit über 60 Gottesdienststandorte verfügt, gezielt weiter Fuß zu fassen. Bei Monschau investiert sie mehrere Millionen Euro in ein Gebäude, in dem 2010 ein "der Tradition verpflichtetes neues Benediktinerkloster im inzwischen neuheidnischen Deutschland" eröffnet werden soll. Katholiken sollten wissen, "dass die Mönche kein offizielles Angebot der römisch-katholischen Kirche machen", ließ die Diözese dazu verlauten. So könnten Taufen nicht in die kirchenamtlichen Register eingetragen werden. Die Bruderschaft kontert: Daraus spreche nur "das schlechte Gewissen, weil wir die Traditionen hochhalten".
Inzwischen können die Traditionalisten einen neuen Erfolg verbuchen. Der Papst hat der Abtei Mariawald, dem letzten deutschen Trappistenkloster, ein Privileg zugestanden: Von 2009 an wird hier ausschließlich im tridentinischen Ritus zelebriert. Es ist das erste Mal seit den Reformen, die nach 1965 in den Orden vorgenommen wurden, dass ein solches Privileg gewährt wurde. Abt Josef Vollberg sieht darin ein Signal in die Weltkirche hinein. "Ein mutiger Schritt", sagt der deutsche Distriktobere der Piusbruderschaft, Franz Schmidberger, der im Allgemeinen wenig Lob für den Papst übrig hat. Das Pikante: Auch Mariawald liegt auf dem Gebiet der Diözese Aachen.
Demnächst wollen die Lefebvrianer aber auch in Fulda mit einer eigenen Kirche präsent sein. "Mit dem Bonifatius-Grab und als Ort der Herbstvollversammlung der deutschen Bischöfe ist Fulda Deutschlands katholische Metropole. Ein eigenes Gotteshaus wäre für uns besonders wichtig", sagt Schmidbergers Sekretär Andreas Mählmann dazu.
Zuletzt geändert am 05.12.2008