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Veröffentlicht am 15­.12.2008

15.12.2008 - Imprimatur 8/2008

Offener Brief aus München

Freundeskreis Münchner Pfarrer
Dr. Karl-Ernst Apfelbacher, Johannes Hain, Normann Hepp, Walter Hutterer, Johann Krämmer, P. Norbert Staab, Wilfried Sußbauer, Martin Thurner, Anton Tholl, Wolfgang Wagner


H. H. Erzbischof
Dr. Reinhard Marx
Postfach 33 03 60
80063 München

München, 25. April 2008


Sehr geehrter Herr Erzbischof,
wir sind ein Freundeskreis von zehn Pfarrern, die sich seit 1978 nahezu allmonatlich einen ganzen Tag zu persönlichem Gespräch und zum Austausch über pastorale Fragen und kirchliche Perspektiven treffen. Gelegentlich haben wir uns – einzeln oder gemeinsam – bei pastoralen Fragen auch öffentlich zu Wort gemeldet, auch einen größeren Kreis anderer Kollegen zu Besprechungen eingeladen. Inzwischen sind acht von uns im Ruhestand; einige sind vom Erzbischöflichen Ordinariat angewiesen zu ständiger Seelsorgemithilfe, andere helfen von Fall zu Fall auf Anfrage von Kollegen mit.

Für Ihren Osterfest-Rundbrief sagen wir Ihnen Dank. Ihren Aufruf, dass „eine zukunftsfähige Seelsorge“, wie sie in unserer Erzdiözese schon angedacht wurde, mit „einer Vertiefung und einer stärkeren Verknüpfung mit einem umfassenden Prozess zum Aufbruch und zur geistlichen Neuorientierung“ einhergehen müsse, nehmen wir mit Zustimmung zur Kenntnis. Auch, was Sie im weiteren Verlauf des Briefes als wichtig benennen: „die Zeitstunde im Licht des Evangeliums zu deuten“; den „epochalen Wandel, in dem wir uns als Kirche neu aufstellen müssen, nüchtern, aber ohne Angst wahr- und anzunehmen“; anzuerkennen, dass der „Kontext der Freiheit, der persönlichen Freiheit, der Wahlmöglichkeit des Einzelnen“ und überhaupt die „Differenzierung und Individualisierung unserer Gesellschaft […"> ein Zeichen der Zeit und nicht nur negativ zu deuten“ ist; dass dies „eine ganz neue Herausforderung für die Kirche“ ist; dass man „die moderne Welt“ nicht nur „als eine Bedrohung“ und als eine Entwicklung zum Negativen“ sehen darf, sondern als den „Ort und die Zeit, in die uns der Herr hineingestellt hat“; „wir sollten nicht ‚schönreden‘ aber auch nicht ‚schwarz malen‘“; – all dies wirkt auf uns erfrischend und spricht uns aus dem Herzen.

Ebenso leuchtet uns ein, dass es „notwendig“ ist, „dass wir gründlich Bilanz ziehen und unsere Ziele gemeinsam formulieren“.

Zur anstehenden Planung künftiger Strukturen der Seelsorge erlauben wir uns, drei Punkte zu benennen, die Sie in Ihrem Brief nicht ausdrücklich angesprochen haben, von denen wir aber überzeugt sind, dass man sie im Blick behalten muss, wenn die Planung wirklich mit einem „umfassenden Prozess zum Aufbruch und zur geistlichen Neuorientierung in unserem Erzbistum“ verknüpft sein soll.

1) Alle Pläne zur Neustrukturierung der Seelsorge müssen der Tatsache Rechnung tragen, dass die Kirche am Ort und der Pfarrer einer Pfarrei für die Kranken und die Armen da zu sein haben; das steht im Gelöbnis bei der Priesterweihe und gehört auch nach Can. 529 §1 CIC/1983 wesentlich zum Officium pastoralis des Pfarrers. Im Moment sehen wir: Sie, Herr Erzbischof, wollen im Blick auf neue pfarrliche Strukturen „Ressourcen bündeln“, „Synergieen ermöglichen und Vernetzungen herstellen“; Herr Domkapitular Klaus-Peter Franzl nennt als Ziel „lebensfähige, attraktive und motivierte Pfarreien und Pfarreiengemeinschaften zu bilden“ (so in MKZ vom 06.04.08, S. 11). Unsere Frage: Wo bleibt dabei unser konkreter Auftrag (vgl. Can. 529 §1 CIC/1983), Menschen seelsorglich zu begleiten und denen nahe zu sein, die nicht beweglich, sondern gebrechlich sind, die nicht irgendwohin gehen können, sondern vor der Alternative stehen: entweder kommt jemand zu ihnen oder sie bleiben verlassen? Und viele Arme haben von Ämtern genug und sind scheu, aber sie schenken Vertrauen, wenn man ihnen mit persönlicher verlässlicher Freundlichkeit begegnet.

2) Bei allen Überlegungen zur Zukunft der Seelsorgestrukturen ist vorab zu klären, welche Bedeutung die Eucharistiefeier im Leben der Kirche am Ort haben wird, und ob die wenigen Priester mit den sich daraus ergebenden Anforderungen terminlich und geistlich und menschlich zurecht kommen können. Unklar bleiben hier übrigens auch die Perspektiven der Deutschen Bischofskonferenz, die in Arbeitshilfen Nr. 213 „Mehr als Strukturen… Entwicklung und Perspektiven der pastoralen Neuordnung in den Diözesen“ (2007) dokumentiert sind. Konkret: Da ist ein Altenheim, in dem sich regelmäßig am Sonntag 50 oder 60 alte Menschen, zumeist mühevoll mit Gehwagen, in der Kapelle versammeln. Es gibt keinen theologischen Grund, warum sie nicht mit einem Priester Eucharistie feiern sollen. Die Mitfeier der Eucharistie ist doch auch ihnen in ihrem beschwerlichen Alltag „Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens“ (LG 11; vgl. SC 10). Es gibt viele solche Altenheime, und es gibt viele andere Situationen, wo es nicht nur erwünscht, sondern theologisch höchst schlüssig wäre, wenn Christen, die zusammenkommen, auch miteinander Eucharistie feiern.

Ähnliches lässt sich auch zum Sakrament der Krankensalbung und ihrer Einbettung in die seelsorgerliche Begleitung Kranker sagen. Mit Sorge sehen wir, dass die Entwicklung dahin gehen könnte, dass die Gläubigen sich für die Mitfeier der Eucharistie auf eucharistische Großveranstaltungen und notgedrungen auf nur gelegentliche Mitfeier beschränkt sähen und dies gar nicht mehr als Verarmung wahrnehmen.

3) Für eine zuversichtliche Zukunftsplanung, bei der man sich nicht mit einer „Notordnung“ begnügen will, möchten wir überlegt sehen, inwieweit man in Zukunft so viele geeignete Ordinierte haben will, dass die Gläubigen weitgehend in all den Situationen, wo Eucharistiefeier sinnvoll ist, auch Eucharistie feiern können, zur Vertiefung und Bestärkung der Gemeinsamkeit im Glauben und im Tun, und dass die Eucharistie auch in Zukunft eingebettet bleibt in ein seelsorgliches und diakonisches Wirken untereinander und nah an den Menschen. Man könnte sicher mit Erfolg viele Pastoral- und Gemeindereferenten bitten, sich ordinieren zu lassen. Man müsste wohl auch überlegen, ob es – in Analogie zu Diakonen mit Zivilberuf – nicht auch Priester mit Zivilberuf geben könne. Dazu müsste man über eine Änderung der Zulassungsbedingungen zur Ordination konkret nachdenken. Natürlich müsste man da auch die Frage erörtern, ob das Junktim von Ordination und zölibatärer Lebensform so strikt wie bisher beibehalten werden soll. Wir erlauben uns an ein Wort von Bischof Heinrich Tenhumberg in Münster (+1979) zu erinnern: „Wenn wir in eine Situation kommen werden, dass wegen Priestermangels gläubige Christen auf die Feier der Messe verzichten müssen, dann müssen wir darüber nachdenken, ob das nicht ein Zeichen und ein Wink des Heiligen Geistes ist, den Zölibat anders zu bewerten.“ Zur Erläuterung: Die Frage ist hier nicht, ob der Zölibat eine defizitäre Lebensform sei, und ob man ihn positiv stärken müsse; wir sind überzeugt, dass der Zölibat eine sinnvolle Lebensform sein kann, und dass sie für Priester eine passende Lebensform ist. Thema der Diskussion muss sein, ob im Blick auf „das Heil der Seelen, das in der Kirche stets oberstes Gesetz sein muss“ (Schlussbestimmung des CIC/1983), das Junktim von Zölibat und Priesterweihe zwingend beizubehalten ist.

Erinnert sei an die Arbeitsvorlage der Internationalen Theologenkommission „Le ministère sacerdotal“ für die Bischofssynode im Herbst 1971. Im Abschnitt über die Zukunftsperspektiven des Zölibats wird betont: „Die Behauptung, dass ein Leben in Armut, Jungfräulichkeit, Freude und Dienst am Nächsten die Bedingung ist, die die Hierarchie für geeigneter hält, um das Priesteramt annehmen zu können, bedeutet nicht, dass sie das allezeit und für alle in Frage kommenden Kandidaten in gleicher Weise fordern muss.“ (105f.) Es könne eine zweifache Art vom Amtsträgern geben: Der zölibatäre Priester bekunde gewisse Aspekte und Werte des Evangeliums, „Verheiratete können, wenn sie in das Amt berufen werden, andere Werte des gleichen Evangeliums darstellen“. „Die Kriterien der Entscheidung müssen die folgenden sein: die missionarische Verkündigung des Evangeliums auf die qualifizierteste und wirksamste Art sicherzustellen, für die Erfordernisse der weiteren Reifung des christlichen Lebens der schon Getauften zu sorgen, das konkrete Zeugnis der christlichen Anforderungen allen Menschen gegenüber zu gewährleisten“. (106)

Zusammenfassung: Uns will scheinen, dass bei der Aufgabe, „die Zeitstunde im Licht des Evangeliums zu deuten“, und dann folgend bei der Frage nach den theologischen Vorgaben und den Zielen einer „zukunftsfähigen Seelsorge“ die genannten drei Problemkreise höchste Aufmerksamkeit verdienen. Konkret: Wir sind besorgt. Wir sehen bisher nicht, in welchen Gremien oder Foren oder Planungsgruppen die genannten Fragen und Probleme eingebracht und besprochen werden sollen, und wo die betroffenen Seelsorgerinnen und Seelsorger und andere Verantwortliche sich dazu zu Wort melden können. Wenn das „Projekt der Struktur- und Personalplanung 2020“, das Sie, verehrter Herr Erzbischof angehen wollen, schon von vornherein definitiv und alternativlos ausschließlich auf das Ziel fixiert wäre, Pfarreien auf Biegen und Brechen so weit zusammenzulegen, bis jeder Pfarrei bzw. Pfarreiengemeinschaft mindestens ein Priester zugeordnet werden kann, und dies so gut wie ganz ohne Rücksicht z. B. auf die Vorgaben in Can. 528 §2 und Can. 529 §1 CIC/1983, bestünde hohe Gefahr, dass die Erfordernisse einer zukunftsfähigen Seelsorge – gelinde gesagt – nur sehr ungenau in den Blick kommen. Das Ergebnis wäre wiederum nur eine „Notordnung“, eher eine veränderte, vielleicht etwas zweckmäßiger organisierte Mangelverwaltung, kaum schon der Aufbruch zu einer zukunftsfähigen, geistlich fruchtbaren Neustrukturierung der Seelsorge. Auch viele unserer Kollegen, auch junge Kollegen, sind erschreckt, was da womöglich an ungeklärten neuartigen Leitungsanforderungen auf sie zukommt, und können sich nicht vorstellen, wie das geistlich und menschlich und evangeliumsgemäß gehen soll.

Sehr geehrter Herr Erzbischof, wir wünschen Ihnen Gottes Segen, und grüßen Sie freundlich.

Für den „Freundeskreis Münchner Pfarrer“

Dr. Karl-Ernst Apfelbacher Pfarrer i. R.
Schleißheimer Str. 276/VII, 80809 München

Zuletzt geändert am 18­.12.2008