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Veröffentlicht am 20­.05.2009

20.5.2009 - DIE ZEIT

Vergesst die Ökumene!

Von Klaus Harpprecht

Ein Appell zum Evangelischen Kirchentag. Solange Papst Benedikt die Protestanten nicht anerkennt, hilft nur eins: den Dialog aufzukündigen.

Es ist lange her (in Bonn regierte Helmut Schmidt), doch die Szene im erzbischöflichen Palais zu München hat sich unauslöschlich in mein Gedächtnis geprägt: An einem späten Oktobervormittag empfing Kardinal Joseph Ratzinger die evangelistische Schwester des amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter, die auf ihrer Deutschlandreise zu begleiten ich die Ehre und das Vergnügen hatte. Ruth Carter Stapleton, die schöne, gescheite, tolerante und meist weltlich heitere Dame hatte den Wunsch geäußert, den – neben dem Rebellen Hans Küng – prominentesten katholischen Theologen der Bundesrepublik kennenzulernen.

Die Audienz war, das ließ sich nicht übersehen, vom geistlichen Hof mit einigem Aufwand inszeniert worden. Ein Spalier von jüngeren Klerikern säumte die prächtige Treppe, und droben im Empfangssaal versammelte sich eine Gruppe von Prälaten im Halbkreis hinter dem Sessel des Hausherrn und den beiden zierlichen Stühlchen für die Gäste. Der Erzbischof begrüßte die elegante amerikanische Christin freundlich und gemessen. Ihrem Begleiter hielt er mit zerstreuter Selbstverständlichkeit den Ring zum Kuss entgegen (eine Geste, die rasch in einen flüchtigen Händedruck verwandelt wurde). Ruth Carter berichtete dem Hausherrn lebhaft von der »charismatischen Bewegung«, der sie zugehörte, und sie versuchte sein Interesse mit dem Hinweis zu wecken, dass jene born again -Welle, die damals die Vereinigten Staaten überschwemmte (ihren Bruder im Weißen Haus nicht ausgenommen), keineswegs nur ein protestantisch-baptistisches Ereignis sei; die Bewegung habe fast ein Viertel der Katholiken Amerikas ergriffen, und man könne von einem ökumenischen Charakter der frommen Wiedergeburt sprechen.

Die Reaktion des Kardinals war kühl. Er wiegte skeptisch das Haupt und sprach von der Problematik eines nur gefühlsbetonten, theologisch unkontrollierten Schwärmertums. Er höre es mit Bedenken, dass auch die Katholiken drüben gegen solch emotionale Überwältigungen nicht gefeit seien. Das kleine Kolleg, das uns zuteil wurde, bezeugte die hohe Intellektualität des einstigen Tübinger Professors. Aber sie ließ kein Gespräch zu, das den Namen verdiente. Die klare Zurückweisung der amerikanischen Verirrungen schien dem Oberhirten, der hernach in Rom als Präsident der Glaubenskongregation zum mächtigsten unter den Kurienkardinälen aufstieg, wichtiger zu sein als die Erkundung einer ihm fremden Glaubenswelt.

Ruth Carter bemerkte später mit einem sacht ironischen Lächeln, nun wisse sie endlich, was gemeint sei, wenn von den princes of the church die Rede sei. Der intellektuelle Hochmut des Kirchenfürsten blieb ihr nicht verborgen. Der Begleiter aber hatte seine protestantische Prägung selten so klar empfunden, seit er dem väterlichen Pfarrhaus entwachsen war. Es ermutigte ihn freilich nicht, dass die Begegnung mit den grauen lutherischen Oberkirchenräten am Nachmittag von bleierner Langeweile war. Ruth Carter erholte sich von jener deprimierenden Erfahrung erst am Abend bei einem Krug Bier auf dem Oktoberfest.

Mein Vater, der Dekan in Nürtingen, war kein furioser Antipapist. Im Gegenteil: Der Kirchenkampf mit den Nazis hatte ihn davon überzeugt, dass die beiden großen Konfessionen zusammenwachsen müssten, um der gottlosen braunen Barbarei zu widerstehen. Beim Antritt seines Amtes machte er, gegen alle Tradition, auch dem katholischen Geistlichen im Städtchen seine Aufwartung. Zur Entsetzung seiner Gemeinde nahm er gewisse Formen der lutherischen Liturgie wieder auf, trug zu Weihnachten und zu Ostern bunte Stolen überm schwarzen Talar, ja er schlug nach dem Segen am Ende des Gottesdienstes gar das Kreuz, was einem Skandal gleichkam.

Der Sohn, von aller Theologie weit entfernt, nahm aus der nazistischen Heimsuchung – die den Vater mit der Verhaftung bedroht, einen Vetter in den Kerker geworfen, einen Bruder der Mutter zum Tod im Gestapo-Gefängnis verurteilt hatte – immerhin die Überzeugung mit, dass die Ökumene eine Notwendigkeit sei, der aus dem Martyrium der Männer und Frauen des Widerstandes erwachse. Außerdem gab es keinen Zweifel, dass die Kirchen nach dem Millionenmord allen Anlass hätten, ihr Verhältnis zum Volk des Alten Testamentes zu ändern.

Helmuth Graf Moltke, der intellektuell produktivste Kopf des Widerstandes, hatte mit klarem Bedacht den Jesuitenpater Alfred Delp neben den beiden protestantischen Theologen Eugen Gerstenmaier und Harald Poelchau in den innersten Zirkel seines Kreisauer Braintrust gezogen. Die Gründung der Christlich-Demokratischen Union erfüllte nach 1945 immerhin die Weisung, die unselige politische Spaltung der Konfessionen zu überwinden (für die sich heute keine Seele mehr interessiert). Bis zu einem gewissen Grad war auch die Wandlung des Verhältnisses der Sozialdemokratie zu den Kirchen, das historisch eher von Fremdheit, wenn nicht von Feindseligkeit bestimmt war, eine Frucht des Widerstandes. In der Zusammenarbeit der kirchlichen Hilfswerke im Kampf gegen die Not und in den Projekten sozialer Reformen gedieh eine Art »pragmatischer Ökumene«. Die Veränderung der konfessionellen Landkarte durch den Einstrom von Millionen Flüchtlingen legte die gemeinsame Nutzung der Gotteshäuser nahe. Ökumenische Gottesdienste und Trauungen begannen zur Gewohnheit zu werden, zumal nach der Gründung des Sekretariats für die Förderung der Christlichen Einheit durch den so menschlichen Papst Johannes XXIII., der das Zweite Vatikanische Konzil zur Förderung der Ökumene ermutigte – wie es ihm sein Vertrauter Roger Schutz, der Gründer und Prior der ökumenischen Ordensgemeinschaft von Taizé, nahegelegt hatte. Johannes nannte seine Bewegung »einen kleinen Frühling«, der Millionen meist junger Pilger in den Gottesdiensten und ihren Gesprächen mit den Brüdern ökumenische Realität erleben ließ.

Roger Schutz, von Haus aus ein reformierter Theologe aus der Schweiz, empfing nicht lange vor seinem gewaltsamen Tod – er wurde während der Andacht von einer geistig Verwirrten erstochen – beim Requiem für den Papst Johannes Paul II. die katholische Kommunion – aus den Händen des Kardinals Ratzinger. Frère Roger wollte darin »keinen Akt der Konversion«, sondern das »Symbol der vorweggenommenen Versöhnung« erkennen.

Aber erlaubt die römische Kirche eine »Ausnahme« in einem Feld der theologischen Auseinandersetzung, die sie als zentral betrachtet – und in dem jeder Einigungsversuch bisher gescheitert ist. Den Evangelischen, die in der Austeilung von Brot und Wein einen »symbolischen« Nachvollzug des Opfers Christi erkennen, bereitet es in der Regel keine Schwierigkeit, das Abendmahl nach katholischem Ritus zu empfangen, der sich auf die leibhaftige Gegenwart des Blutes und Fleisches gründet. Die Taizé-Brüder nichtkatholischer Herkunft wurden folgerichtig beim Begräbnis von Frère Roger von der Kommunion ausgeschlossen.

Katholiken aber sind von der Exkommunikation bedroht, wenn sie das protestantische Abendmahl zu sich nehmen. Hier demonstriert sich eine Härte, die man in der Erinnerung an den gemeinsamen Opfertod von protestantischen und katholischen Mitgliedern des Widerstands als Verrat, als Treulosigkeit oder wenigstens als schnöde Vergesslichkeit empfinden muss. Wer mit dem Wirken Harald Poelchaus, des Berliner Gefängnispfarrers, halbwegs vertraut ist, weiß sehr genau, dass bei den Serien-Exekutionen in Plötzensee Poelchau und sein katholischer Amtsbruder in den Minuten vor der Hinrichtung das Abendmahl austeilen durften. Keiner der Märtyrer fragte danach, ob er die Kommunion von dem katholischen oder evangelischen Priester empfange. Sage keiner, auch dies rechtfertige sich nur durch eine »Ausnahmesituation«. Es gibt kein Abendmahl erster und zweiter Klasse.

Diese Einsicht allein wäre ein Grund, Gespräche und Verhandlungen der protestantischen Kirchenleitungen mit Rom aufzukündigen, bis Papst Benedikt und Kardinal Kaspar (Präsident des Rates für die Einheit der Christen) zu einer Revision ihrer antiökumenischen Haltung in Sachen Abendmahl bereit sind. Das sollte nicht die einzige Bedingung sine qua non sein. Es geht zum Beispiel nicht an, dass die Besetzung einer protestantischen Delegation für einen Empfang beim Pontifex maximus einer vatikanischen Zensur unterworfen wird, wie dies in Köln beim Weltjugendtag der Fall war, als den evangelischen Pastorinnen oder gar Bischöfinnen die Teilnahme an der Begegnung verweigert wurde. Die katholische Kirche mag es mit der Priesterschaft von Frauen halten, wie sie will (und wie es ihre Gläubigen dulden): Sie hat sich damit abzufinden, dass die Rom-freien Kirchen dank einer radikalen Abkehr von den misogynen Paulinischen Traditionen den Frauen das Recht auf die Priesterschaft zuerkennen und es ihrerseits hinnehmen, dass sich die zölibatären Kleriker als Experten in Sachen Sexualmoral gebärden. Vor allem: Solange sich Papst Benedikt weigert, die evangelischen Kirchen in der ganzen Bedeutung des Wortes Kirchen zu nennen, und sie zu »kirchenähnlichen Gemeinschaften« degradiert – so lange sind Verhandlungen unter gleichberechtigten Partnern nicht möglich.

Die vatikanische Wortwahl zeugt für ein unhistorisches Verständnis des Begriffes Kirche, zumal die römische Lehre sagt, dass sich Gott auch durch die Geschichte offenbare. Ihre Auslegung der Idee Kirche ist überdies bibelfremd, denn es steht geschrieben: »Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.« Dieses Wort ist der Ursprung des Glaubens an die eine, universale Kirche, die auch im lutherischen Bekenntnis verankert ist. Wenn Kardinal Kaspar nicht länger von einer »Einheit in versöhnter Verschiedenheit«, sondern von »Verschiedenheit ohne wirkliche Einheit« spricht, dann bestätigt er die Vermutung, dass Papst Benedikt in Wahrheit hinter das Zweite Vatikanische Konzil zurückwill (an dem er einst angeblich so produktiv mitgewirkt hat). Die Aufhebung der Exkommunikation der Pius-Bruderschaft ist eine Bestätigung dieses Verdachts. Die Schüler des abtrünnigen Erzbischofs Marcel Lefebvre haben ihre Ablehnung von Vatikan II vor der Rückkehr in den römischen Schoß keineswegs widerrufen. Warum auch? Benedikt feierte selber, lange zuvor, wieder die tridentinische Messe (samt dem rituellen Symbol, das dem Priester befiehlt, die heilige Handlung mit dem Rücken zur Gemeinde zu vollziehen).

Man darf ihm glauben, dass er die Idiotien, die der Bischof Williamson in Sachen Judenvernichtung in die Welt trompetete, vor der Einladung zur Heimkehr nach Rom nicht kannte. Doch im vergangenen Jahr prägte der Papst eine problematische Formulierung der Fürbitte für die Bekehrung des alttestamentarischen Volkes: »Lasset uns auch beten für die Juden: dass unser Gott und Herr ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus als den Heiland aller Menschen anerkennen.« Hier zeigt sich, obschon diffamierende Adjektive vermieden werden, eine seltsame Verstocktheit an, die eines Papstes deutscher Herkunft nicht gut zu Gesicht steht. Seiner Kirche hätte er einen unschätzbaren Dienst erwiesen, wäre ihm eingefallen, Gott darum zu bitten, bei den Juden, dem Heimatvolk Jesu, die Vergebung der entsetzlichen Versündigungen der Christenheit erflehen, nicht ausgenommen den Umschlag des religiösen Antijudaismus in den rassistischen Antisemitismus, der bei Katholiken, Protestanten und Orthodoxen auf geringen Widerstand stieß. Das wäre ein Gebet, das nicht nur eine Brücke zu den Juden, sondern auch zu den Protestanten und zu den Minderheiten jeglicher Couleur schlüge.

Wir werden vergebens darauf warten. Wie auf große Schritte zur Ökumene überhaupt (zum Beispiel den Widerruf der »Unfehlbarkeit« – jener hochmütigsten Dummheit, die jemals zum Dogma erhoben wurde). Die ökumenischen Errungenschaften, die seit dem Zweiten Weltkrieg im Alltag gewachsen sind, werden unter der Gesprächsabstinenz auf hoher Ebene nicht leiden. Im Gegenteil, sie könnten stark genug sein, um beim katholischen Kirchenvolk eines Tages den Willen zu Reformen zu wecken, dem sich Rom nur unter dem Risiko eines weiteren Schismas zu widersetzen vermöchte. Dann öffnete sich die Chance, einer Ökumene der Institutionen näherzurücken.

DIE ZEIT, 20.05.2009 Nr. 22
http://www.zeit.de/2009/22/Oekumene Kirchen

Zuletzt geändert am 11­.06.2009