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Veröffentlicht am 17­.06.2009

17.6.2009 - welt.de

Runder Tisch Heimerziehung: Katholische Kirche gesteht Fehler

Zahl missbrauchter Kinder wohl wesentlich höher

Berlin - Im Streit über die Zahl der Opfer der Heimerziehung in der frühen Bundesrepublik hat die katholische Kirche Fehler eingeräumt. Die Sprecherin der Deutschen Bischofskonferenz sagte, bei der vom Vorsitzenden der Konferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, geäußerten Zahl von wenigen Hundert Opfern handele es sich "nur um die Fälle, die sich bei unseren Einrichtungen gemeldet haben". Zollitsch hatte anlässlich des dritten Treffens des runden Tisches Heimerziehung in Berlin Anfang dieser Woche in der FAZ geschrieben, "dass die Zahl der schlimmen und fragwürdigen Fälle im katholischen Umfeld eher gering ist und sich im unteren dreistelligen Bereich befindet".
Hans-Siegfried Wiegand, Vertreter der ehemaligen Heimkinder am runden Tisch, kritisierte, die katholische Kirche erwecke den Eindruck, die Opferzahlen herunterspielen zu wollen. In den 50er- bis 70er-Jahren existierten etwa 1500 katholische Heime. Experten gehen von deutlich höheren Opferzahlen aus. Der katholische Kirchenhistoriker Wilhelm Damberg untersucht gemeinsam mit einem evangelischen Kollegen die Vorgänge in kirchlichen Heimen zwischen 1949 und 1972 im Auftrag der Kirchen. Er betonte mit Blick auf die von Zollitsch genannte Größenordnung, diese Zahl gehe "nicht auf unsere Forschungsergebnisse zurück".

In der frühen Bundesrepublik bis in die 70er-Jahre wurden Tausende Kinder und Jugendliche in kirchlichen Heimen vielfach schwer misshandelt und zur Arbeit gezwungen. Der runde Tisch soll ihr Schicksal aufklären und über Entschädigungen befinden. Der Verein ehemaliger Heimkinder (VEH) fordert die Einrichtung eines Entschädigungsfonds in Höhe von 25 Milliarden Euro, in den vor allem die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände einzahlen müssten. Die drei ehemaligen Heimkinder am runden Tisch haben sich jedoch vom VEH distanziert. Dieser hat den Staranwalt Michael Witti engagiert. Die Anwaltszulassung wurde Witti 2008 jedoch wegen Veruntreuung von Geldern entzogen - so fungiert er als Berater und droht den Kirchen mit einer Sammelklage in den USA. Die Vorsitzende des rundes Tisches, Antje Vollmer, hatte Witti den Zugang zum runden Tisch versagt. Hans-Siegfried Wiegand und die beiden anderen ehemaligen Heimkinder lehnen eine Zusammenarbeit mit Witti ab, weshalb sie vom VEH nicht mehr als würdige Vertreter ihrer Interessen angesehen werden.

So war von der 25 Milliarden-Forderung am runden Tisch gestern nur am Rande die Rede. Experten aus Familien-, Arbeits- und Justizministerium referierten, wer die Obhut über die Heime der Nachkriegszeit hatte. Etwa zwei Drittel waren in kirchlicher, der Rest in staatlicher oder freier Trägerschaft. So stehen nicht nur der Staat, sondern auch die Länder, Jugendämter und Vormundschaftsgerichte in der Verantwortung. frep

URL: http://www.welt.de/die-welt/article3939766/Runder-Tisch-Heimerziehung-Katholische-Kirche-gesteht-Fehler.html

Zuletzt geändert am 19­.06.2009