28.6.2009 - Konradsblatt
Um die Deutungshoheit des Konzils. Martin Mosebach und Robert Spaemann zu Gast in der Universität Freiburg
Es war keine Veranstaltung der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg. Eingeladen hatten zwei Lehrstuhlinhaber, Helmut Hoping (Dogmatik und Liturgie) und Hubert Windisch (Pastoraltheologie), Freitagabend 18 Uhr, zeitlich am Rande des universitären Vorlesungsalltags gelegen. Die Einladenden sind nicht zufällig auch die beiden Professoren, die im Frühjahr nicht mit unterzeichneten, als die Freiburger Theologieprofessorinnen und -professoren in ihrer Mehrheit eine kritische Erklärung zu den Vorgängen um die traditionalistische Priesterbruderschaft St. Pius X. veröffentlichten.
Der Philosoph Spaemann und der Schriftsteller Mosebach – so unterschiedlich das sein mag, mit dem sie sich einen Namen gemacht haben – sind in Vielem nahe beieinander: vor allem in ihrer Liebe zur tridentinischen Liturgie. Von Mosebachs Buch „Häresie der Formlosigkeit“ (siehe Konradsblatt 26/2003) gibt es inzwischen die neunte Auflage – und zahlreiche Übersetzungen. Der vielfach ausgezeichnete Frankfurter Literat gehört zu den bekanntesten Kritikern der Liturgiereform, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil angestoßen wurde, beziehungsweise der liturgischen Entwicklung seit dem Konzil.
Das innerkirchliche Bild von Spaemann ist – neben seinem Renommee als Philosoph – vor allem durch zwei Vorgänge geprägt. Zusammen mit der Gruppe „Pro missa tridentina“ setzt er sich seit Langem für die Ausweitung des Gebrauchs der tridentinischen Messe ein. Mit der Zulassung des Ritus von 1962 als außerordentlicher Form des römischen Ritus hat Papst Benedikt XVI. Leuten wie Spaemann und Mosebach einen großen Gefallen getan. Außerdem gehörte Spaemann zu denjenigen, die besonders Anstoß nahmen an der Beteiligung kirchlicher Beratungsstellen an der Schwangerschaftskonfliktberatung „mit Beratungsschein“, wie sie die große Mehrheit der deutschen Bischöfe in den 90er-Jahren befürworteten, dann aber auf Geheiß von Papst Johannes Paul II. aufgeben mussten.
Für einen universitären Rahmen war die Veranstaltung mit diesen beiden Vertretern der „deutschen Geistesgegenwart“ (Windisch) eher ungewöhnlich. So kontrovers auch die Ansichten dieser beiden bekanntermaßen diskutiert werden – auf eine inhaltliche kontroverse Entgegnung wurde verzichtet. Die Professoren Hoping und Windisch fungierten als Befrager beziehungsweise Stichwortgeber.
„Brauchen wir eine Kirchenreform?“, lautete die Frage, zu der Hoping und Windisch die beiden eingeladen hatten. Die Formulierung war insofern interessant gewählt, weil beide Gesprächspartner natürlich das Image vom genauen Gegenteil von Kirchenreformern haben und allenfalls als Beförderer einer „Reform der Reform“ gelten, wie sie auch der Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, der heutige Papst Benedikt XVI., auf liturgischem Gebiet ins Spiel gebracht hat. Das eine ist der Ruf nach Kirchenreformen im Sinne des und in Fortführung des Zweiten Vatikanischen Konzils. Das andere der Ruf nach Abänderung beziehungsweise Aufgabe dieser Reformen – gleichfalls unter der Bezeichnung „Reform“.
Die katholische Liturgie ist „angetastet“
Um Liturgie allein sollte es nicht gehen. Dominiert beim Zweiten Vatikanischen Konzil der Bruch oder die Kontinuität mit der Tradition?, wurde gefragt. Für Mosebach ist klar: „Wenn ich der Ansicht wäre, es sei zum Bruch mit der Tradition gekommen, gehörte ich der katholischen Kirche nicht mehr an.“ Spaemann ist davon überzeugt, dass sich vieles, was an den Konzilsbeschlüssen angeblich neu sei, durchaus im Sinne der Kontinuität interpretieren lasse. Das dürfte die Piusbruderschaft deutlich anders sehen.
Professor Windisch spricht seine Gäste auf das Thema „Weltoffenheit“, „Zeitgemäßheit“ als Charakterisierungen eines Grundmotivs des Konzils an. Für Mosebach ist das „Mit-der-Welt-identisch-sein-Wollen“ der nachkonziliaren Kirche ein schwerer Fehler. Spaemann betont, dass jede Zeit Unzeitgemäßheit brauche. Das Pathos, ein Fremdkörper zu sein, sei der Kirche abhandengekommen. Zu der Unterscheidung, inwieweit Unzeitgemäßheiten ihrerseits durchaus zeit-gemäß sein muss, nämlich nicht einfach nur anachronistisch (unzeitgemäß) sein dürfen, kommt man nicht.
Beim Thema Liturgie gerät Mosebach in Fahrt. Für ihn hat die katholische Liturgie nach der Liturgiereform gewissermaßen ihre Unschuld verloren: Sie ist „angetastet“. Für ihn hat sie ihre Selbstverständlichkeit eingebüßt. Liturgie ist für ihn etwas, in das man prinzipiell nicht eingreifen darf, das man nicht „arrangieren“ kann. Kraft besitzt sie für ihn nur, wenn sie „vorgegeben“ ist.
Spaemann argumentiert in dieser Frage etwas anders. Er weiß natürlich, dass Liturgie in der Geschichte der Kirche „immer verändert“ wurde. Die Liturgie Pauls VI. hat aber auch seiner Wahrnehmung nach entscheidende und bleibende Defizite. Das Nebeneinander der ordentlichen und der außerordentlichen Liturgie ist für ihn nicht das letzte Wort: Er wiederholt seine These, dass er sich Veränderungen der Liturgie Pauls VI. im Sinne der Liturgie von 1962 wünscht. Erst unlängst wieder hat er seine Wunschliste liturgischer Veränderungen veröffentlicht (Internationale Katholische Zeitschrift „Communio“, Nr. 1/2009, S.82ff.).
Bei der Liturgie zeigen auch die beiden Gastgeber Unterschiede bei der Herangehensweise. Hubert Windisch wehrt sich dagegen, als müsse derjenige, der die Liturgie Pauls VI. feiert, diese automatisch im Sinne einer „gemachten“ Liturgie begreifen: „Ich schaffe den Ritus nicht … Ich versuche zu glauben, was ich da feiere.“
Helmut Hoping – er ist Ständiger Diakon im Nebenberuf – beschreibt sich als „liturgischen Wanderer“ zwischen dem ordentlichen und dem außerordentlichen Ritus. Für den außerordentlichen Ritus wünscht er sich leichte Anpassungen im Sinne dessen, was er eine „organische Entwickung“ nennt, etwa bei der Perikopenordnung oder beim Fürbittgebet, gewissermaßen eine „Liturgiereform light“.
„Wolkig-sentimentale und kitschige Wortschwalle“
Mosebach dagegen will von möglichen Änderungen am außerordentlichen Ritus nichts wissen. Für ihn kann es nur darum gehen, sich in die Liturgie, wie sie nun mal ist, „einzufühlen“. Für ihn besteht die „Sünde“ ja gerade darin, im Stile eines Theaterkritikers zu sagen, was einem an einer Liturgie zusage und was nicht. Das genau ist für ihn das Ende jeder Liturgie.
Wie groß der Abstand dieser beiden „Kirchenreformer“ zur real existierenden Kirche und Theologie tatsächlich ist, das wird vor allem deutlich, als es um die Lage der Theologie geht. Mosebach wirft der Theologie eine „Fetischisierung ihrer Wissenschaftlichkeit“ vor. „Konzise Glaubensaussagen“ würde sie durch „ungeheuer wolkig-sentimentale und kitschige Wortschwalle“ ersetzen. Antworten wie die auf die Frage nach der Auferstehung der Toten kämen ihm vor, als wolle man einen „Pudding an die Wand“ nageln.
Auch Spaemann sieht in der Theologie „schwere Defizite“ und kritisiert den Modernismus einer Theologie, die sich als weithin voraussetzungslos begreife. Als „glaubenslose Wissenschaft“, etwa bei der historisch-kritischen Exegese, verliere die Theologie ihre „Respektabilität“. Sie komme nicht umhin, ihre Glaubensvoraussetzungen offenzulegen und ernst zu nehmen. Es gehe um die „Wahrheit des katholischen Glaubens“. Die Theologie müsse endlich orthodox werden.
Theologieprofessoren leugneten grundlegende Glaubensaussagen der katholischen Kirche. Angesprochen auf die Möglichkeit einer „Entberuflichung der Theologie“ hält Mosebach dies für eine „sympathische Vorstellung“. Spaemann spricht sich dafür aus, die theologische Ausbildung für Religionslehrer völlig neu zu organisieren: Ihm wäre ein „Handwerker“ lieber als „noch so hoch Gebildete“, die – so wie er es sieht – nichts mehr glaubten.
Kennzeichnend für die kirchliche Stimmungslage
Die Aussagen von Mosebach und Spaemann zur Theologie zeigen, wie breit und tief der entstandene Graben innerkirchlich bereits geworden ist. Hier wurden Umrisse eines Christentums und einer dazu passenden Theologie gezeichnet, das in der heutigen Gesellschaft bestenfalls Sektenstatus besäße. Theologie und Kirchen empfehlen dem Islam, an den Koran historisch-kritisch heranzugehen, hier aber wird der christlichen Theologie vorgehalten, den Weg des Glaubens durch ein Übermaß an Wissenschafts-orientierung verlassen zu haben.
Man muss die Positionen der beiden Gäste des dogmatischen und des pastoraltheologischen Lehrstuhls der Freiburger Uni nicht teilen, um einem solchen Abend zu bescheinigen, dass er einiges aussagt über die herrschende Stimmung und Lage der katholischen Kirche. Umso erstaunlicher, dass der Hörsaal 1010 des Kollegiengebäudes I nur zu einem Drittel gefüllt war.
Die Themen dieses Abends prägen zunehmend den Pontifikat von Benedikt XVI. Wobei es schwer einzuschätzen ist, welchen Einfluss die beiden befragten Gesprächspartner auf den Verlauf des Pontikates haben.
Professor Helmut Hoping beendete die Veranstaltung mit dem Hinweis, man trete in eine neue Phase der Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils ein. Die Auseinandersetzung um die Deutungshoheit des Zweiten Vatikanischen Konzils nimmt in der Tat zu. Genau das lässt einen zunehmend unruhig werden – eine Unruhe, die das Gespräch mit Mosebach und Spaemann eher noch verstärkt haben dürfte.
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Zuletzt geändert am 27.06.2009