23.10.2009 - Süddeutsche Zeitung
Hans Küng. Wer die Päpstin fürchtet
Nun war ja tatsächlich durch die Jahrhunderte die Geschichte von einer Johanna, Frau Jutte, erzählt worden, die als Mann verkleidet in Athen studiert habe und ihrer großen Gelehrsamheit wegen 855 zum Papst gewählt worden sei; aber während einer Prozession sei sie niedergekommen und gestorben. Bis ins 15. Jahrhundert wurde die Päpstin allgemein als historisches Faktum genommen, doch seit der Reformation wird um ihre Historizität heftig gestritten.
Was auch manche Rezensenten dieses Films nicht wissen: Die beste Kennerin der Problematik ist die Theologin und Historikerin Elisabeth Gössmann (Tokio), die in Deutschland mehrmals auf Berufungslisten für einen Lehrstuhl stand, aber stets aufgrund des Widerstandes der Amtskirche abgelehnt wurde. Sie hat die Diskussion um die Päpstin Johanna, die jahrhundertelang geführt wurde und mehrere tausend Seiten in Latein und verschiedenen Volkssprachen umfasst, mit großer Akribie aufgearbeitet.
Danach steht historisch fest: Es handelt sich um eine Legende, die vermutlich auf eine antike Priesterstatue mit Knaben in Rom zurückgeht. Sie wurde aufgrund einer in der Nähe gefundenen Inschrift als Päpstin mit Kind gedeutet. Erste Hinweise auf diese Legende gibt es tatsächlich erst seit dem 12./13. Jahrhundert. Vor allem von Dominikanern und Franziskanern, aber auch säkularen Schriftstellern wie Boccaccio und Petrarca wurde sie verbreitet. Doch so verschieden ihre Interpretationen auch sind, allesamt stimmen sie überein in der negativen Wertung: Eine Päpstin ist beziehungsweise wäre schrecklich! Der Skandal lag im Frausein!
Man darf ja nicht vergessen, dass es lange Zeit eine kirchliche Gesetzgebung gab, die nicht nur die Priesterweihe für Frauen verbot, sondern es sogar als fluchwürdig verdammte, dass Äbtissinnen ihre Nonnen segnen und ihre Beichte hören, ja sich vermessen, das Evangelium zu lesen und öffentlich zu predigen. Nicht einmal die heiligen Gefäße sollten sie berühren oder den Altar mit Weihrauch versehen. Ja, nach dieser Auffassung ist das gesamte weibliche Geschlecht zum ordinierten Amt unfähig. Und noch am Ende des 20. Jahrhunderts hat der Vatikan weibliche Ministranten verboten, scheiterte aber am Widerstand der katholischen Bevölkerung und ihrer Seelsorger.
Vor diesem Hintergrund kann man verstehen, dass eine Frau auf dem Papstthron geradezu als „Missgeburt” oder „Monstrum” gesehen und mit allen möglichen Schimpfworten bedacht, ja, durch all die Jahrhunderte in allen Parteien, ob Dominikaner oder Franziskaner, ob Säkulare oder auch Lutheraner, als Schändung der Kirche angesehen wird. Diese frauenfeindliche Begründungs- und Legitimationspraxis der Tradition müsste nach Elisabeth Gössmann, die noch Joseph Ratzinger als Professor hatte, kritisch aufgearbeitet werden, wenn man die umstrittenen Fragen des Zölibats und der Frauenordination endlich positiv beantworten wollte.
Aber es ist ja schon längst klar: Gegen einen Presbyterat der Frau gibt es keine ernsthaften theologischen Gründe. Die exklusiv männliche Konstitution des Kollegiums der zwölf Apostel muss aus der damaligen soziokulturellen Situation heraus verstanden werden. Die in der Tradition vorfindbaren Gründe für den Ausschluss der Frau (durch das Weib kam die Sünde in die Welt; die Frau wurde als Zweite erschaffen; die Frau ist nicht nach dem Bilde Gottes erschaffen; die Frau ist kein volles Mitglied der Kirche; Menstruationstabu) können sich nicht auf Jesus berufen und zeugen von einer grundsätzlichen theologischen Diffamierung der Frau. Angesichts leitender Funktionen von Frauen in der Urkirche (Phöbe, Priska) und angesichts der heute völlig veränderten Stellung der Frau in Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Staat und Gesellschaft sollte die Zulassung der Frau zum Presbyterat nicht länger hinausgezögert werden.
Es stellen sich drei Fragenkomplexe:
1. Mit welchem Recht verweigern die orthodoxe und die römisch-katholische Kirche den Frauen die volle Gleichbehandlung bis hin zum kirchlichen Amt? Müssten traditionelle kirchenrechtliche Legitimationsstrukturen über das ursprüngliche Ethos Jesu und der frühen Gemeinde nicht in Frage gestellt werden? Waren Jesus und die frühe Kirche in der Wertung der Frau ihrer Zeit nicht voraus, sodass Kirchen, welche am Ordinationsverbot für Frauen festhalten, weit hinter dem Evangelium und der Praxis anderer Kirchen zurückbleiben?
2.Die methodistische Kirchengemeinschaft hat als allererste Kirchengemeinschaft 1980 erstmals eine Frau ins Bischofsamt gewählt, die anglikanische Kirchengemeinschaft der USA folgte 1989 und die evangelisch-lutherische Kirche in Deutschland 1992. Mit welchem Recht drohen Vertreter der katholischen und der orthodoxen Kirche ernste Probleme und Schwierigkeiten für den ökumenischen „Dialog” an? Darf der ökumenische „Dialog” zwischen den Kirchen auf Kosten der Gleichstellung der Frau gehen? Müssten nicht gerade umgekehrt Kirchen, die das Bischofs- und Priesteramt für Frauen ablehnen, ihre eigene Praxis selbstkritisch am Evangelium und der frühen kirchlichen Tradition überprüfen?
3. Wäre es nicht an der Zeit, dass orthodoxe und katholische Kirche zugeben, dass die evangelische, anglikanische und altkatholische Kirche in der Frage Amt und Frau näher am Evangelium sind als sie selber? Ist es nicht an der Zeit, im Geiste des Evangeliums die Praxis der Diskreditierung, Diffamierung und Diskriminierung von Frauen zu beenden und ihnen auch in der Kirche die ihnen zukommende Würde sowie juristische und soziale Stellung zu gewährleisten?
Oder soll es so bleiben, wie man es auf einer Podiumsdiskussion in der Tübinger St.-Johannes-Pfarrei hören konnte: „Die katholische Kirche ist eine von Frauen getragene und von Männern in Frauenkleidern geleitete Institution”?
Zuletzt geändert am 26.10.2009