21.1.2010 - Süddeutsche Zeitung
Die Kirche blutet aus tausend Wunden
Exakt am Jahrestag der Rehabilitierung durch den Papst nutzt nun der deutsche Zweig der Bruderschaft die Freude an den neuen Medien, um sich ins rechte Licht zu setzen: Es wurde eine Videobotschaft an den Papst ins Netz gestellt. Damit verwertet man offensiv die päpstliche Steilvorlage. Beim Empfang für die Glaubenskongregation sprach Benedikt in der vergangenen Woche: Die Kongregation möge dazu beitragen, dass „die lehrmäßigen Probleme überwunden werden, die noch bestehen, sodass sich eine volle Kirchengemeinschaft der Bruderschaft St. Pius erreichen lässt”. Das „gemeinsame Zeugnis für den Glauben” sei „Priorität der Kirche zu jeder Zeit”.
Der Vatikan setzt also weiterhin auf eine disziplinierende Umarmung. Von den bisher zwei theologischen Gesprächen in Rom wird eine sachliche Atmosphäre überliefert. Und zumindest die deutsche Sektion der Bruderschaft scheint fest entschlossen zu sein, mit Freundlichkeit zu reagieren, ohne theologisch Abbitte zu leisten. „Danke, Heiliger Vater, danke!”, sagt Franz Schmidberger in dem sechseinhalbminütigen Video emphatisch. Der Distriktobere der Pius-Bruderschaft für Deutschland sitzt in einer Bibliothek vor einem Marienbild, das ein Blumenstrauß schmückt, neben einem Kruzifix. Der Text, den er lächelnd abliest, schwankt zwischen Selbstkritik und Beharrung, Heilsoptimismus und Kulturpessimismus.
Manches Schiefe und Kranke
Schmidberger dankt für die Möglichkeit, dass die Bruderschaft ihre „Bedenken gegen gewisse Aussagen des II. Vatikanischen Konzils und der nachkonziliaren Entwicklung in Ruhe (. . .) vortragen” darf. Die Kirche nämlich blute heute „aus tausend Wunden”, der „Diktatur des Relativismus und der Entchristlichung der Gesellschaft” gelte es Einhalt zu gebieten.
Eine solche Diagnose war oft, fast wortgleich, aus Benedikts Mund zu hören. Dem Eindruck, Papst und Bruderschaft zögen am selben Strang, dient auch ein Zitat aus Benedikts erläuterndem Brief vom 10. März 2009. Schmidberger führt jene Passage an, in der Benedikt vom christlichen Glauben sprach, der zu verlöschen drohe „wie eine Flamme, die keine Nahrung mehr findet”.
Außerdem zitiert er die päpstliche Mahnung, in der Gemeinschaft der 491 Priester und 215 Seminaristen gebe es „neben manchem Schiefen oder Kranken die Liebe zu Christus”. Überraschend gesteht Schmidberger „bei uns vorhandene Fehler, Schwächen und Mängel” zu. Der Name Williamson fällt nicht, wohl aber bedauert er „zutiefst” die Verdunklung des „theologischen, ekklesiologischen und pastoralen Anliegens des Obersten Hirten” aufgrund „einer Äußerung einer der vier Bischöfe” – wobei unklar bleibt, ob das Bedauern mehr den Aussagen Williamsons oder dem, wie es heißt, „Medienspektakel” gilt. Schließlich beruft der Pater sich auf Johannes Paul II. und fordert wie dieser: „Europa muss wieder christlich werden!”
Fast zeitgleich zur Freundlichkeitsoffensive aus deutschen Landen ließ die französische Nachrichtenagentur der Bruderschaft verlauten: Benedikt XVI. habe in seiner Ansprache in der römischen Synagoge den Eindruck erweckt, Juden und Christen beteten heute zum selben Gott. Eine solche Predigt weiche „von Grund auf von jener der Apostel” ab. Der Richtungsstreit innerhalb der Bruderschaft dauert also an. ALEXANDER KISSLER
URL: www.sueddeutsche.de/politik/591/500854/text/
Zuletzt geändert am 22.01.2010