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Veröffentlicht am 09­.07.2010

9.7.2010 - Der Standard

Missbrauch, Machtkämpfe und Vorwürfe gegen den Papst

"Wie in den Anfangszeiten der Kirche"

Missbrauchsvorwürfe, Vertuschungen, Korruption und interne Machtkämpfe - die patriarchalische Festung des Vatikans wird beinahe täglich schwer erschüttert. Sogar der Papst steht unter Beschuss. Eine neue Vatikanbehörde soll das Vertrauen der Gläubigen wiederherstellen.

Rino Fisichella gehört nicht zu denen, die um den heißen Brei herumreden. "Entweder die Kirche besinnt sich auf das Wesentliche, oder sie verkümmert zu einer gesellschaftlichen Gruppe wie viele andere" , fürchtet der mediengewandte Erzbischof. Der 58-Jährige aus der Lombardei ist seit wenigen Tagen Präsident einer neuen Vatikanbehörde. Was sich hinter der gewohnt spröden Bezeichnung "Päpstlicher Rat zur Förderung der Neuevangelisierung" verbirgt, interpretiert Fisichella so: "Die meisten Getauften sind keine praktizierenden Katholiken mehr, die Gleichgültigkeit gegenüber der Religion wächst." Seine Mission betrachtet der resolute Ordensmann als "Herausforderung wie in den Anfangszeiten der Kirche" .

Die angestrebte Rückeroberung verlorenen Terrains ist freilich schwierig, steht der Vatikan doch unter selbstverschuldetem Dauerbeschuss. Kaum eine Woche, in der die patriarchalische Festung nicht an irgendeiner Front um Schadensbegrenzung bemüht ist. Missbrauchsfälle, Vertuschungsversuche, Millionenklagen, Kirchenaustritte, Hausdurchsuchungen und interne Konflikte belasten die Kirchenführung schwer.

Derzeit sorgt ein aktuelles Urteil des höchsten Gerichtshofs der USA für Alarmstimmung in Rom. Die Richter befanden, der Vatikan habe kein Anrecht auf Immunität. Vergeblich hatten sich die Verteidiger auf den Foreign Sovereign Immunity Act von 1976 berufen, der Klagen gegen souveräne Staaten verbietet. Nun muss ein Gericht im Bundesstaat Oregon darüber entscheiden, ob ein des Missbrauchs beschuldigter Priester in einem "Dienstverhältnis" zum Vatikan steht. Wenn ja, können Richter künftig Kardinäle und sogar den Papst als Zeugen laden - ein Albtraum für den Vatikan und dessen obsessive Geheimniskrämerei. "Wir haben das eiserne Tor aufgebrochen" , jubelt hingegen US-Anwalt Jeff Anderson.

Mit der Justiz macht die Kirche derzeit auch in Belgien unangenehme Erfahrungen: Wie der Standard berichtete, musste am Mittwoch Kardinal Godfried Danneels eine zehnstündige Befragung über sich ergehen lassen. Es besteht der Verdacht, dass der 77-Jährige, der früher sogar einmal als Papst-Anwärter gegolten hatte, sexuellen Missbrauch vertuscht haben könnte. Er soll laut Medienberichten auch über geheime Unterlagen im Fall des Kinderschänders Marc Dutroux verfügt haben.

Bischöfe kritisieren Papst

Aber sogar der Papst selbst steht im Mittelpunkt von Vorwürfen. In der New York Times beschuldigten Bischöfe aus Irland, Großbritannien, USA und Australien Joseph Ratzinger, noch als Kardinal die Aufklärung von Missbrauchsfällen behindert zu haben. Bei einem Treffen mit 17 Bischöfen im April 2000 habe Ratzinger deren Drängen auf rasche Maßnahmen mit "Belanglosigkeiten" quittiert, erinnert sich Sydneys Altbischof Geoffrey Robinson.

In Italien sorgt zudem ein Ermittlungsverfahren gegen Kurienkardinal Crescenzio Sepe für Aufregung. Dem umtriebigen Erzbischof von Neapel wird Korruption bei der Verwaltung des immensen Immobilienvermögens der Kongregation für Evangelisierung vorgeworfen - Schätzwert neun Milliarden Euro. Der römische Rechnungshof fordert die Rückerstattung eines Staatsbeitrags von fünf Millionen Euro. Angesichts des gewaltigen Medienechos verschanzte sich der Vatikan nicht wie gewohnt hinter Immunität und kanonischem Recht. In einem verschnörkelten Kommuniqué gestand man Fehler ein, machte dafür jedoch "Immobilienschätzungen auswärtiger Experten" verantwortlich. Um weiteren Skandalen vorzubeugen, bastelt man an einer Reform der päpstlichen Immobilienverwaltung. Die anrüchige Vatikanbank IOR soll reformiert, anonyme Konten untersagt werden. Die für Kardinäle, Bischöfe und Orden obligatorische Eröffnung von Konten soll aufgehoben werden.

Abgesehen von den auch in Österreich massiv aufgetauchten Missbrauchsvorwürfen gegen die Kirche geriet die Alpenrepublik wegen innerkirchlicher Machtkämpfe in internationale Schlagzeilen. Auf der Titelseite von La Repubblica kritisierte der angesehene Theologe Vito Mancuso die vom Papst inszenierte "Zwangsversöhnung" der Kardinäle Christoph Schönborn und Angelo Sodano als "Exempel römischer Machtpolitik" . Für Schönborns Vorwurf, Sodano habe sich im Fall Groër der Vertuschung schuldig gemacht, habe Ratzinger "völliges Desinteresse" gezeigt.

Wie sehr die Skandale auf das innerkirchliche Gleichgewicht ausstrahlen, demonstriert die Feststellung des Vatikan-Sprechers Federico Lombardi: Die gefährlichste Bedrohung, warne Benedikt XVI, erfahre die Kirche "durch Egoismus, Eitelkeit, Selbstsucht und Geldgier". (Gerhard Mumelter/DER STANDARD, Printausgabe, 9.7.2010)

Zuletzt geändert am 09­.07.2010