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Veröffentlicht am 23­.07.2010

23.7.2010 - Badische Zeitung

Katholische Kirche: tiefe Risse zwischen Anspruch und Tun

Podiumsdiskussion in Freiburg

Wie spricht man mit jemandem, der nicht weiß, ob er einem noch glauben kann? Wie mobilisiert man Vertrauen zu einer Leitungsebene, die sich jeder Kontrolle entzieht und seit dem Missbrauchsskandal massiv in Misskredit geriet? Versucht wurde das in Freiburg.

Das Schlusswort bei der Veranstaltung am Donnerstag in der Katholischen Akademie war ehrlich: "Ich habe weiterhin ein ungutes Gefühl hinsichtlich der Bischöfe, ob die sich nicht selbst als Opfer sehen", sagte Stefan Orth, Redakteur bei der "Herder Korrespondenz". "So schmerzhaft die Selbsterkenntnis ist, es kann eigentlich nicht schmerzhafter sein als das, was die Opfer erlebt haben."

Der schmerzhaften Schärfe dieser (und anderer) Formulierungen stellten sich nicht nur die Theologin Johanna Rahner (Bamberg), sondern auch Weihbischof Paul Wehrle und Generalvikar Fridolin Keck. Und glaubwürdigerweise war das Forum ein solches: keine Podiumsveranstaltung und kein Vortrag. Nach kurzen Impulsen von Akademiedirektor Thomas Herkert und Stefan Orth wurden die Mikrofone freigeschaltet, Thema offen. Dass das gutging, spricht für alle Beteiligten.

Schon vor dem Missbrauchsskandal ist die Zahl der Katholiken in Deutschland gesunken, traten vermehrt Gläubige aus, verringerte sich die Identifikation derjenigen, die noch Kirchenmitglieder sind. Vielleicht wurde das Thema Missbrauch von den knapp 170 Menschen in der Akademie ja deshalb nur gelegentlich berührt – die Probleme liegen viel tiefer.

Der Mensch muss sichtbar sein, nicht nur das Amt

Glaubwürdig nämlich finden viele Menschen ihre Kirche schon lang nicht mehr. Beim Eintreten für Frauenrechte, Transparenz, Demokratie und Gewaltenteilung ist die Kirche vorbildlich – nur im eigenen Betrieb ist alles anders. Beim Zölibat und bei der Sexualmoral wird besonders beharrlich totgeschwiegen, dass Ideal und Realität auseinanderklaffen. Wenn sittliches Versagen zum unentrinnbaren Schicksal wird und "Sünde" zum Normalfall – bereitet das nicht den Boden für blinde Flecken in viel schlimmeren Fällen?

Wer eine perfekte Kirche fordert, fördert Heuchelei. Das bedeutet nicht, das Ideal aufzugeben. Es wäre aber wohl hilfreich, wenn die Menschen, die dieses Ideal nach außen vertreten, weniger beanspruchen würden, es zu verkörpern. Das ist eine Frage des Auftretens, äußerlich wie in der Haltung. Den Maßstäben Jesu kann kein Mensch im Diesseits gerecht werden, noch weniger ein riesiger Apparat wie die Kirche. Zur Glaubwürdigkeit gehört, dass auch bei Amtsträgern der sich mühende Mensch sichtbar bleiben sollte, nicht nur das lange Gewand.

Keck und Wehrle waren persönlich da und wurden bis ins Persönliche konfrontieren: Mit Briefen, die sie geschrieben oder immer noch nicht beantwortet haben, mit Missständen in Pfarreien, bei der Gemeindereform. Vertrauen, das wurde deutlich, schwindet schon bei mangelnder Kommunikation. Manchmal hilft eine Rückmeldung, dass man überlastet ist.

Auch ganz grundsätzlich ist es den Laien in der katholischen Kirche aber selten vergönnt, Beachtung zu finden, gehört zu werden, Antwort zu bekommen. Zwar sollten neben dem Lehramt und der Theologie auch die Gläubigen den Kurs der Kirche bestimmen – aber das ist in der Vergangenheit zunehmend unter den Tisch gefallen. "Der Glaubenssinn der Gläubigen wird weder wahrgenommen noch repräsentiert", sagte Rahner. Oft gilt das auch für die eigenen Bischöfe, die lieber die Meinung Roms nach unten transportieren, als oben für die Anliegen ihrer Schäfchen zu kämpfen. Die evangelische Kirche macht manches besser – wobei Rahner fand, dass in der katholischen nichts dagegen spreche aufzuholen.

Weihbischof Wehrle erläuterte zwar, wie der Priester vor dem Gottesdienst zunächst die Albe anlege und damit zuallererst Teil der getauften Gemeinde sei. Ein Teilnehmer widersprach ihm aber heftig: ",Brüder und Schwestern‘ – mit denen setzt man sich doch auch mal zusammen! Da hilft es doch nicht zu sagen, die Albe hat diese Bedeutung und die Stola jene – da fängt die Glaubwürdigkeit doch schon an!" Immerhin konnte er es Wehrle direkt sagen, nun, da sich beide zusammengesetzt hatten.

Planbare Glaubwürdigkeit gibt es nicht

Wo mit taktischen Mitteln versucht wird, Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen, wo es einen Plan dazu gibt, da ist er schon gescheitert. Sich an einen Tisch zu setzen, sich in die Karten schauen zu lassen: Das könnte zumindest ein Anfang sein. Orth war am Ende mit seiner Vorsicht nicht allein. Und Herkert hatte Recht, als er sagte: "Da muss noch mehr kommen. Das wird darüber entscheiden, ob das nun eine Alibiveranstaltung war oder nicht." Wenn sich Wege fänden, Veranstaltungen wie diese auf verschiedenen Ebenen zur Routine werden zu lassen, würde aber wohl wenigstens das gegenseitige Verständnis wachsen. Ohne das ist Vertrauen nicht möglich.

http://www.badische-zeitung.de/katholische-kirche-tiefe-risse-zwischen-anspruch-und-tun

Zuletzt geändert am 24­.07.2010