5.8.2010 - Rheinischer Merkur
PRIESTERMANGEL: Allein der Glaube?
VON WOLFGANG THIELMANN
Nein, unmittelbar kann die katholische Kirche nichts tun gegen den immer noch wachsenden Priestermangel. Neben vielen, lange schon diagnostizierten und kontrovers diskutierten Ursachen dafür, dass immer weniger junge Männer die Ausbildung zum Geistlichen antreten, kam mit Wucht nun die Missbrauchsdiskussion, die Erzbischof Robert Zollitsch, der Vorsitzende der DeutschenBischofskonferenz, zu Recht als die tiefste Krise der Kirche seit Kriegsende charakterisiert. Umfragen haben einen Absturz des Vertrauens bis tief in die eigene Mitgliedschaft hinein sichtbar gemacht. Mit den Folgen wird die Kirche noch lange zu kämpfen haben. Zum Abschluss des von Papst Benedikt XVI. ausgerufenen Priesterjahres offenbart die Krise immer stärker ihr Ausmaß und lässt harte Folgejahre ahnen. Nirgendwo ist die Verunsicherung wohl so stark spürbar wie unter den Trägern des Amtes selbst. Zugleich lasten auf ihnen Erwartungen, denn im Priester verkörpert sich die Kirche am Ort.
Die Zahl der Neubewerber für das Priesteramt hat in Deutschland mit 150 – so viel, wie allein im Erzbistum Köln in guten Jahren in den Dienst gingen – einen historischen Tiefstand erreicht, und niemand weiß, ob es nicht noch weniger werden. Seit zwölf Jahren ist die Zahl der Priester um 20 Prozent geschrumpft, das ist doppelt so viel wie der Rückgang des Anteils von Katholiken an der Bevölkerung.
Die Taufen gingen in diesem Zeitraum um 30 Prozent zurück, die katholischen Trauungen sogar um 45 Prozent. Der Altersdurchschnitt der 10.500 aktiven Priester, darunter 750 aus dem Ausland, liegt in beunruhigenden Bereichen. Und der Rückgang wird sich fortsetzen. In einer Generation – so sagen zudem Erhebungen aus der evangelischen Kirche, die sich in etwa auf die katholische übertragen lassen – wird die Kirche vor allem durch die demografische Entwicklung ein Drittel der jetzigen Mitgliederstärke verlieren. Das bedeutet zugleich, dass sich ihre Finanzkraft halbiert. Zwei Quellen des Priesternachwuchses scheiden aus: die Jugendbewegungen und die früher in der Regel kinderreichen katholischen Familienmilieus.
Dabei sind Priester und Pfarrer unverzichtbar, in den Kirchen ebenso wie in der Gesellschaft. Auch wenn Medien nach Bischöfen fragen: Durch Pfarrer ist die Kirche am Ort präsent und kann unter den Menschen wirken. Gerade in der Zeit religiöser Pluralisierung, in der die Versuchung zum Fundamentalismus wächst, wird die Rolle von Geistlichen wichtiger, die Menschen durch ihre Biografie begleiten und Gemeinschaft stiften, die Extremen vorbeugt. Noch in den Pfarrerserien der Fernsehsender spiegelt sich ein Urvertrauen gegenüber den Trägern dieses Amtes. Sie gelten als eigene Instanz, die nicht von Interessen geleitet handelt, als ein Gewissen der Bürgergesellschaft. In Umfragen genossen Pfarrer nach Ärzten das höchste Berufsprestige. Die Anzeichen deuten darauf hin, dass es auch durch die Missbrauchsskandale nicht irreparabel beschädigt ist. Über Pfarrer kann sich dort Vertrauen regenerieren, wo es der Kirche verloren gegangen ist. Doch die Hürden zum Amt sind hoch. Wer sich heute mit dem Gedanken trägt, Priester zu werden, muss sich einem härter werdenden Auswahlverfahren unterziehen.
Er muss sich mit seiner Ehelosigkeit und seiner Sexualität auseinandersetzen und mit der Frage, wie weit der Glaube ihn trägt, an dem sein Amt und seine Glaubwürdigkeit hängen. Und er hat die Aussicht, später für 15 000 Menschen zuständig zu sein, neunmal so viel wie seine evangelischen Kollegen, die im Schnitt 1700 Menschen betreuen und oft den Eindruck gewinnen, schon dieser Zahl nicht gerecht zu werden.
Der Alltag fordert Managerqualitäten von ihm und eine Trainerrolle in einem Team, ohne das er in seinem Amt verloren ist. Die Tradition erwartet einen Seelsorger, der für den Einzelnen da ist und Zeit für ihn aufbringt. In der Ausbildung und später in der Gemeinde prallen diese Erwartungen aufeinander. Die Wirklichkeit ist, dass er von Messe zu Messe hetzt, in denen seine Präsenz nicht delegiert werden kann. Und er ist auf dem Weg, gesellschaftlich ein Exot zu werden. Jahrhundertelang versprach das Amt Achtung und Anerkennung. Davon bleibt nicht viel übrig. Das Bewusstsein der Berufung durch Gott wird zur stärksten Stütze auf dem Weg zum Priesteramt. Insofern spiegelt sich in dessen Krise der Umbruch der gesamten Kirche.
Es ist richtig, dass sie in dieser Situation nach der Tradition fragt. Deren Tragekräfte sind nötig. Doch die Tradition muss in die neue Situation gestellt werden, in der Glaube und Kirchenmitgliedschaft sich zur Entscheidung des Einzelnen entwickeln. Sonst wird sie zum Traditionalismus, der die wachsenden Fundamentalismen der Gegenwart nur um eine Variante bereichert.
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Zuletzt geändert am 05.08.2010