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Veröffentlicht am 12­.10.2010

12.10.2010 - KNA

Soziologe: Priesterbild begünstigte Schweigen über Missbrauch

Bonn (KNA) Das langjährige Schweigen über sexuellen Missbrauch durch Geistliche hängt nach Ansicht des Soziologen Franz-Xaver Kaufmann auch mit dem katholischen Priesterverständnis zusammen. Der früher in Bielefeld lehrende Wissenschaftler verwies am Montagabend in Bonn auf die katholische Lehre, wonach das Weihesakrament dem Priester ein unauslöschliches Prägemal verleiht. Diese Sakralisierung des Priesters habe dazu beigetragen, dass über sexuelle Missbrauchsfälle nicht gesprochen worden sei. Für die Kirche, die Opfer und deren Eltern habe der Satz gegolten: «So etwas sagt man von einem Priester nicht.»

Kaufmann kritisierte auch den Umgang der Kirche mit Schuld.

Sämtliche Vergehen gegen das sechste Gebot würden unterschiedslos als Todsünden verstanden, ohne zwischen Masturbation, vorehelicher Sexualität, Ehebruch oder sexuellem Missbrauch zu differenzieren.

Die Vergehen würden als Verstöße gegen die Ordnung Gottes verstanden und die Folgen für den Nächsten theologisch ausgeblendet. Zwar dränge ein guter Beichtvater auch auf Wiedergutmachung; im Falle des sexuellen Missbrauchs funktioniere dies aber nicht.

Der Leiter des Berliner Canisiuskollegs, der Jesuit Klaus Mertes, betonte die Verantwortung der Kirche als Institution im Missbrauchsskandal. Die Kirche sitze zu Recht auf der Anklagebank, weil die Opfer mit ihren Beschwerden über lange Zeit nicht ernst genommen worden seien. «Missbrauch ist nicht nur die Missbrauchstat, sondern auch das Weghören.» Damit stehe die Kirche auf der Seite der Täter. Manchen Bischöfen und vielen Katholiken falle diese Sicht aber schwer, da sie darin eine tiefgehende Kränkung und eine Verletzung des Selbstbildes der Kirche sähen.

Der Kirche als Angeklagter steht es nach Ansicht von Mertes aber nicht zu, den Missbrauchsopfern helfen zu wollen. Die wollten gar nicht, dass die Kirche mit dem Gestus der Hilfe komme. Vielmehr gehe es ihnen darum, dass die Kirche Verantwortung für ihre Schuld übernehme und sich mit den Forderungen der Opfer etwa nach Entschädigung auseinandersetze.

Laut Mertes reicht es nicht aus, dass die Kirche nur «Entschuldigung» sagt. Die Opfer verlangten einen spürbaren Beitrag der Sühne und Genugtuung in materieller Form. Die von den Jesuiten beschlossene Entschädigungszahlung in Höhe von 5.000 Euro pro Opfer sei eine erste kleine hilflose Geste, sich bewegen zu wollen. Der Jesuit sprach sich dafür aus, dass die katholische Kirche die Opfer mit einem einheitlichen Betrag entschädigt und keine Staffelung vornimmt. Andernfalls drohe die Gefahr, dass die Betroffenen in Opfer erster und zweiter Klasse eingeteilt würden.

Nach Ansicht Kaufmanns muss die Kirche den Missbrauchsskandal spirituell aufarbeiten. Sühnewallfahrten sowie Gebete für Opfer, Täter und deren Vorgesetzte würden durchaus ein Zeichen setzen.

Kaufmann und Mertes äußerten sich bei einer Veranstaltung zum Thema «Vom Umgang mit Schuld in der Kirche».

Zuletzt geändert am 15­.10.2010