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Veröffentlicht am 13­.12.2010

13.12.2010 - Die Welt

Hauptstadt-Katholik verzweifelt gesucht

von Gernot Facius

Der fast 75-jährige Kardinal Sterzinsky will abtreten. Die Anforderungen sind enorm groß, weil der Posten mit viel Macht verbunden ist.

Der Papst muss fürchten, in Deutschland wieder den Vorwurf der "Entmündigung" heraufzubeschwören

Auf dem Schreibtisch des Papstes liegt ein Brief aus Berlin: Erzbischof Kardinal Georg Sterzinsky hat Benedikt XVI. den Rücktritt angeboten. Sterzinsky vollendet am 9. Februar das 75. Lebensjahr. Er ist krank, er wünscht sich die Emeritierung. Eine römische Reaktion auf das Schreiben ist bislang ausgeblieben. Das Kirchenoberhaupt wird in der zweiten Septemberhälfte zu seinem ersten offiziellen Besuch in der Bundeshauptstadt erwartet. Muss Sterzinsky deshalb im Amt bleiben, oder wird es schon zur Papst-Visite einen neuen Berliner Oberhirten geben? Das ist eine der Fragen, die sich der Kirche derzeit stellen. Bischöfe treten in der Regel mit 75 Jahren in den Ruhestand, für Bischöfe im Kardinalsrang liegt die Altersgrenze bei 80. Der gebürtige Ostpreuße Sterzinsky hatte 1989 die Nachfolge des von Johannes Paul II. nach Köln "transferierten" Schlesiers Joachim Meisner angetreten. Meisners Amtszeit war im Dezember 2008 verlängert worden. "Joachim, du bleibst!" bedeutete ihm sein Freund im Apostolischen Palast. Inzwischen steht Meisner im 77. Lebensjahr und ist nach eigenen Angaben damit beschäftigt, sein "geistliches Testament" zu machen. Weitreichende personelle Veränderungen zeichnen sich ab.

Der künftige Hauptstadt-Bischof, so viel scheint nach "Welt"-Informationen sicher, soll von außen kommen. Gesucht wird ein kirchenpolitisch wie spirituell profilierter Geistlicher, administrativ erfahren und fähig, Brücken zu bauen zwischen den unterschiedlichen Ausprägungen von Katholizismus in einer mehr und mehr säkularisierten Umwelt. 2003 stand das Erzbistum mit nur rund 390 000 Katholiken, verteilt auf Berlin, Brandenburg und Vorpommern, finanziell am Abgrund. Die Krise konnte nur dank der Geldspritzen aus anderen Diözesen überwunden werden, die Zahl der Pfarreien wurde drastisch verringert, der Unmut über die "Verschlankung" ist noch nicht abgeklungen. Der Sterzinsky-Nachfolger muss wieder ein "Integrator" sein. Außenseiter wie der von traditionalistischen Kreisen auf das Spekulationskarussell gesetzte Wallfahrtsdirektor Wilhelm Imkamp (59) von Maria Vesperbild in der Diözese Augsburg, der schon bei der Nachfolgeregelung für Walter Mixa nicht zum Zuge kam, haben geringe Chancen.

Anders als in Bayern hat der Papst in Berlin kein freies Ernennungsrecht. Hier gilt das Preußenkonkordat von 1929. Es schreibt vor, dass sowohl das Berliner Domkapitel als auch alle anderen Diözesanbischöfe im Geltungsbereich des Konkordats Listen von geeigneten Kandidaten nach Rom schicken: "Unter Würdigung dieser Listen benennt der Heilige Stuhl dem Kapitel drei Personen, aus denen es in freier, geheimer Abstimmung zu wählen hat." Ein Abweichen von dieser Regel würde einen Skandal heraufbeschwören. Daran kann Rom nach den Kölner Wirren 1988, als Johannes Paul II. Joachim Meisner gegen Widerstand im Domkapitel durchsetzte, nicht gelegen sein. Der Fall war Auslöser einer breiten Protestbewegung von Theologen gegen die "Entmündigung" durch Rom.

Wer immer Sterzinsky beerbt, er kann damit rechnen, bald als Kardinal in den Senat des Papstes berufen zu werden. Als Hauptstadt-Hirte zählt er fast automatisch zu den Kandidaten für den Vorsitz in der Bischofskonferenz, wenn 2014 die Amtszeit von Erzbischof Robert Zollitsch endet. Der Neu-Kardinal Reinhard Marx (München), der als wahrscheinlicher Nachfolger gilt, hätte einen Mitbewerber.

Sterzinsky ist nicht der einzige deutsche Diözesanbischof, der im nächsten Jahr dem Papst den Rücktritt anbieten muss. Am 16. Mai feiert Kardinal Karl Lehmann (Mainz) seinen 75., am 21. Oktober Joachim Reinelt (Dresden). Die Beziehungen zwischen Lehmann und dem Kirchenoberhaupt waren immer wieder gespannt. Als Kurienkardinal Joseph Ratzinger betrieb der heutige Papst den Ausstieg der deutschen Bischöfe aus dem System der gesetzlichen Schwangerenkonfliktberatung, Lehmann hingegen hat bis zuletzt für den Verbleib gekämpft.

Ratzinger, heißt es, habe lange die Erhebung des Mainzer Bischofs in den Kardinalsstand verhindert. Bleibt er ebenfalls über die Altersgrenze hinaus an der Spitze seiner Diözese? Der Episkopat ist inzwischen weiter verjüngt. Bischöfe wie Franz-Josef Overbeck (46) aus Essen, Stephan Ackermann (47) aus Trier und der Limburger Franz-Peter Tebartz-van Elst (51) stehen für größere Aufgaben bereit. Tebartz-van Elst wird wegen seiner theologischen und kirchenpolitischen Nähe zu Meisner als möglicher Nachfolger des Kölner Erzbischofs genannt.

Zudem fällt, wenn ein Stuhl vakant wird, stets der Name des Papst-Sekretärs, Prälat Georg Gänswein (54). Auch der Eichstätter Gregor Maria Hanke (56), ein Ex-Benediktiner-Abt, ist noch nicht am Laufbahnende angelangt. Hanke hat, was seine römischen Förderer mit Genugtuung registriert haben, vor den "vielen selbst ernannten Innenarchitekten" gewarnt, die einen "Umbau" der Kirche betrieben, mit Abschaffung des Zölibats und Einführung eines Frauendiakonats - eine Spitze gegen den von Erzbischof Zollitsch eingeleiteten Dialogprozess.

http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article11593970/Hauptstadt-Katholik-verzweifelt-gesucht.html

Zuletzt geändert am 15­.12.2010