7.4.2011 - Südwest-Presse
Priestermangel facht Debatte an
Dass er sich von seiner Freundin getrennt hat, um Priester zu werden, hat Kilian Krug nie bereut, erzählt der 30-Jährige. Doch viele seiner Kommilitonen denken anders über den Zölibat, der sie letztlich auch davon abhalte, sich auf die Weihe vorzubereiten. Im kommenden Jahr wird Krug deshalb sogar voraussichtlich der einzige sein, der in der gesamten Diözese Rottenburg-Stuttgart zum Priester geweiht wird. Einen so schmalen Jahrgang gab es noch nie.
Trotzdem glaubt Krug nicht, dass es plötzlich viel mehr junge Priester geben würde, wenn sie neben ihrem Amt eine Familie haben dürften. "Wichtiger ist, dass man sich mit dem Glauben beschäftigt und irgendwann den Ruf Gottes hört", sagt der 30-Jährige.
Doch die Zahlen sind eindeutig. Immer mehr Menschen kehren der katholischen Kirche den Rücken - und immer weniger junge Männer wollen Priester werden. Viele Gemeinden müssen inzwischen ohne einen Geistlichen auskommen. In der Diözese Rottenburg-Stuttgart sank die Zahl der Priester in den vergangenen 20 Jahren um ein Drittel auf 651. Im Erzbistum Freiburg hat sich die Zahl der Priesterweihen fast halbiert: Zwischen 1990 und 2000 waren es 155 Neupriester, zwischen 2000 und 2010 nur noch 85.
Im Kampf gegen den Nachwuchsmangel hat die Kirche viele Initiativen gestartet, 2009/2010 rief die Kirche ein "Priesterjahr" aus. In den Diözesen Freiburg und Rottenburg-Stuttgart gab es einen 30-tägigen Gebetsmarathon, bei dem die Gläubigen Gott um mehr geistliche Berufungen baten. Gebracht haben diese Aktionen wenig.
So wird der Ruf nach Reformen an der Basis immer lauter. Dass Priester zu einem Leben ohne Familie und Partnerin verpflichtet werden, könnten viele nicht verstehen, sagt Johannes Warmbrunn, als Diözesanratssprecher oberster Vertreter der katholischen Laien in Württemberg. Auch dass Frauen vom Priesteramt ausgeschlossen sind, sorgt für Diskussionen. Zuletzt hatten 260 Theologie-Professoren mit einem Vorstoß in diese Richtung Aufsehen erregt.
Bei den Bischöfen stoßen solche Forderungen auf wenig Gegenliebe. Auch die jüngst gestartete Dialoginitiative werde daran nichts ändern, heißt es bei der Kirchenleitung. "Mag jemand im Ernst glauben, dass die Verwirklichung der hier aufgelisteten Reformforderungen zur erwünschten Blüte von Glauben und Kirche führt?", antwortete der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch den 260 Theologen.
Auch in Rottenburg will Bischof Gebhard Fürst nicht am Zölibat (der Ehelosigkeit von Priestern) rütteln. "Er bedeutet sicher eine Hürde - das war er in anderen Zeiten aber auch", sagt ein Bistumssprecher. "Dass Männer diese Hürde heute seltener überspringen, dürfte auch an einem mangelnden oder fehlenden Verständnis für diese Lebensform liegen." Die Gründe für den Priestermangel seien vielfältig: "Die Zeit der Großfamilien, aus denen Priester früher kamen, ist vorbei", sagt der Sprecher. "Darüber hinaus ist die gesellschaftliche Relevanz und Akzeptanz der Kirche schwächer geworden." Zwar hat die Diözese alle unbesetzten Priesterstellen mit Diakonen, Pastoral- oder Gemeindereferenten besetzt. Diese können den Mangel an Priestern aber nicht ausgleichen. Denn nur Priester dürfen die Eucharistiefeier leiten, die Beichte abnehmen oder Kranke salben.
In vielen Gemeinden gibt es inzwischen statt der Heiligen Messe mit der Eucharistie oft nur Wortgottesdienste. "Das halte ich persönlich für kritisch", sagt Warmbrunn: "Die Eucharistiefeier hat eine sehr hohe Bedeutung für katholische Christen, weil sie für die Gegenwart Gottes steht." Warmbrunn muss in seiner Sankt-Augustinus-Gemeinde in Esslingen schon seit 13 Jahren ohne eigenen Priester auskommen. "Bald werden wir für acht Gemeinden in Esslingen gerade noch drei Priester haben." Im Erzbistum Freiburg ist das Zahlenverhältnis zwischen Seelsorgern und Gemeindegliedern nach Auskunft von Michael Gerber vom Priesterseminar weitgehend unverändert geblieben. Denn die Kirche setze verstärkt hauptamtliche Diakone sowie Gemeinde- und Pastoralreferenten in der Seelsorge ein. Zudem sinke auch die Zahl der Katholiken. Rund 180 000 Katholiken in Deutschland haben 2010 nach Recherchen der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" die Kirche verlassen. Das waren gut 50 000 Austritte mehr als 2009.
Die Erfahrung von Gerber ist, dass vor allem das Vorbild entscheidet. Deshalb müssten Priester mögliche Kandidaten direkt ansprechen. "In diese Richtung werden wir auch in den kommenden Jahren verstärkt investieren." So habe die Erzdiözese trotz der Debatte um Kindesmissbrauch im vergangenen Krisenjahr eine zweistellige Zahl von Studienanfängern. Das entspricht in etwa den Vorjahren.
http://www.swp.de/ulm/nachrichten/suedwestumschau/Priestermangel-facht-Debatte-an;art4319,913925
Zuletzt geändert am 08.04.2011