19.5.2011 - Publik-Forum
Der Intrigantenstadl
Der Vatikan liegt in Rom, dort leben viele Italiener – eine banale Feststellung. Doch es ist keineswegs überflüssig, an sie zu erinnern, gerade wenn es um den päpstlichen Hof geht. Nicht so sehr an der Spitze der Kurie, jedoch im Apparat bestimmen Italiener die Musik, prägen Rom und seine Art zu leben und zu denken das Bild, das die Kurie nach außen vermittelt. Umgekehrt nimmt die Kurie keine Krise in der Welt so richtig wahr, wenn sie nicht in Rom zu spüren ist.
Doch jetzt ist es so weit. Die Kirchenkrise hat – auf italienische Weise – die Kirchenspitze erreicht. Wer sich bei Kurienmitarbeitern in den Trattorien und Ristoranti nicht weit vom Petersplatz entfernt, aber auch in privaten Gesprächen mit Römern, die sich noch für Papst und Kirche interessieren, nach der aktuellen Lage im Vatikan erkundigt, bekommt fast nur noch eine Antwort: »Es ist schlimm.« Oder ein Achselzucken illustriert das Desinteresse an Papst und Kurie.
So etwas war noch vor wenigen Jahren undenkbar. Vatikanberichterstattung galt als wichtig. Und weil so viel über die kleinen und wenigen großen Ereignisse um den Pontifex herum geschrieben wurde, hielten sich Chronisten und Kurie für bedeutsamer, als sie sonstwo auf der Welt wahrgenommen wurden.
Ein Zeitungskollege nennt ein Beispiel: Bis zur Frühzeit von Benedikt XVI. stand mindestens einmal im Monat eine größere Auseinandersetzung über ein Kirchenthema in seinem Blatt. Heute muss der Vatikan-Korrespondent lange zurückdenken, bis er fündig wird. Das Blatt ist eine der angesehensten Zeitungen Italiens: La Repubblica aus Rom. In den anderen Zeitungen sieht es nicht besser aus. Das hat nichts mit Kirchenfeindlichkeit zu tun. »Kirche verkauft sich nicht mehr gut, die Quote stimmt nicht mehr«, sagen Journalisten.
Postmoderne? Nie gehört!
Gleichgültigkeit breitet sich aus. Dies hat viele Gründe – und wenig mit Glauben, jedoch viel mit Glaubwürdigkeit zu tun. Die Missbrauchsfälle liefern lediglich eine Erklärung. Die vom Papst so sehr beklagte Säkularisierung spielt nur eine untergeordnete Rolle. Der angesehene Buchautor und Leitartikler des Corriere della Sera, Massimo Franco, ortet die Ursache der Krise in einer Rückständigkeit der katholischen Kirche. Sie sei gerade erst in der Moderne angekommen, schreibt Franco in einem gerade erschienenen, recht nostalgischen Buch mit dem Titel »C’era una volta un Vatican«, zu Deutsch: »Es gab einmal einen gewissen Vatikan«. Doch die Welt habe die Moderne längst hinter sich gelassen und lebe bereits in der Postmoderne.
Der Unterschied wird schnell klar, wenn man das Buch des konservativen Autors liest, der dem Opus Dei zugerechnet wird. Auf die Säkularisierung der Moderne habe die Kirchenspitze noch keine Antwort gefunden. Die Postmoderne aber, die in der offenen Gesellschaft herrsche und sich im freien Wettbewerb der Ideen und Weltanschauungen ausdrücke, sei ihr völlig fremd.
In der Tat: Mit diesen Entwicklungen können weder Papst noch Kurie viel anfangen – auch nicht Massimo Franco selbst. Sie sehen sich in Konkurrenz mit anderen Religionen, Ideologien und Lebensentwürfen, über die sie nicht mehr bestimmen können. Dieses Übel hat für den Vatikan einen Namen: »Diktatur des Relativismus«.
Diese postmodernen Tendenzen haben die Kurie so lange kalt gelassen, wie sie sich ihrer treuen Italiener sicher sein konnte. Doch auf Bischofsworte hören immer weniger Italiener, insbesondere dann nicht, wenn die Hierarchen Partei ergreifen, wo sie besser geschwiegen hätten, oder schweigen, wo sie laut hätten anklagen müssen. Nichts hat nach den Missbrauchsskandalen der katholischen Kirche in Italien so geschadet wie das diskrete Schweigen des Papstes und die halbherzige Kritik der Italienischen Bischofskonferenz an Silvio Berlusconis Entgleisungen. Dieser »Bunga-Bunga«-Regierungschef ist im Vatikan immer noch willkommener als eine linksdemokratische politische Alternative.
Italiens Ex-Ministerpräsident Romano Prodi kann ein Lied davon singen. Der Reformkatholik an der Spitze der Vor-Berlusconi-Regierung wurde vom Vatikan geschnitten. Die Kurie zog den schillernden Macho-Populisten Berlusconi dem Linkskatholiken vor. Sie verlor damit politischen Einfluss. Die Papstkirche hat sich auf den Weg zur Großsekte gemacht.
Nicht regierungsfähig
Den Niedergang in Italien muss Papst Benedikt XVI. als Bischof von Rom verantworten. Seine intellektuellen Höhenflüge erreichen hier kaum jemanden, auch wenn sein Jesus-Buch in Postämtern neben Briefmarken und Kochrezept-Heften massenhaft angeboten wird. »Der Papst ist nicht regierungsfähig«, lautet die häufigste Erklärung. Das Beherrschen der Kurie überlässt er seinem Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone. Und der ist zu allem fähig, nur nicht zum Regieren. Die Nummern eins und zwei im Vatikan bilden ein schönes Duo.
Selbst der Vatikan-nahe Massimo Franco hält dem Kardinalstaatssekretär Mangel an Diplomatie und Konzeptionslosigkeit vor. Seine Kraft erschöpfe er in Reisen und im Streit mit der Italienischen Bischofskonferenz, die er gerne befehligen würde, wenn nicht deren Vorsitzender, Kardinal Angelo Bagnasco, Widerstand leisten würde. Das ganze Machtgezerre nur, um sich günstige Ausgangspositionen für die nächste Papstwahl zu schaffen. Denn unausgesprochen denken die meisten Kardinäle in Rom an das nächste Konklave. Eine der ersten Fragen, die mir beim jüngsten Besuch in Rom gestellt wurde, lautete: »Weißt du etwas über den tatsächlichen Gesundheitszustand des Papstes?« Dahinter steckte alles andere als Anteilnahme.
Bertones Kampagne wird sogar mit öffentlicher Denunziation ausgetragen. Die dem Berlusconi-Bruder Paolo gehörende Mailänder Tageszeitung Il Giornale beschuldigte den Chefredakteur der Tageszeitung der italienischen Bischofskonferenz Avvenire, Dino Boffo, homosexueller Übergriffe. Die Wirkung war gewaltig. Boffo trat zurück. Später stellten sich die Vorwürfe als unhaltbar heraus. Strippenzieher der Affäre soll Kardinalstaatssekretär Bertone gewesen sein.
Filter gegen Reformen
Wie sehr die Kurie einem intriganten Vatikanstadl gleicht, illustriert die Lesart eines Kürzels, das Insider neu ernannten Kurienfunktionären geben. Es lautet SdB und bezeichnet eigentlich ein Mitglied des Salesianerordens, dem auch Bertone angehört. Jetzt lautet es aber ausgeschrieben »Sono di Bertone«, also: »Ich bin einer von Bertone.« Ein Synonym für die neue Seilschaft um den zweiten Mann an der Kirchenspitze.
Auffällig viele SdB rechnen Vatikanbeobachter dem Opus Dei zu, das sich, was seine Mitglieder angeht, sehr bedeckt hält. Diese Machtgruppen haben nach dem Eindruck des gestandenen Vatikanisten Giancarlo Zizola einen »dichten Filter gegen Reformen« eingezogen. Zusammen mit anderen restaurativen Machtgruppen verhindern sie auf allen Ebenen selbst kleine Reformen. So hat zum Beispiel das Reformmanifest »Aufbruch 2011« der über 300 deutschsprachigen Theologieprofessoren keinerlei Chancen, in der römischen Kurie ernst genommen zu werden. Abschaffung des Zölibats, Frauen im Priesteramt, mehr Beteiligung der Laien – alle diese Forderungen führen nach der Überzeugung der Reformgegner zum endgültigen Zerfall der Kirche. Da helfe nur noch die Restauration der auf Gesetz und Ordnung gegründeten traditionellen Männerkirche.
Zweifel erlauben die Römer nicht. Sie beanspruchen die richtige Antwort. Mit kritischen Katholiken solle sich der Papst nicht beschäftigen. Deshalb werden ihm manche Informationen gar nicht erst auf den Schreibtisch gelegt, siehe Leugnung des Holocausts durch den Piusbruder und Bischof Richard Williamson. Das geht bis zu selektierten Presseschauen. Dem Papst wird aus den Medien nur geliefert, was dem Interesse der Kurie dient. Kuriale tun dann so, als ob der beratungsresistente Benedikt XVI. es nicht anders gewollt habe.
Vatikanische Taktik zeigt sich auch bei Wahlen, wie etwa beim italienischen Referendum über die künstliche Befruchtung, bei dem die Kirchenleitung zur Nichtwahl aufgerufen hatte. Dies regte selbst den erzkatholischen Vielfach-Ministerpräsidenten Giulio Andreotti auf: »Das ist nicht demokratisch.« Das Referendum scheiterte, und Bertones Kurie bejubelte ihren Sieg. Die Italiener aber gingen nach Wahlanalysen nur deshalb nicht zu den Urnen, weil sie kein Interesse am Thema hatten, nicht weil die Kirchenleitung es untersagt hatte.
Neben dem Intrigenspiel von Kardinälen wie Bertone ärgert die Italiener vor allem die öffentliche Kriecherei des 83-jährigen ehemaligen Kardinalstaatssekretärs Angelo Sodano. Gemeint ist vor allem seine heuchlerische Osterbotschaft aus dem vergangenen Jahr an den Papst, nach dem Bekanntwerden der Missbrauchsskandale. Die grausigen Enthüllungen tat Sodano als Geschwätzigkeit ab. Wo leben diese Leute denn, und welch ein Kirchenbild haben sie, wenn ein solcher Mann sich auch noch Chancen ausrechnet, eines Tages Benedikt XVI. beerben zu können?
Die möglichen Erben
Angesichts eines alternden oder kränkelnden Papstes haben die Römer früher gerne über die möglichen Nachfolger spekuliert. »Papst-Toto« nennen sie dieses Spiel. Zum Toto gehören aber Auswahl und Einsatz. Beides fehlt heute. Kein Kopf ragt hervor, um sich für die Benedikt-Nachfolge zu empfehlen. Am ehesten müsste man sich in Lateinamerika umsehen, wo profilstarke Persönlichkeiten wie der Jesuitenkardinal Jorge Bergoglio (75) aus Buenos Aires oder der Salesianer-Kardinal Oscar Rodríguez aus Tegucigalpa (68) wirken. Beide hatten gegen Ratzinger als Papstkandidaten im Konklave 2005 keine Chance. Als einen aussichtsreichen Kandidaten handeln die Wettbüros auch den Dominikaner und Wiener Kardinal Christoph Schönborn (66).
Massimo Franco wünscht sich, dass im nächsten Pontifikat ein Grundübel der heutigen Kurie beseitigt wird: Die Zahl der Italiener und deren Amtszeiten müssten endlich begrenzt werden. Dem elitär konservativen Opus Dei kann es gleich sein. Diese einflussreiche Gemeinschaft ist in der spanischsprachigen Welt sowieso stärker vertreten. Und in der Kurie kann sie sich auf ihr Netzwerk verlassen.
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Zuletzt geändert am 20.05.2011