3.9.2011 - Süddeutsche Zeitung
Fanatische Ordensbrüder
Von Franziska Brüning und Max Hägler
München/Regensburg – Man kann natürlich alles positiv sehen: Die Legionäre Christi, ein katholischer Orden, ziehen mit ihrer Priesterausbildung bald nach Neuötting – weil ihnen die Herberge in Nordrhein-Westfalen zu klein geworden ist: Endlich wieder einmal eine stattliche Zahl junger Priester – welch gute Nachricht für die darbenden Katholiken. Und mit dem Umzug findet endlich die alte Berufsfachschule in Neuötting wieder eine Bestimmung: „Aus städtebaulicher Sicht bin ich froh, wenn die Immobilie wieder einer Nutzung zugeführt wird“, sagt Bürgermeister Peter Haugeneder. Stand doch die „Bavaria“ genannte Schule jahrelang leer. Der Kaufvertrag soll bis Mitte des Monats in trockenen Tüchern sein.
Eine gute Sache. Auf den ersten Blick. Auf den zweiten überwiegt die Sorge. Ernstzunehmende Sorge – denn sie kommt ausgerechnet von katholischen Glaubensbrüdern, Geistlichen aus dem Bistum Passau. „Wir hätten auf die verzichten können“, heißt es da bis hinauf in die Bistumsleitung. Was man von den Legionären Christi wisse, „hat uns nicht in allen Punkten gefallen“. Die Legionäre sind nicht nur erzkonservativ und in einer Reihe zu nennen mit Opus Dei und den Piusbrüdern. In Spanien standen sie dem Faschismus unter Diktator Franco nahe. Ihr vor kurzem verstorbener Gründer Marcial Maciel Degollado hat sogar eine kriminelle Vergangenheit: Er hat Ordensbrüder sexuell missbraucht – die Taten wurden trotz seines Todes vor drei Jahren vom Vatikan untersucht. Unter Papst Benedikt XVI. begann ein Recherche-Team den Vorwürfen gegen Marcial Maciel nachzugehen. Die fünf Bischöfe kamen zu dem Ergebnis, Maciel habe „wahre Verbrechen“ begangen. Er sei ein Mensch „ohne Skrupel“ und „authentisches religiöses Gefühl“ gewesen, der sich ein Machtsystem errichtet habe. Der Vatikan verfügte im Jahr 2010: Der Orden muss sich neu ordnen und einen Prozess der inneren Reinigung vollziehen.
Diese Leute ziehen nun nach Neuötting, zumindest ein kleiner Teil von ihnen. Den Legionären gehören eigenen Angaben zufolge weltweit 920 Priester und 2500 Seminaristen an. An ihren Universitäten, wie dem Athenaeum Regina Apostolorum in Rom, werden Exorzisten ausgebildet. Mit militärischem Eifer – passend zum Namen – täten diese Leute ihren Dienst an Gott, sagt ein katholischer Geistlicher aus Passau. Eine Haltung, die so gar nicht zum heutigen Verständnis von Kirche passe. „Wenn die anfangen sollten zu missionieren, dann wird es problematisch“, heißt es in der Diözese.
Ja, er kenne solche Vorwürfe, sagt Neuöttings Bürgermeister Haugeneder. Und nein, er habe trotzdem kein Problem mit seinen neuen Mitbürgern, die demnächst in die Stadt ziehen. 18 Novizen sollen bis zum Sommer kommenden Jahres aus Bad Münstereifel nach Bayern wechseln, samt des theologischen Lehrpersonals. Es habe eine päpstliche Visitation gegeben, sagt der SPD-Bürgermeister. „Ich gehe davon aus, dass jetzt alles bereinigt und in ordentlichen Bahnen ist.“
Das bezweifeln Menschen, die schon intensiver mit den Legionären Christi zutun hatten. Der Wirtschaftswissenschaftler Erik Händeler aus Lenting bei Ingolstadt ist einer von denen, die mit den Legionären bittere Erfahrungen gemacht haben. Eigentlich gehört der katholische Glauben für den Familienvater fest zu seinem Leben – im katholischen Sozialverband KKV ist er stellvertretender Landesvorsitzender. Er wirkt, als urteile er nicht leichtfertig, doch für die Legionäre hat er nur Kritik übrig. Er nennt sie mittlerweile einen „Auswuchs der Unsicherheit extrem konservativer Kreise vor dem Wandel der Gesellschaft“.
Händeler hat in den 1990er Jahren erlebt, wie die Legionäre in Ingolstadt ein Büro eröffneten und Festivals für Jugendliche organisierten. „Mir gefiel auf den ersten Blick gut, was sie machten. Das war ein bisschen wie ein Weltjugendtag im Kleinen“, erinnert sich Händeler. Man kam in Kontakt, und bald fragten die Legionäre ihn, ob er nicht eine Jugendgruppe in München leiten wolle. Doch es hätte merkwürdige Regeln geben sollen, berichtet Händeler: Die Jugendlichen sollten beim Eintritt in die Jugendgruppe nicht älter als zwölf Jahre alt sein – weil sie so leichter zu beeinflussen seien, erklärte man ihm; und nach außen sollte der religiöse Hintergrund der Legionäre nicht erkennbar sein. Händeler war das nicht geheuer. Er lehnte ab – zum Missfallen des Ordens. „Da wurde der Eindruck geweckt, wenn ich ihnen nicht helfe, helfe ich Gott nicht und bin nicht richtig katholisch“, sagt Händeler. Judas, Verräter, hätten sie ihn sogar geschimpft.
Wie merkwürdig der Orden arbeitet, das zeigte ihm auch der Fall eines Bekannten. Der Mann wollte Priester werden bei den Legionären. „In sein Gebetbuch durfte ich nicht hineinschauen, weil ich nicht Mitglied war und bei kritischen Nachfragen reagierte er mit Zornausbrüchen“, sagt Händeler. Dann habe sich sein Bekannter mehr und mehr von ihm und dem Freundeskreis abgewandt. Er selbst bekomme als Kritiker der Legionäre immer wieder böse Anrufe.
Wer sich einliest in die Geschichte des Ordens und die Schilderungen auch anderer Kritiker, stellt fest: Die Vorwürfe decken sich. Erwin Albrecht, der bis 1993 Stadtseelsorger in Ingolstadt war, berichtete, wie Jugendliche, die mit den Legionären in Kontakt standen „mehr und mehr fanatisch geworden“ seien.
Nachzeichnen kann man auch die für Ordensleute ungewöhnlichen Kontakte zu Prominenten und ein ebenfalls ungewöhnliches Streben des Ordens nach Einfluss und vor allem. Die italienische Wochenzeitung l’Espresso schätzt das Vermögen des Ordens auf 25 Milliarden Dollar. Sein Jahresbudget wird vom Wall Street Journal auf 650 Millionen Dollar veranschlagt. „Millionäre Christi“ nenne man diese Gläubigen auch, schreibt ein Papst-Biograph. Der Geldfluss verwundert nicht angesichts der Kontakte: Gründer Marcial Maciel hat den Milliardär Carlos Slim getraut, einen der reichsten Männer der Welt. Einer der deutschen Legionärs-Manager war zuvor Geschäftsführer des UN-Flüchtlingshilfswerk und Vorsitzender des Deutschen Fundraisingverbands. Das passt zu den Hinweisen, dass die Legionäre auch beim Hilfswerk „Kirche in Not“ und dem „Bund katholischer Unternehmer“ mitmischen – eben überall dort, wo Spendengelder fließen.
Geholfen haben dabei sicherlich die früher hervorragenden Kontakte zum Vatikan: Marcial Maciel war gern gesehen in Rom. Im Jahr 2004 durfte er gar gemeinsam mit Papst Johannes Paul II. sein 60. Priesterjubiläum feiern.
Auch mit Hilfe dieser Reputation konnte diese katholische Gruppe ihr Netzwerk in den europäischen Adel spinnen: Sylvester Freiherr Heereman von Zuydtwyck ist sogenannter Territorialdirektor für Mitteleuropa der Legionäre Christi. (In einem herkömmlichen Orden hieße er Provinzial.) Dessen Vater ist Geschäftsführender Präsident des Malteser Hilfsdienstes. Paul von Habsburg wiederum ist derzeit Niederlassungsleiter der Legionäre in Paris. Reden will kaum einer über diese Verbundenheit zu den Legionären – man ist verschwiegen in diesem Club, dessen Laienbewegung Regnum Christi 50 000 Mitglieder haben soll. Immerhin eine Frau aus Adelskreisen, die junge Münchner Rechtsanwältin Donata Gräfin von Kageneck, bestätigt, dass sie vom Hörensagen wisse, dass die Legionäre auf der Suche nach Finanzierungen und Mitgliedern besonders gerne an alte adelige Familien herantreten. Einen solchen Fall kenne sie persönlich.
Wieso tut man sich so ein belastete Gruppe an im Bistum Passau? Weil man ihnen eine Chance geben sollte und vielleicht auch viel Gutes in der Gruppe stecke, sagt ein Passauer Geistlicher, der ihnen nicht allzu wohl gesonnen ist. Hat der Umzug vielleicht damit zu tun, dass Bischof Wilhelm Schraml als konserativ gilt? Soll sein Bistum zu so etwas wie einer reaktionären Zelle werden, wie manche verschwörerisch tuscheln? Das ist unwahrscheinlich. Zum einen heißt es von Schraml, dass der sich zwar über die junge Leute freue, nicht unbedingt aber über ihren Orden. Zum anderen ist Schraml nicht mehr lange im Amt – er hat bereits sein Ruhestandsgesuch eingereicht. Und schließlich ist Schraml in engem Kontakt mit Papst Benedikt XVI., der kein Freund der Legionäre ist. Das Bistum selbst gibt sich denn auch zurückhaltend. „Die Diözese weiß um die Probleme, aber auch um den Neuanfang, dem man vertraut“, sagt Sprecher Wolfgang Duschl. Die Legionäre hätten das Bistum und den Ortspfarrer über ihre Ziele und einzelnen Schritte informiert – und angefragt, ob Platz sei für die Priesterausbildung. Diese Offenheit, die formell nicht notwendig gewesen wäre, wie man im Bistum sagt, kam gut an: „So konnte Bischof Schraml dem Wunsch der Legionäre Christi zustimmen, ein Noviziat zu errichten“, sagt Duschl.
Die neue Offenheit ist tatsächlich zumindest für die deutschen Legionäre nun Arbeitsprinzip. Es gibt einen Kommunikationsfachmann, der etwa sagt, dass die Finanzlage im Moment schwierig sei: Man habe in früheren Zeiten „nicht organisch“ investiert und sei zudem Opfer der Finanzkrise geworden sei. „Die Kongregation hat kein Geld mehr“, behauptet Sprecher Karl-Olaf Bergmann. Für das Essen im Seminar in Rom stünde etwa nur noch ein Euro pro Tag und Student zur Verfügung. Bergmann spricht auch deutlich über die Verfehlungen des Gründers, für die sich der Orden mehrfach öffentlich entschuldigt hat. Aber ob wirklich alles bereinigt ist in dem Orden, daran zweifelt offenbar der päpstliche Visitator selbst: Im vergangenen Oktober warnte der italienische Erzbischof Velasio De Paolis, die Legionäre in einem Brief vor dem „sicheren Schiffbruch“. Interne Streitigkeiten würden den vom Vatikan verordneten Neuordnungsprozess behindern, der noch mindestens drei Jahre dauern werde. Wobei sich die Legionäre nicht sonderlich stören an solcher Kritik aus dem Vatikan: Das Konterfei des Papstes schmückt weiterhin ihre Werbebroschüren.
Es hat sich nicht wirklich etwas geändert, das stellt auch Angela Reddemann fest, die bis vor wenigen Monaten im Legionärs-Netzwerk mitwirkte. Die Ordensschwester der Gemeinschaft „Verbum Dei“ hat bei der katholischen Nachrichtenagentur Zenit mitgearbeitet, ein Projekt von Legionären, wie auch das Internetportal kath.net. Doch in diesem Frühjahr hat sie gekündigt. Die Redaktion sei kontrolliert und zensiert worden, wenn sie nicht auf Linie schrieb. Die Leitungsstrukturen seien undurchsichtig gewesen. „Es ging darum, eine rechtsgerichtete Leserschaft mit einem Nachrichtenorgan wie Traubenzucker zu beglücken. So etwas subventionieren diese Leser dann auch gerne“, sagt Reddemann über Zenit. Allzu viel öffentliche Kritik an den Legionären hält Reddemann allerdings für kontraproduktiv. „Viele Unterstützer öffnen in solchen Fällen aus Solidarität ihre Portemonnaies“, sagt sie.
Und was wird nun in Neuötting, im Bistum Passau passieren? Die Legionäre werden Jugendliche fanatisieren und Gemeinden spalten, sagt der kritische Katholik Erik Händeler. Erst würden die frommen Kreise ausgenutzt, dann werde ein Riss durch die Diözese gehen. Bedächtiger gibt sich das Bistum selbst: „Wir warten ab, wie sich das Noviziat entwickelt, dann können wir mehr dazu sagen“, erklärt Bischofssprecher Duschl.
Zuletzt geändert am 05.09.2011