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Veröffentlicht am 13­.12.2011

13.12.2011 - http://theosalon

Erfolgreiche Vernebelungstaktik

Einen erschütternden Missbrauchsfall in der katholischen Kirche zeichnet die Frankfurter Rundschau in ihrer Ausgabe vom 8. Dezember nach. Es gibt eine Reihe von Punkten, die den Leser oder die Leserin fassungslos - und auch ein gutes Stück hoffnungslos machen. Andererseits ist der Fall auch ein Lehrstück.

Da ist zunächst die Schilderung des Opfers, dass sie auf ein Schreiben an den damaligen Bischof Spital, in dem sie das Geschehene berichtete, von diesem nie eine Antwort bekommen habe. "Stattdessen", so heißt es im Artikel, "habe sich ein namenloser Sekretär bei ihr gemeldet. Sie erinnert sich genau daran, was er ihr mitzuteilen hatte: Man wisse um die Fehltritte von Pfarrer K., dieser aber leiste vorbildliche Gemeindearbeit in einem sozialen Brennpunkt. Sie möge sich daher genau überlegen, was sie tue – „denn wir sind viele, und Sie sind alleine“. Bedarf es noch weiterer Hinweise über die, sagen wir ruhig - Gefährlichkeit - einer männerbündischen Klerikerkirche? Wird nicht an diesem Fall deutlich, dass sexuelle Gewalt in der Kirche tatsächlich ein System- und Strukturproblem ist („Er mag es wirklich, wenn man um Hilfe schreit“)?

Diese erschreckenden Fragen verschärfen sich noch, wenn man liest, wie der Fall unter dem aktuellen Trierer Bischof Stephan Ackermann, immerhin der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, weitergeführt worden ist. Dort weiß man seit Januar 2011 von den Vorwürfen, nimmt aber mit dem Opfer keinen Kontakt auf. Im Juli meldet sich die Anwältin des Opfers schriftlich beim Bistum, aber erst nach einem weitern Mahnschreiben meldet sich eine Justiziarin Ende September. Man trage die Kosten externer Anwälte nicht. Im übrigen habe der Bischof eigene Ansprechpersonen bestimmt, heißt es. Vom Bischof selbst: Nichts. Erst auf Nachfrage der Zeitung teilt die Pressestelle mit, dass man gegen den Pfarrer kirchenrechtlich ermittle. Offensichtlich ist er seit dem 13. Oktober suspendiert. Zehn Monate, nachdem mindestens das Bistum von den Vorwürfen Kenntnis hat. Sechs Wochen, nachdem der Pfarrer noch mit Pauken und Trompeten in den Ruhestand verabschiedet worden war.

Trotz Präventionsordnungen und Missbrauchsbeauftragten, trotz Führungszeugnissen und viel Tamtam: Nichts wird sich ändern, wenn sich an der Struktur nicht grundlegend etwas ändert. Es ist erschütternd zu lesen, wie beide Frauen in dem geschilderten Fall die Schuld an der Gewalttat bei sich suchen, weil der Täter doch ein Gottesmann ist. Wie lange kann man sich noch erlauben darüber hinweg zu sehen? Zunächst muss sich also all dies ändern: Die unselige Überhöhung der Priester und deren Amtsverständnisses mit dem Ruch, ein bisschen nicht von dieser Welt zu sein. Dann muss man den strukturellen Zusammenhang von Macht und (sexueller) Gewalt endlich einmal zur Kenntnis nehmen. Das gibts eben auch in der Kirche. Wer würde das noch guten Gewissens leugnen können? Und das Männerbündische Intransparente, auf das nicht nur Hermann Häring immer wieder hinweist ("Wir wissen: Eine allen Priestern auferlegte Ehelosigkeit führt viel zu oft zu einer verkrampften Sexualität, zu deren Verdrängung und in Konfliktfällen zu einer desaströsen Sprachlosigkeit. Die Behauptung, Missbrauchsfälle hätten mit der Zölibatsfrage nichts zu tun, simplifiziert das komplizierte Thema in unerlaubter Weise. Nicht grundlos haben sich neben den Missbrauchsskandalen selbst die noch schlimmeren Schweigeskandale entwickelt; sie konnten sich nur in einer Atmosphäre angstvoller Abspaltung und in der Atmosphäre von Männerbünden halten." Hat er denn unrecht?) gehört weg - denn - sagen wir, wie es ist - es ist vom Teufel.

Diesen Aspekt muss auch Christian Pfeiffer berücksichtigen, der im Auftrag der Bischofskonferenz den Missbrauch in der katholischen Kirche wissenschaftlich untersuchen soll: Glaubt er denn, dass die Bistümer ihm wirklich alle Daten übergeben, die man bräuchte? Begrenzungen zeitlicher Art gibt es ja schon. Was ist mit den Daten, die in den Geheimarchiven liegen? Wie haben die Bistümer überhaupt ihre Daten ermittelt? Hat man vor Ort in den Pfarreien ermittelt? Dort in den Archiven nachgeschaut? In den Chroniken? Personen interviewt? Versucht Zeugen zu finden? Ist man nicht auf den Gedanken gekommen, dass es außerhalb eigener erfasster Fälle noch eine Reihe anderer Fälle geben muss, die der Verwaltung nicht bekannt sind oder über die man zumindest keine Akten führt? Auch dafür ist die Geschichte in der FR ein gutes Beispiel. Hat man mal andere Beratungsstellen - nichtkirchliche - gefragt? Kann es sein, dass man dann zu anderen Erkenntnissen käme? Der in der Rundschau geschilderte Fall ist ein Paradebeispiel dafür, wie die Kirche - auch im Jahr 2011 - mit allem durchkommt.

Verneblungstaktik allerorten. Wie kann es sein, dass man auf die Frage, ob sich - einen anderen aktuellen Fall betreffend - noch andere Missbrauchsopfer gemeldet hätten die Antwort hört: "Unsere Hotline unterliegt absoluter Vertraulichkeit. Das geschieht zum Schutze der Opfer." Man habe aus anderen Fällen gelernt, dass die Hürde für die Opfer ohnehin riesig hoch sei, sich an die Beratungsstelle zu wenden. Hat die Öffentlichkeit nicht das Recht zu erfahren, ob es weitere Opfer gibt - oder eben nicht? Wie krass und missbräuchlich ist das denn, dass Informationsverweigerung mit Opferschutz begründet wird? Und: Liegt es außerhalb jeder Vorstellungskraft, dass Menschen sich nicht an kirchliche Missbrauchgsbeauftragte oder kirchliche Beratungsstellen wenden wollen? Sind nur kirchenverwaltungsmäßig registrierte Opfer Opfer?

Nichts wird sich schließlich ändern, wenn es in der Kirche nicht auch zu einer Gewaltenteilung kommt. Wenn nicht eine Verwaltungsgerichtsbarkeit etabliert ist, vor der alle Christinnen und Christen gleich sind und wo solche unverschämten Briefe und kirchlichen Aukünfte wie die im geschilderten Fall schlicht und ergreifend nicht mehr möglich sind.

Und kurz hat man den Gedanken, das eigene abgegebene Führungszeugnis wieder zurück zu fordern. Weil es dazu dient, die Weste der Institution rein zu halten und von den eigentlichen Dingen, die zu tun wären ablenkt. Denn so unangenehm der Gedanke auch sein mag: Auch in der Frage, wie die katholische Kirche mit Missbrauchs- und Gewaltopfern in ihren Reihen umgeht, ist der Grat schmal, an dem der Punkt erreicht ist, wo man selber mitschuldig wird, weil man selbst - bewusst oder unbewusst - Teil eines Schweigekartells geworden ist.

von Peter Otten

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Zuletzt geändert am 18­.12.2011