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Veröffentlicht am 23­.01.2012

23.1.2012 - KAP

Missbrauchsaufarbeitung: Jesuit zieht gemischte Bilanz

Kirche hat nach Meinung von P. Klaus Mertes bei Missbrauchsaufarbeitung viel getan - Jetzt sollten Inhalte der katholischen Sexualmoral oder Fragen nach dem Umgang mit geistlichen Ämtern und Amtsträgern neu reflektiert werden

Bonn, 23.01.2012 (KAP) Der Anstoßgeber der im Jänner 2010 ins Rollen gekommenen kirchlichen Missbrauchsdiskussion, der deutsche Jesuit P. Klaus Mertes, hat sich gegen einen Schlussstrich bei der Aufarbeitung des Problems gewandt. Die Fragen von sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch müssten ein ständiges Thema in Gesellschaft und Kirche bleiben, sagte Mertes am Montag in einem Interview mit der deutschen katholischen Nachrichtenagentur KNA in Freiburg. Er betonte zugleich, dass die Kirche viel zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle getan habe. Sie habe sich "tief erschüttern" lassen.

Eine zentrale Aufgabe müsse sein, genau hinzuhören, was Opfer über Kirche zu sagen haben. "Denn die eigentlich entscheidende, bis heute quälende Frage ist doch: Was ist eigentlich geschehen, dass wir die Missbrauchstaten und das Leid der Opfer nicht gesehen und nicht begriffen haben? Ich bin immer wieder befremdet, wie wenig diese Frage bis heute öffentlich angegangen ist", sagte der Jesuit.

Mertes hatte vor genau zwei Jahren in einem Brief an ehemalige Schüler der Berliner Jesuitenschule Canisius-Kolleg die Auseinandersetzung mit kirchlichen Missbrauchsfällen mit angestoßen. Seit diesem Schuljahr leitet er das Jesuitengymnasium und -internat Kolleg St. Blasien im Südschwarzwald.

Zugleich zog Mertes eine vorsichtig positive Bilanz des kirchlichen Umgangs mit den in den vergangenen beiden Jahren bekanntgewordenen Missbrauchstaten: "Es ist schwierig, sich als Vertreter der Kirche hier selbstzufrieden zu äußern. Ich denke aber, es ist viel geschehen, mehr als in allen anderen vergleichbaren Institutionen."

So sei es der Kirche als einziger Institution gelungen, Opfern eine finanzielle Entschädigung anzubieten: "Außer der Kirche hat niemand sonst, kein Land, kein Verein, keine staatliche Schule hier bislang eine Antwort gegeben."

Auch bei den kirchlichen Schulen sei viel in Sachen Missbrauchsprävention geschehen: "Das merkt man daran, dass sich nun auch staatliche Schulen bei uns melden und fragen: Wie geht ihr denn damit um?"

Mertes rief dazu auf, sich nun noch einmal neu mit dem "systemischen Kontext" von Missbrauchstaten zu beschäftigen. So sollten Inhalte der katholischen Sexualmoral oder Fragen nach dem Umgang mit geistlichen Ämtern und Amtsträgern neu reflektiert werden: "Kult um religiöse Autoritäten, Anfälligkeit für Personenkult aller Art, auch um den Papst, fördert eine Atmosphäre des verdrucksten Schweigens", so Mertes.

http://www.kathweb.at/site/nachrichten/database/44417.html

Zuletzt geändert am 24­.01.2012