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Veröffentlicht am 26­.02.2012

26.2.2012 - Neue Zürcher Zeitung

Filz und Korruption im Vatikan

Die Kritik an der Amtsführung des Papstes wird immer lauter

Papst Benedikt XVI. steht unter Druck. Kritiker werfen dem Oberhaupt der katholischen Kirche vor, es regiere den Vatikan nachlässig und fördere damit Intrigen im Kirchenstaat.

Patricia Arnold, Rom. Büsten, Nippes, Postkarten: Auch sieben Jahre nach seinem Tod ist Karol Wojtyla, der populäre Papst aus Polen, allgegenwärtig, jedenfalls in den Souvenirläden rund um den Vatikan. Sein Nachfolger Benedikt XVI. hat es schwer, sich gegen dieses riesige Angebot an Andenken durchzusetzen. Sein Konterfei ist vorhanden, doch Joseph Ratzinger wirkt im Vergleich zu Johannes Paul II. auf den Erinnerungsstücken verloren und unwirklich. Als nicht anwesend, so empfinden auch Vatikankenner den Theologen- Papst, Oberhaupt von mehr als einer Milliarde Katholiken in der Welt. Er halte Monologe und schreibe Bücher, kritisieren vatikanische Mitarbeiter, die Alltagsgeschäfte in der Kirchenverwaltung lasse er aber schleifen. Sie trauern Karol Wojtyla nach. «Er gab eine klare Linie vor», behaupten sie. Stolz sei man gewesen, für den Papst zu arbeiten.

Das ist jetzt anders. Päpstliche Unaufmerksamkeit und Nachlässigkeit fördern Ränkespiele und Missgunst. Diese sind zwar so alt wie der Kirchenstaat selbst, sie spielen sich aber nicht mehr wie bisher allein in den langen vatikanischen Korridoren ab, sondern dringen nach aussen. Erinnerungen an eine dunkle Vergangenheit werden wach. Der Mailänder «Corriere della Sera» befürchtet bereits einen moralischen Verfall im Vatikan, «die Rückkehr zu Intrigen und Machtkämpfen wie zu Zeiten der Renaissance». Geheimdokumente gelangten seit Anfang des Jahres wiederholt an die Öffentlichkeit.

Aufträge zu überhöhten Preisen

Erzbischof Carl Maria Viganò prangerte in Briefen an den Papst Korruption und Misswirtschaft an. Anfang des Jahres veröffentlichte ein italienischer Fernsehsender diese persönlichen Schreiben. Viganò, der zwei Jahre Generalsekretär der vatikanischen Staatsadministration war, offenbarte Benedikt XVI., wie Seilschaften vatikanisches Vermögen verschleuderten. Kirchliche Mitarbeiter würden Beschaffungs- und Bauaufträge an Firmen vergeben, die überhöhte Preise verlangten. Vatikanische Investitionen seien in die Hände von italienischen Bankern gefallen, die «mehr nach ihren eigenen als nach unseren Interessen» handelten, schrieb der hohe geistliche Verwaltungsbeamte. Allein mit einer finanziellen Transaktion im Dezember 2009 habe der Vatikan zweieinhalb Millionen Dollar verloren.

Erzbischof Viganò war für vatikanische Gebäude, Strassen und Gärten zuständig. Er sparte, wo immer er konnte. Unter seiner Verwaltung kostete der Aufbau der Weihnachtskrippe auf dem Petersplatz nur noch 200 000 Euro und nicht mehr - wie zuvor - eine halbe Million. Seinen Kampf gegen Mauscheln und Filz dankte ihm die Kirche nicht. Er wurde im vergangenen Jahr als Botschafter in die USA versetzt. Als apostolischer Nuntius in Washington bekleidet der norditalienische Geistliche aus Varese zwar ein wichtiges diplomatisches Amt. «Dennoch wurde Viganò mit der Versetzung bestraft, er wurde auf ein Abstellgleis gestellt», sagt der Vatikan-Kenner Marco Politi.

Der Erzbischof war zutiefst verbittert. Er wollte im Vatikan bleiben. Darum bat er den Papst, die Versetzung zu überdenken, denn diese würde die vatikanischen Mitarbeiter, die daran glaubten, dass Korruption in vatikanischen Büros aufzudecken sei, orientierungslos machen und entmutigen. Auch diesen Brief des Erzbischofs veröffentlichten die Medien. Der Vatikan bestätigte die Echtheit der Schreiben Viganòs. Ob aber der Papst nun gegen Klüngel und Korruption vorgeht, blieb bisher ein vatikanisches Geheimnis.

Eine aufsehenerregende Verschlusssache, in der von einem Mordkomplott gegen den Heiligen Vater die Rede ist, gelangte ebenfalls an die Öffentlichkeit. Benedikt habe noch zwölf Monate zu leben, hiess es darin. Als eine Wahnvorstellung bezeichnet Vatikansprecher Federico Lombardi die Todesdrohung, die auf Deutsch, in der Muttersprache des Papstes, verfasst war.

Undurchsichtiger Kardinal

Ebenso wenig glauben Vatikan-Experten an die angebliche Verschwörung. Sie machen vielmehr darauf aufmerksam, dass das seltsame Dokument von Dario Castrillón Hoyos ins vatikanische Staatssekretariat gebracht wurde. Der kolumbianische Purpurträger hatte dem Papst vor zwei Jahren geraten, den Kirchenbann für vier exkommunizierte Geistliche der traditionalistischen Pius-Bruderschaft aufzuheben, unter ihnen auch Bischof Richard Williamson, der kurz zuvor in einem Interview die Judenvernichtung geleugnet hatte. Das päpstliche Vorgehen löste damals weltweite Proteste aus und beschädigte wie davor eine Rede Benedikts zum Islam den interreligiösen Dialog. Kardinal Castrillón gilt seither als Stümper.

Skandale und Intrigen im Kirchenstaat - «sie bringen brutal ans Tageslicht, dass Ratzinger unfähig ist, den Vatikan zu regieren», sagt der Papst-Kenner Marco Politi. Politi glaubt, dass der Herbst im Pontifikat des bald 85-jährigen Benedikt XVI. angebrochen sei. «Wir wollen wieder einen italienischen Papst», fordern die Römer bereits schamlos offen.

Kritische Analyse

«Er hätte einfach nicht Papst werden dürfen», sagt der italienische Vatikan-Experte Marco Politi entschieden - immer wieder. Mit diesem Satz beginnt auch sein Ende 2011 veröffentlichtes Buch «Joseph Ratzinger. Crisi di un papato» (Krise eines Pontifikats). Bisher ist diese kritische Analyse nur auf Italienisch erschienen, sie hat aber bereits in ganz Europa ein grosses Echo ausgelöst. Nach Ansicht des Journalisten und Autors Politi hat der Theologen-Papst aus Deutschland Schiffbruch erlitten. Selten in der Kirchengeschichte, erklärt er, habe es so viele Skandale in einem Pontifikat gegeben. Dabei ist Benedikt XVI. im kommenden April erst sieben Jahre im Amt. Bei aller Kritik schätzt Politi den Menschen Ratzinger. Er sei sensibel und herzlich und lache im privaten Gespräch auch gerne. (arn.)

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Zuletzt geändert am 26­.02.2012