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Veröffentlicht am 29­.02.2012

29.2.2012 - regensburg digital

Demütigung in Serie: Wie das Bistum Regensburg Missbrauchsopfer abfertigt

Die Bischofskonferenz tagt noch bis Donnerstag in Regensburg. Mit viel Pomp und frohen Botschaften. Unter dessen speist das Bistum Missbrauchsopfer per Serienbrief ab. regensburg-digital liegen mehrere wortgleiche Schreiben vor, in denen Betroffene zu Lügnern abgestempelt werden. Erschütternd ist der Fall eines 61jährigen, der zusammen mit der Missbrauchsbeauftragten der Diözese seinen einstigen Peiniger getroffen hat. Der bat ihn um Verzeihung. Die Diözese kann die Schilderungen des Mannes dennoch „nicht nachvollziehen“. Die Bischofskonferenz äußert sich zum Verhalten der Regensburger Diözese nicht.

2. März 2011: Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche ist in aller Munde und in allen Medien. Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) reagiert. Sie stellt eine Regelung vor, die eine „schnelle und unkomplizierte Hilfe“ bieten soll. Opfer sollen eine Entschädigung von 5.000 Euro, in „Härtefällen“ mehr, und Unterstützung bei Therapien erhalten.

„So sehr die katholische Kirche an einer gesamtgesellschaftlichen Lösung interessiert ist, so sehr sieht sie sich jetzt in der Verpflichtung, in Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger materielle Leistungen zu erbringen, bei denen eine Schmerzensgeld- oder eine Schadensersatzleistung aufgrund von eingetretener Verjährung rechtlich nicht mehr durchsetzbar ist“, heißt es in der dazu veröffentlichten Erklärung der DBK.

Ein mit „Psychologen, Juristen und Theologen“ besetztes Zentrales Komitee solle die Anträge prüfen und Empfehlungen an die Bistümer und Orden abgeben, die anschließend die finanziellen Leistungen, die „Anerkennung des erlittenen Leids“ übernehmen sollten.

Pünktlich zum DBK-Treffen kam die frohe Botschaft

Genau ein Jahr nach diesem Versprechen tagt diese Woche die DBK in Regensburg bei ihrer Frühjahrsvollversammlung. Das Thema „sexueller Missbrauch“ steht dabei zwar nicht auf der Tagesordnung. Aber wie es der Zufall so haben will konnte DBK-Sprecher Matthias Kopp am Dienstag gegenüber dem Westfalenblatt verkünden: „Alle Anträge auf Opferentschädigung sind bearbeitet worden.“ Von rund 1.000 Anträgen seien 950 bewilligt positiv befürwortet worden. Derzeit lägen keine offenen Anträge vor. Seine Aussage fand über die Katholische Nachrichtenagentur Eingang bei zahlreichen Medien.

Einzelne Bistümer, zum Beispiel Würzburg und Paderborn, haben nun bereits konkrete Zahlen vorgelegt.

Regensburg: Keine Zahlen, keine Angaben, Serienbriefe

Die gibt es in Bistum Regensburg nicht. Man schweigt sich, wie schon in der Vergangenheit, weiter aus. Stattdessen taucht nun ein Serienbrief des Bistums auf, in denen Opfern eine Entschädigung verweigert wird. Unserer Redaktion liegen mehrere wortgleiche Schreiben an verschiedene Betroffene vor, in denen es heißt:

„Wir konnten (…) Ihre Aussagen zur Frage eines sexuellen Missbrauchs nicht nachvollziehen. Eine Leistung in Anerkennung von erlittenem Leid erscheint vor diesem Hintergrund nicht gerechtfertigt.“

Zur Frage nach den Gründen verweist das Bistum auf einen Nürnberger Rechtsanwalt.

Nach Veröffentlichung des Briefs: Mehrere Opfer melden sich

Bereits Mitte Februar hatte sich der Tenor und Schauspieler Udo Kaiser mit einem solchen Brief an unsere Redaktion gewandt. Der heute 63jährige wurde in den 60ern bei den Domspatzen geprügelt, gedemütigt und sexuell missbraucht (unser Bericht vom Dezember 2010). Monate nach seinem Antrag erhielt er – vier Tage vor Heiligabend – die Ablehnung. „Damit werde ich zum Lügner abgestempelt“, so Kaiser, der nach dem Brief einige Wochen unter Depressionen litt. Seine Therapeutin bezeichnet das Schreiben als „perfides Nachtreten“.

Als Reaktion auf die Veröffentlichung von Kaisers Brief haben sich zwischenzeitlich weitere Betroffene gemeldet, die wortwörtlich dasselbe Schreiben erhalten haben.

Täter bat unter Tränen um Verzeihung

Ein besonders erschütternder Fall ist Herrmann Schuster (Name geändert). Der heute 61jährige wurde im Internat der Domspatzen in Ettertzhausen 1961 von dem damaligen – zwischenzeitlich verstorbenem – Direktor und einem weiteren Priester, Ewin Josef O., geprügelt und missbraucht. Er brauchte Jahre, um darüber reden zu können.

Im vergangenen Jahr wandte Schuster sich an Birgit Böhm. Gemeinsam erstatteten sie Anzeige bei der Staatsanwaltschaft, die das Verfahren wegen Verjährung einstellen musste. Ewin O.lebt heute im Raum Nürnberg in einem Altersheim. Gemeinsam mit Böhm traf Schuster seinen Peiniger. Der bat Schuster – nach anfänglichem Leugnen – schließlich unter Tränen um Verzeihung. Auch Schuster stellte nun einen „Antrag auf Anerkennung des erlittenen Leids“. Ende Januar erhielt er nun exakt dasselbe Schreiben wie Kaiser.

„Wir konnten (…) Ihre Aussagen zur Frage eines sexuellen Missbrauchs nicht nachvollziehen. Eine Leistung in Anerkennung von erlittenem Leid erscheint vor diesem Hintergrund nicht gerechtfertigt.“

Nach dem Brief: Nervenkollaps

Schuster erlitt einen Nervenkollaps. Er ist derzeit nicht in der Lage, über das zu reden, was ihm angetan wurde – vor 50 Jahren als kleiner Junge und heute. Seine Schwester schon. „Mein Bruder hat alles noch einmal durchlebt, als er das alles noch einmal detailliert erzählen musste. Jetzt steht er als Lügner da.“

In einem Brief an den Trierer Bischof Dr. Stephan Ackermann, bei der DBK zuständig für Missbrauchsfälle, schildert Schusters Schwester eindrücklich, was in ihr seitdem vorgeht:

„Im Neuen Testament steht, dass Jesus sagte: ‘Wer einem von diesen Kleinen etwas Böses tut, dem soll man einen Mühlstein an den Hals hängen und ihn in den tieftsten Tiefen des Meeres versenken.’ Was würde er zu seinen Nachfolgern, den Bischöfen und Priestern sagen, die Menschen, denen als Kind in der Obhut der katholischen Kirche dieses Böse angetan wurde, mit einem Massenbrief abfertigen?“
Aus dem Schreiben von Frau Schuster an Bischof Ackermann

(Download: Der Brief von Frau Schuster an Bischof Ackermann als PDF) Das Bistum mauert

Wie viele solcher Briefe gab es? Wer ist für deren Wortlaut verantwortlich? Wie viele Anträge gab es im Bistum Regensburg? Wer entscheidet, ob die Schilderungen eines Opfers „nachvollziehbar“ sind oder nicht?

Weder die bischöfliche Pressestelle noch die Missbrauchsbeauftragte Dr. Birgit Böhm wollten zu diesen und weiteren Fragen (wir veröffentlichen sie weiter unten im Originalwortlaut) Stellung nehmen. Trotz mehrfachen Nachhakens, trotz einer knappen Woche Zeit.

Klar scheint: Die Missbrauchsbeauftragte Birgit Böhm darf sich weder öffentlich äußern, noch unabhängige Entscheidungen treffen. Die Psychotherapeutin ist seit Jahren Angestellte des Bistums, bei der katholischen Jugendfürsorge in Kelheim. Die Schreiben, die bei Kaiser und Schuster zu einer Retraumatisierung geführt haben, wurden von Generalvikar Michael Fuchs unterzeichnet. Böhm erhielt, das ist einer Fußzeile zu entnehmen, eine Kopie. „Zur Kenntnisnahme“.

Bischofskonferenz lehnt Verantwortung ab

Wir haben die Deutsche Bischofskonferenz um eine Stellungnahme gebeten.

DBK-Sprecher Matthias Kopp hat dazu bereits am Montag gegenüber unserer Redaktion erklärt: „Die endgültige Entscheidung über Anträge zur materiellen Anerkennung erlittenen Leids trifft der Rechtsträger, d. h. das Bistum oder die Ordensgemeinschaft. Entsprechend verfassen die Rechtsträger den Schriftverkehr.“

Ob die Zentrale Kommission der DBK, der derzeit keine Anträge vorliegen sollen, nun bei den Ablehnungen involviert war oder nicht, ließ sich bis Redaktionsschluss nicht klären.

http://www.regensburg-digital.de/demuetigung-in-serie/29022012/

Zuletzt geändert am 05­.03.2012