5.3.2012 - Süddeutsche Zeitung
„Reform geht an der Wirklichkeit vorbei“
Der Unternehmensberater Thomas von Mitschke-Collande war Direktor bei McKinsey und begleitete die Umstrukturierungsprozesse der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und mehrerer Bistümer. Er lebt in Tutzing – im Bistum Augsburg.
Hunderte Katholiken des Bistums Augsburg haben am Sonntag symbolisch ihre Kirchen umarmt – eine merkwürdige Aktion, oder?
Nein, aus Wut-Katholiken werden engagierte Mut-Katholiken, die sich gegen die kirchliche Obrigkeit wehren. Sie zeigt, wie groß die Not vieler Gläubigen ist. Die Pläne von Bischof Konrad Zdarsa zur Neuordnung des Bistums und zur dramatischen Verringerung der Pfarreien stoßen weitgehend auf Ablehnung. Die Gläubigen haben den Eindruck: Es darf die Kirche nicht im Dorf bleiben.
Die Zahl der Priester und der Gläubigen sinkt – andere Bistümer legen auch Gemeinden zusammen und schließen Kirchen. Warum ist der Ärger in Augsburg so groß?
Es lässt sich kein stimmiges, zukunftsfähiges Konzept erkennen. Weder Bischof noch Bistumsleitung können ihre Visionen verständlich machen, es fehlt an Kommunikation, beziehungsweise sie misslingt. Grundprinzipien professsionller Veränderungsprozesse sind aus Betroffenen Beteiligte machen und Kommunikation im Vorfeld auf allen Ebenen. Das Gebot der Stunde ist, Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen und nicht die wachsende Kluft zwischen Kirchenleitung und Kirchenvolk zu vergrößern.
Was sagen Sie zu den inhaltlichen Vorgaben?
Ich finde, dass die Reform auch widersprüchlich ist.
Wie das?
Andere Bistümer sind bei gleicher Problemstellung andere Wege gegangen. Zum Beispiel hat man die Wortgottesdienste und die Verantwortung der Laien vor Ort gestärkt. Was die Leute umtreibt, ist die Frage, wie kann kirchliches Leben vor Ort im Dorf, dort, wo die Gemeinde lebt, lebendig erhalten bzw. gestärkt werden. Hier gibt es keine überzeugende Antwort. Mit dem Verbot des Wortgottesdienstes in den Dörfern sollen die Menschen veranlasst werden zur nächstgelegenen Eucharistiefeier zu fahren. Diese Vorstellung geht an der Lebenswirklichkeit vorbei. Der Bischof kann zwar verbieten, aber nicht verhindern, wenn sich Gläubige trotzdem am Sonntag zum Wortgottesdienst versammeln. Dies ist kirchlicher Ungehorsam, gerechtfertigt durch das Evangelium.
Große Gemeinden können Leuchttürme in einer säkularen Umwelt sein.
Vor allem in Städten, wo der Eine in die Kirche mit der besten Musik, der nächste in die mit der besten Predigt geht. Aber auch dann darf man die Strukturen nicht so zerstören, wie das jetzt geschieht. Zum Beispiel mit der Abwertung der bisherigen Pfarrgemeinderäte und Kirchenverwaltungen – das frustriert nur jene ca. 16.000 engagierte Katholiken, auf die es in Zukunft besonders ankommen wird.
Was sagen Sie zum Verbot der Sonntags-Wortgottesdienste?
Der alte Augsburger Bischof Josef Stimpfle sagte: In jedem Dorf im Bistum sollen sonntags die Glocken läuten. Damit die Gläubigen zum Gottesdienst kommen – wenn es nicht anders geht, auch zum Wortgottesdienst ohne Priester. Aber auch, um denen, die im Bett bleiben, zu zeigen, dass der Sonntag ein besonderer, ein heiliger Tag ist, die Unterbrechung des Alltags. Wenn bis zum Jahr 2025 aus 1000 Pfarreien im Bistum 200 werden, dann werden sonntags viele Glocken schweigen. Da geht ohne Not eine jahrhunderte alte , bewährte Kultur verloren, ein Stück bayerischer Identität, gewachsene Heimat.
Bischof Zdarsa hat gesagt: Zum Baumarkt fahren die Leute auch mal 30 Kilometer – warum nicht auch zur Kirche?
Das ist seine Erfahrung aus der DDR, wo die kleine Minderheit der Katholiken ja wirklich viel auf sich genommen hat, um ihren Glauben zu leben. Das ist sehr respektabel, aber kein Modell für das Bistum Augsburg. Hier lebt die Kirche auch von der Nähe, die sie bietet. Die wird umso wichtiger, je mehr dieses Kleinräumige auch auf dem Land verloren geht, die Leute nach München oder Augsburg zur Arbeit fahren und irgendwo im Outlet-Center einkaufen.
Offenbart sich hier nicht auch ein kultureller Konflikt – ein Bischof, geprägt vom Minderheitenkatholizismus der DDR, trifft auf den Mehrheitskatholizismus bayerisch-katholischer Prägung?
Zweifellos. Bischof Zdarsa hat offensichtlich die kleine Schar der Überzeugten im Blick. Eine Mehrheits-Kirche mit vielen Überzeugten, aber auch vielen Halbüberzeugten ist ihm fremd, die Politik und Kultur mitgestaltet, die sich bei er Wallfahrt genauso zeigt wie beim Feuerwehrfest. Bischofs Zdarsas Kirchenmodell ist getragen von hoher Glaubwürdigkeit. Er darf es aber nicht absolut setzen, sonst wird es problematisch. Ca. 100.000 hoch engagierte Katholiken gibt es auch im Bistum Augsburg. Aber was ist mit den anderen 1,1 Millionen? Auch die müssen in den Blick genommen werden, wenn ich den Auftrag der Kirche ernst nehme, „geht hinaus und verkündet allen Menschen das Evangelium“.
Was raten Sie Bischof Zdarsa?
Jetzt sind schon ein paar Kinder in den Brunnen gefallen. Vielleicht das: Sich mehr Zeit lassen mit den Reformen. Sie übers Knie zu brechen ist so schlecht wie nichts zu tun. Die Gläubigen stärker beteiligen statt ihnen das Gefühl zu geben, dass sie nichts zu sagen haben. Wir brauchen eine andere Einstellung: Das Ordinariat ist für die Gläubigen da und nicht umgekehrt. Klarheit schaffen: Was ist bereits unverrückbar beschlossen, über was kann und soll noch geredet werden. Hier herrscht völlige Orientierungslosigkeit. Klare, verbindliche und realistische Antworten auf das, was die Menschen wirklich bewegt. Ein schlüsssiges Gesamtkonzept und nicht nur Strukturlösungen. Die Seelsorger von Arbeiten entlasten durch die Mitarbeit von qualifizierten und motivierten Haupt- und Ehrenamtlichen und nicht durch die Abschaffung von Gremien. Und die Kirchen im Dorf zu lassen, auch wenn es dort nur noch Wortgottesdienste gibt. Ich habe neulich eine Ordensschwester aus Nord-Ost-Brasilien getroffen, die mir sagte: Bei uns kommt alle 6 Monate mal ein Priester vorbei, ansonsten treffen wir uns ohne Priester und feiern Gottesdienst. Wer will dieser Ordensfrau sagen, dass sie nicht mehr katholisch ist?
Interview: Matthias Drobinski
Zuletzt geändert am 07.03.2012