22.5.2012 - Radio Vatikan
Kardinal Brandmüller: „Nostra Aetate nicht dogmatisch bindend“
„Wir hoffen, dass der Versuch des Heiligen Vaters, die Kirche zu einen, gelingt – auch mit Blick auf die Lefebvrianer. Es ist die Historizität jedes Konzils, die einen Ausgangspunkt für einen fruchtbaren Dialog mit den Lefebvrianern darstellt. Wenn wir uns über den unterschiedlichen kanonischen Charakter der verschiedenen Konzilsdokumente klarwerden, sehen wir, ob sich eine Tür öffnet für eine Fortsetzung des Dialogs über das rechte Verständnis der verschiedenen Dokumente. Es gibt einen großen Unterschied etwa zwischen den großen Konstitutionen, z.B. „Sacrosanctum Concilium“, „Dei Verbum“ oder „Lumen Gentium“, und den einfachen Erklärungen des Konzils...“
Brandmüller reagierte mit diesen Worten auf die Frage einer Journalistin. Weiter führte er aus:
„Seltsamerweise haben die beiden umstrittensten Texte, nämlich „Nostra Aetate“ und „Dignitatis Humanae“, nach der Einschätzung meines verehrten Professors in Kirchenrecht Klaus Mörsdorf, keinen lehrmäßig bindenden Inhalt. Also kann man darüber reden! Und um die Wahrheit zu sagen: Ich verstehe unsere Freunde von der Piusbruderschaft nicht, die sich fast ausschließlich auf diese beiden Texte konzentrieren. Es tut mir leid – denn das sind die am einfachsten zu akzeptierenden Texte, auch wenn wir ihre kanonische Natur bedenken!“
Mörsdorf war Ordinarius für Kirchenrecht in München, wo er 1989 starb. „Nostra Aetate“ und „Dignitatis Humanae“ sind beides Erklärungen des Zweiten Vatikanischen Konzils; in der ersten geht es um das Verhältnis der katholischen Kirche zum Judentum, in der zweiten um Menschenwürde und Menschenrechte. Auf die Nachfrage eines Journalisten, wie verbindlich diese Konzilserklärungen für einen Christen denn nun seien, erklärte Kardinal Brandmüller:
„Natürlich muss man sie ernstnehmen, als Ausdruck des lebendigen Lehramts! Aber ohne die ganze Kirche binden zu wollen, damit sie diese Formel akzeptiert, in der sie sich befinden.“
Brandmüller war von 1998 bis 2009 Präsident des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften; Papst Benedikt machte ihn 2010 ehrenhalber zum Kardinal. Die Piusbruderschaft zweifelt nicht nur an Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils, sondern geht auch in der Liturgie einen Sonderweg. Die vatikanische Glaubenskongregation hat den Piusbrüdern im September 2011 eine „Lehrmäßige Präambel“ überreicht; nur wenn sie diesen Text ohne Vorbehalte akzeptieren, können die Anhänger des verstorbenen schismatischen Erzbischofs Marcel Lefebvre wieder zurück in den Schoß der römischen Kirche.
Einen deutlich anderen Akzent als Brandmüller hat Kardinal Kurt Koch unlängst gesetzt. Bei einem Festakt am Mittwoch letzter Woche in Rom sprach der Präsident des Päpstlichen Einheitsrates über „Nostra Aetate“. Dabei stellte er klar, dass die Konzilsdokumente, einschließlich „Nostra aetate“ mit seinen Aussagen zu Kirche und Judentum, für alle Katholiken bindend seien. Man könne nicht Katholik sein, ohne das Zweite Vatikanische Konzil und die daraus folgende kirchliche Lehre zu akzeptieren. „Denn alle Dokumente, Dekrete und Konstitutionen des Konzils sind für jeden Katholiken bindend“, so der Kardinal wörtlich. Koch ist der Vatikanverantwortliche für den Dialog mit dem Judentum. Seine wesentlichen Aussagen wurden auch von der Vatikanzeitung „L`Osservatore Romano“ wiedergegeben.
(rv 22.05.2012 sk)
http://www.vaticanradio.org/ted/Articolo.asp?c=589918
Zuletzt geändert am 23.05.2012